Überraschend straight und agitprop-punk-&krautrock-like kommen die Songs des neuen Albums „Who’s Bad?“ der Goldenen Zitronen rüber. Die Song-Titel und Texte sind unüberhörbar Ausdruck ihrer wütenden Sicht auf die gesellschaftlichen Zustände in diesem Land zu dieser Zeit: „Scheinwerfer und Lautsprecher“, „Echohäuser“, „Der Investor“ oder das klaustrophobische „Duisburg“, das an das Todesdrama der letzten Love-Parade in eben jener Stadt erinnert und die Schuldfrage eindeutig beantwortet.
Zu Beginn des Gesprächs, das im November letzten Jahres stattfand, machte ich kein Geheimnis daraus, dass mir das neue Album gefiel, sozusagen als Soundtrack aktueller Konflikte. Natürlich kann es gefährlich werden, wenn ein Song wie z.B. „Echohäuser“ nicht mehr als einen musikalischen Kampfaufruf darstellt, der allerdings ein Vierteljahr später in sich zusammenfällt. Denn die Essohäuser an der Reeperbahn in Hamburg sind mittlerweile geräumt, ohne dass die BewohnerInnen ihrer von der Hausbaugesellschaft bzw. der SPD-Bezirksregierung erzwungenen Räumung etwas Widerständiges hätten entgegensetzen können. Daher war es als Kompliment gemeint, als ich fragte, ob das fulminant-energische „Echohäuser“ als Kommentar zum Nichtfunktionieren der „Recht auf Stadt“-Bewegung verstanden werden könnte?
„Ohne ‚Kick out the Jams‘ wäre die Yippiebewegung in den USA nicht so geil gewesen“
Etwas irritiert und sichtlich überrascht antwortet Ted Gaier auf meine Eingangsfrage, dass es den Song „Echohäuser“, der den mittlerweile verlorenen Kampf um den Erhalt der symbolträchtigen, aber auch absolut baufälligen Essohäuser auf der Hamburger Reeperbahn thematisiert, möglicherweise nicht gebraucht hätte, wenn das „Recht auf Stadt“-Bündnis funktionieren würde: „Na ja, das wäre ja die Behauptung, dass es das gar nicht braucht, kulturelle Unterstützung für politische Inhalte… . Na gut, Songs braucht es. Wenn man sie hat, ist es schon mal besser, als wenn man sie nicht hat. In den USA wäre die Yippiebewegung ohne MC 5’s ‚Kick out the Jams‘ auch nicht so geil gewesen, wie sie es mit diesem Song gewesen ist. Insofern sind Songs ja nicht Ausdruck eines Scheiterns, sondern eher ein Zeichen der Erweiterung der Bewegung.“ Und Songs sind allemal interessanter, da stimme ich Ted Gaier ausdrücklich zu, „als jetzt im Recht-auf-Stadt-Verteiler die Plenabeschlüsse zu lesen“. Mal davon abgesehen, dass es immer besser ist, wenn Menschen für ihre Interessen und Bedürfnisse manifest eintreten und es dann den dazu passenden Soundtrack gibt.
Machen die Zitronen da weiter, „wo CAN, DAF und RAF aufgehört haben, als es gerade interessant wurde“?
Zur engagierten Haltung der Goldenen Zitronen schien mir der Satz aus dem Pressetext zu passen, Zitat: „Die einzigen also, die von sich behaupten könnten, auf Augenhöhe da weiterzumachen, wo CAN, DAF et RAF aufgehört haben, als es gerade interessant wurde.“ Wir erinnern uns, die Goldenen Zitronen waren und sind es immer noch, nämlich politisch engagiert. Als es in den Achtziger Jahren um den militanten Kampf um die besetzten Häuser in der Hafenstraße ging oder um die Zusammenlegung der Gefangenen aus der RAF. Oder jetzt in den Auseinandersetzungen gegen kapitalistische Investorenträume und für ein Recht auf Stadt jenseits kommerzieller Verwertungslogiken.
„Oh shit, das wird jetzt echt schwer, einen reißerischen Text zu rechtfertigen, der ganz gut gelungen ist“, meint Ted Gaier, und Schorsch Kamerun fährt fort: „Na, der Satz mit dieser Aufstellung ist ja viel zu groß, und den kapiert man doch überhaupt nicht.“ Aber der Pressetext sei nicht von ihnen geschrieben worden. „Vielleicht sieht man in uns ja diejenigen, die in der Jetztzeit so etwas wie eine dissonante Nervosität und Dringlichkeit ausdrücken?“, fragt sich Ted Gaier und versucht so die RAF-Assoziation zu erklären, um letztendlich klar und unmissverständlich festzustellen: „Aber natürlich hat die Platte mit der RAF nichts zu tun.“
„… liefern ja nicht die Knarre“
An dieser Stelle betont Schorsch Kamerun, dass „wir ja nicht die Knarre liefern. Das muss man ja im Zeitkontext sehen.“ Punk habe am Anfang provozieren und nerven und schocken und das Bürgertum und auch die Hippies herausfordern wollen. Die Zeiten hätten sich aber geändert. Die damalige Art der Provokation würde heute keinen Sinn mehr haben. Daher sei der Satz im Pressetext heute bestenfalls Pop, der allerdings eine ganze Menge antriggere. Für Mense Reents könnte der Zeitpunkt der Auflösung der RAF der vielleicht entscheidende sein.
Unkontrovers sind jedenfalls für Ted Gaier, Schorsch Kamerun und Mense Reents die Bezugnahmen sowohl auf die Krautrocklegende Can als auch auf die Punk-Formation DAF. Mit Can verbinde die Goldenen Zitronen die Arbeitsweise. „Die Can-Musiker haben sich hingestellt, gespielt und geschaut, was musikalisch passiert, um untereinander intensive Momente zu finden“, sagt Ted Gaier. Dass sich auf dem neuen Album unüberhörbar DAF-Einflüsse finden, sei der Tatsache geschuldet, dass alle DAF-Fans seien. Und weil sich auch der Abschlusssatz des Pressetextes gut liest, sei er hier rein kopiert: „WHO’S BAD“ – 15 Tracks also, auf denen sie sich mit ihren Gästen (u.a. Melissa Logan, Gadoukou la Star, Peta Devlin und Gustav) der ehernen Losung verschrieben haben: „It ain’t got that SWING, if it don’t mean a thing!“ Die Frage: „Who’s bad?“ wäre jetzt allerdings noch zu beantworten.