Das Gespräch ist ein Auszug aus dem Interview, welches im Rahmen von Lucios jüngster Veranstaltungsreihe in Frankfurt geführt wurde. Das Gespräch zog sich fast eine Stunde, Lucio hat viel zu erzählen. Im folgenden Abschnitt spricht Lucio über seinen Freund El Quico. Ein Vorgeschmack auf das bald komplett erscheinende Interview. [Redaktion Zeitlupe]
Quico Sabaté war ein sehr enger Freund von dir. Wie würdest du diese Freundschaft mit ihm und den Einfluss, den er auf dein Leben hatte, beschreiben?
Nun, als ich Quico kennenlernte war ich um die 20, 22 Jahre alt. In diesem halbstarken Alter glaubt man ja alles zu wissen und zu kennen und ist doch noch ein unwissender Niemand. Zum Zeitpunkt als ich Quico Sabaté kennenlernte, hatte ich so gut wie von nichts Ahnung. Zu jener Zeit war Quico schon ein sehr erfahrener Aktivist, der über gute Kontakte zur und Kenntnisse über die CNT als Organisation verfügte und dessen Kontakte bis in die französische Regierung reichten. Das lag unter anderem daran, dass Frankreich dem republikanischen Spanien und vor allem den Anarchisten viel zu verdanken hatte. Beispielsweise bestand die Mehrheit der neunten Brigade, den Befreiern von Paris, die sich schon 24 Stunden vor de Gaulle in der Stadt befand, zu einem Großteil aus Anarchisten.
Die Freundschaft die uns verband war in etwa vergleichbar mit Eltern oder Geschwister, die den jüngeren zur Seite stehen: man kennt und vertraut einander. […] Quico und ich hatten ein solches Verhältnis, allerdings ohne Zwang, wie es in vielen Familien oftmals vorkommen mag. Verglichen mit Quico war ich zwar in vielen Bereichen noch recht unerfahren, aber ich hatte den Respekt gegenüber vielen verschiedenen Autoritäten frühzeitig verloren. Es ist so, wie ich schon öfters erwähnt habe: meine Armut war gleichzeitig mein Reichtum. Anders ausgedrückt: es hat mich keine große Überwindung gekostet, meine Furcht und meinen Respekt gegenüber privatem Eigentum, der Kirche und dem Staat abzulegen. Ich hatte ja nichts zu verlieren und ich sah keine Ungerechtigkeit darin, auf diese Zwänge zu pfeifen. Wurde ich zufällig durch bestimmte Orte oder Situationen an Ereignisse in meiner Kindheit erinnert, beispielsweise im Theater, im Kino oder nur vor dem Fernseher, zerriss es mich förmlich bei den Gedanken an die erlebten Ungerechtigkeiten und Verbrechen, die damals an den Menschen verübt wurden. An Menschen, die niemandem auch nur ein Haar gekrümmt hatten, einfache Menschen, Arbeiter, arme, einfache Leute, die nichts Schlechtes verbrochen hatten. Überhaupt nichts… Die Bekanntschaft mit Quico Sabaté ist jedenfalls für mich nach wie vor der Beweis, dass schon eine Begegnung mit einer bestimmten Person dein Leben maßgeblich verändern kann. […]
Der Grund, nicht mit auf seine letzte Expedition zu gehen, lag daran, dass ich nicht mit dem Zeitpunkt einverstanden war. Quico hätte auch noch nicht gehen sollen. Das Problem bestand vor allem darin, dass die Situation vor Ort zu diesem Zeitpunkt besser hätte sein müssen. Zum Beispiel mit einer funktionierenden Infrastruktur, die damals noch nicht vorhanden war, und ihn gegebenenfalls hätte unterstützen können. Nun, es war tatsächlich das einzige Mal, dass ich mich aufgrund meiner Einschätzung der Lage, die trotz allem eher auf einem Gefühl beruhte, dagegen entschlossen habe, Quico zu begleiten. […]
Wie war deine erste Reaktion als du von dem faschistischen Mord an Quico und seinen Genossen erfahren hast?
Was soll ich sagen? Mich ergriff eine unfassbare Wut, ein schrecklicher Schockmoment. Zwischen Quico und mir bestand eben eine sehr enge Bindung. Alle fünf Ermordeten waren sehr enge Freunde von mir. Uns hat sehr viel verbunden. Wir hatten noch so viele Projekte vor uns, die wir realisieren wollten. An diesem Tag endete unser gemeinsamer Weg. So einen Moment wird man sich nie erklären können.
Wie wichtig war deiner Meinung nach der Einfluss von spanischen Exilanten wie Quico Sabaté auf die sozialrevolutionäre Bewegung in Frankreich?
Dass der spanische Bürgerkrieg drei Jahre dauerte, lag nicht zuletzt an der Existenz einer starken anarchistischen Bewegung, die nicht aufhörte, gegen den Faschismus zu kämpfen. Hätte es diese anarchistische Bewegung nicht gegeben, hätten Franco und seine Schergen ihren Plan schon in wenigen Monaten umsetzen können. Die anarchistische Bewegung in Spanien war damals zweifellos sehr fortgeschritten und hatte eine starke Mobilisierungs- und Widerstandskraft. Trotz des verlorenen Krieges konnten mit den Überlebenden auch jene Ideale der Solidarität und sozialen Revolution bis heute überdauern. Ein anderer wichtiger Faktor war der Umstand, dass nach dem franquistischen Putsch zehntausende Personen, zumeist Anarchisten, in Gefängnissen einsaßen. Diese zu Unrecht kriminalisierten Menschen, die die Gesellschaft von Grund auf verändern wollten, hatten den Respekt vor Autorität und Herrschaft, vor der Religion und vor gesellschaftlichen Zwängen verloren. Diese verbrecherische Gesellschaft konnte man einfach nicht unterstützen. […] Die Personen, die nach Frankreich flüchten konnten, waren auch tatsächlich unter denjenigen, die mit dem kommunistischen Colonel Tanguy, der die Résistance und die französische Befreiung koordinierte, eine zentrale Rolle bei der Befreiung von Paris spielten. Tanguy bemerkte einst, dass die Hälfte Frankreichs durch die Exilanten der spanischen Republik befreit wurde. […] Während der ganzen Jahre im Exil blieb der Wunsch lebendig, eines Tages nach Spanien zurückkehren zu können, um dort die soziale Revolution wiederaufzunehmen und die Gesellschaft zu verändern.
Einen Artikel über die Sabaté-Brüder findet sich hier.