Ohne William Morris (1834-1896) wär
Neben seinem utopischen Roman „News From Nowhere“ – Kunde von Nirgendwo – aus dem Jahre 1890 schrieb er auch noch Märchenromane bzw. Science Fiction. So übte „The Wood Beyond the World“ von 1892 einen starken Einfluss auf C.S. Lewisʼ „Narnia“-Bücher aus. Das Werk von J.R.R. Tolkien zeigt ebenfalls Abhängigkeiten von Morrisʼ Darstellungen frühen germanischen Lebens, wie etwa in „The House Of The Wolfings“ oder „The Roots Of The Mountains“.
Utopien stellen Gegenentwürfe zu den gesellschaftlichen Verhältnissen der Zeit dar, in denen sie geschrieben wurden, so auch die „Kunde von Nirgendwo“. Um 1890 war das British Empire geprägt vom 10- bis 13-Stunden-Tag, vom Eisenbahnbau und dem Einsatz von Dampfmaschinen, die die Industrialisierung bis zum Ausbau der Schwerindustrie vorantrieben, und von der Ausbeutung und Ausplünderung der Kolonien. Auf der Suche nach Arbeit zogen die Menschen in die Großstädte, die rasch anwuchsen. Slums entstanden, die hygienischen Zustände waren unerträglich, die Lebenserwartung niedrig. Morris schrieb seine Utopie auch als Gegenentwurf zu dem utopischen Roman „Ein Rückblick aus dem Jahr 2000 auf das Jahr 1887“ von Edward Bellamy (1850-1898), der 1888 erschienen war. Der US-amerikanische Science-Fiction-Autor entwarf autoritären Industriesozialismus mit Planwirtschaft. Mit der Verstaatlichung der Industrie sind alle BürgerInnen infolge ihres BürgerInnenrechts ArbeiterInnen, „die den Bedürfnissen der Industrie gemäß verteilt werden“. Arbeit muss bei Bellamy von jedem und jeder Einzelnen in ihrer entfremdeten Zwanghaftigkeit als unvermeidliches Schicksal akzeptiert werden.
Morris bekannte in einem Brief vom 13. Mai 1889, er jedenfalls möchte nicht in einem solchen Cockney Paradise leben, wie Bellamy es imaginiert habe: Er fühlte sich durch die hierarchische Struktur der maschinellen Arbeitsgesellschaft des Jahres 2000 mit ihrer wachsenden Standardisierung der ProduzentInnen, der Produkte und der KonsumentInnen so provoziert, dass er mit „Kunde von Nirgendwo“ eine Utopie entwarf, die in allen wesentlichen Aspekten das Gegenteil dessen propagierte, was Bellamy unter einem guten Leben verstand.
Bei Morris „hat eine Re-Ökologisierung stattgefunden, die Großstadt London wirkt wie ein weit verstreutes Riesendorf, Hierarchien sind der Dezentralisierung gewichen, in der Arbeit kann man sich wieder vergegenständlichen und das Geld als alles entscheidendes Machtkriterium ist abgeschafft. Sinnbildlich können in der Themse der Zukunftsgesellschaft wieder essbare Lachse gefischt werden. Damit gehört Morris zu den heute aktuell gebliebenen Utopisten der Vergangenheit, weil er die Verknüpfung von Ökologie und Herrschaftsabbau für eine wirkliche Verbesserung menschlichen Lebens als unabdingbar voraussetzt und weil er die individuellen Freiheitsrechte genauso in den Mittelpunkt rückt wie die notwendigen gesellschaftlichen Veränderungen.“ (Wolfgang Haug, S. 180/181)
Nach einer auf das Jahr 1952 datierten Revolution und einem nachfolgenden Bürgerkrieg hat eine Art Kulturrevolution stattgefunden. Und nun sind nicht allein das Geld und das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft, auch der Antrieb des Einzelnen für die Herstellung von Gütern hat sich gewandelt. Da sie keinen Warencharakter mehr haben, nicht mehr gewinnbringend verkauft werden können, liegt die Lust zu ihrer Produktion allein in der Freude an der Kreativität. Damit gilt die Entfremdung der Arbeit als überwunden, zumal die Arbeitsteilung weitgehend aufgehoben ist. Wer will, kann sich spezialisieren, sie oder er wird davon weder materielle Vorteile noch Nachteile haben.
Ernst Bloch hat Morris einen Homespun-Sozialisten und Maschinenstürmer genannt. Das ist jedoch nur bedingt richtig. Die paradiesischen Zustände sind offensichtlich auch für Morris nicht ohne Technik herbeizuführen und aufrechtzuerhalten. Wie Peter Kropotkin (1842-1921) – Theoretiker des kommunistischen Anarchismus – machte auch Morris nicht die Produktion, sondern die menschlichen Bedürfnisse zum Ausgangspunkt seiner gesellschaftlichen Analyse. Die von ihm in den Vordergrund gerückte Veränderung der Bewertung von Gütern, Arbeit und Produktivität und die damit verbundene Theorie der künstlerischen Tätigkeit ist des Nachdenkens wert. Das Buch ist keineswegs nur historisch zu lesen, auch wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse zur Zeit des Entstehens bei der Übertragung auf heute berücksichtigt werden müssen.
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