Im Juli 2013 gründete sich die Basisgewerkschaft Nahrung und Gastronomie (BNG-FAU) in Dresden, die erste FAU-Branchengewerkschaft der Stadt. Bereits bis Jahresende hatte die BNG Arbeitsrechtschulungen, Informations- und Werbematerialien, einen Lohnspiegel, einen Gastro-Emailverteiler und eine Kampagne für einen gewerkschaftlich durchgesetzten Mindestlohn von 8,50Euro vorzuweisen. Im Februar trat die Gewerkschaft nach der Kündigung dreier Mitglieder einer Betriebsgruppe in einen einmonatigen Streik mit täglichen Protestposten und intensivierte ihre Tätigkeit in den Betrieben.
Einer der längsten KellnerInnenstreiks der deutschen Geschichte
Schauplatz des Streiks war die Szenekneipe Trotzdem. Hier hatte die FAU im Laufe des Jahres 2013 alle vier KellnerInnen als Mitglieder gewonnen. Die Betriebsgruppe (BG) setzte im 2013 eine Lohnerhöhung von 20 % durch, verteilte regelmäßig Gewerkschaftswerbung im Betrieb und half aktiv beim Aufbau der BNG.
Die Aktivitäten entwickelten schnell einen gewissen Vorbildcharakter. So führten die BNG-Mitglieder während des Dienstes durchaus auch mal eine Gewerkschaftsdiskussion oder gaben Rechtseinschätzungen. Logischerweise wurde die Gewerkschaft nebst BG aber auch von ChefInnen zunehmend beobachtet. Zuletzt bewies sich die BG, als einer der KollegInnen durch eine Verletzung mehrwöchig ausfiel und die Einbußen an Trinkgeld durch eine Sammlung der restlichen KollegInnen und einiger Stammgäste abgefedert wurde.
Ende Januar – der Kollege war immer noch verletzt zu Hause, ein zweiter gerade im Ausland – wurde den drei Teilzeitkräften der BG mündlich auf den 1. April gekündigt. Die von der Chefin genannten Gründe erwiesen sich schon bei der ersten, direkt im Anschluss einberufenen, BG-Sitzung als haltlos. Die entlassenen KollegInnen erarbeiteten daraufhin einen Brief an die Chefin. Die BNG wurde von Beginn an in die Prozesse eingebunden und formulierte gleichzeitig einen Brief mit der Forderung nach einer Rücknahme der Kündigungen und dem Abschluss eines Haustarifvertrages oder Verhandlungen über einen Kauf der Kneipe durch die Belegschaft. Letztere Forderung basierte auf dem Wunsch der BG gemeinsam in einem Kollektivbetrieb zu arbeiten.
Die Chefin ließ eine dreitägige Verhandlungsfrist verstreichen, verkürzte die Kündigungsfrist in der schriftlichen Kündigung auf einen Monat und schickte den Gekündigten Mails mit teils grob beleidigendem Inhalt. Die BNG rief daher ab dem 2. Februar zum Streik für einen Haustarifvertrag auf und begann mit täglichem Protest vor dem Lokal.
Als Reaktion behauptete die Chefin in einer öffentlichen Stellungnahme, Hintergrund der Kündigungen seien Diebstähle im Lager, sie habe den/die TäterIn nicht ermitteln können und daher alle entlassen die Zugang hatten. Medien und private InternetkommentatorInnen nahmen diese Begründung willig auf. Es dauerte einige Tage um die wahren Fakten ans Licht zu bringen: Zugang hatten drei weitere Beschäftigte und mehrere Familienmitglieder. Die Begründung entstand offensichtlich erst unter öffentlichem Druck, es gab keine wirklichen Versuche die Diebstähle aufzuklären oder zu unterbinden, sie waren nicht einmal der Polizei gemeldet worden.
Es folgten vier Wochen unter anderem mit täglichen Streikposten, Diskussionen mit Gästen und Passant_innen, Streikkonzerten (u.a. Geigerzähler, Andi Valandi, Atze Wellblech, AlArm). Allein: Vier Gesprächsangeboten zum Trotz zeigte die Chefin über die gesamte Zeit keinerlei Verhandlungsbereitschaft.
Das Lokal hat durch die Aufklärung der BNG in den vier Wochen massiv an Kundschaft verloren. Auch wenn die Chefin schnell mit StreikbrecherInnen antwortete, musste das Lokal an drei Wochenendtagen schließen. Zusammen dürfte der wirtschaftliche Druck auf den Betrieb daher enorm sein. Aktuell werden nun auch Klagen gegen die Kündigung von Seiten der Beschäftigten eingereicht. Auch Klagen bzgl. weiterer Nachforderungen schließt die BG nicht aus. Da sich der Konflikt damit zunächst auf eine juristische Ebene verlagert, setzte die BNG die täglichen Streikposten nach einer Demonstration am 27. Februar bis auf weiteres aus und konzentriert sich zunächst wieder stärker auf die Organisation anderer Betriebe.
Wolf Meyer von der Betriebsgruppe über die bisherigen Streikerfahrungen: „Das Maß an Solidarität war wirklich beeindruckend. Täglich erhielten wir Spenden für unsere Streikkasse und Solidaritätsschreiben. Als Betroffene hatten wir zu keiner Zeit das Gefühl allein zu stehen, sowohl finanziell als auch sozial. Das war – trotz Kündigung – eine wunderbare Erfahrung und auch der Beweis das unsere aufgebauten Strukturen bestens funktionieren.“ In den Streikwochen wurde der BNG u.a. Kaffee gesendet, GenossInnen produzierten Soli-T-Shirts, halfen bei der Pressearbeit, reisten z.T. hunderte Kilometer an um die Posten zu unterstützen. Aber auch von NachbarInnen und PassantInnen wurde immer wieder Essen und Geld gespendet, Wohnungen konnten genutzt werden, es wurde praktisch unterstützt. Aktuell unterstützen über 25 Gruppen und Projekte außerhalb der FAU den Streik.
Auswirkungen auch in anderen Betrieben
Im Zuge der Streik-Kampagne organisierte die BNG eine Reihe von Veranstaltungen, die sich mit der Situation in der Dresdner Gastronomie auseinandersetzen. So z.B. einen Vorstellungsvortrag der BNG, eine weitere Arbeitsrechtsschulung, eine Diskussionsveranstaltung und eine große Protestdemonstration mit einer
Reihe von Redebeiträgen durchs Kneipenviertel Neustadt.
Im Zuge dessen waren FAU-AktivistInnen im Februar über 200-mal in anderen Betrieben um Veranstaltungen zu bewerben und zu diskutieren. Das Ergebnis war nicht nur eine Reihe von Neueintritten in das Allgemeine Syndikat und die BNG sondern auch eine breite Diskussion unter den Beschäftigten. Kaum eine Kneipe Dresdens, in der der Streik, seine Legitimität und die Interessengegensätze zwischen Beschäftigten und ChefInnen in den letzten Wochen nicht diskutiert wurden. Auch in Tram und auf der Straße konnte mensch immer wieder vernehmen, dass der Streik, aber auch syndikalistische Gewerkschaftskonzepte, diskutiert werden.
Die FAU hat dadurch an Boden gewonnen, die Dresdner BNG plant parallel zu den Klagen weiteren Protest und Diskussions- und Bildungsveranstaltungen für Gastronomie-Beschäftigte. Gleichzeitig will das Allgemeine Syndikat Dresden ab März sein Engagement in den Bereichen Pflege und Bildung wieder verstärken.