Betrieb & Gesellschaft

Kolumne Durruti

Alltagsgeschichten aus dem real existierenden Kapitalismus

Ich hatte dröhnende Kopfschmerzen. Migräne – kein Wunder zu dieser Zeit. Ich und die alles erdrückende Migräne begaben uns auf die Notfallstation des Universitätsspitals. Dort ist der Zugang zu abhelfenden Chemikalien um einiges schneller als beim Hausarzt. Item1, ich war da auf jeden Fall auf einem unbequemen Stuhl in der Notfallaufnahme, hatte noch halb Kopfschmerzen, halb war ich schon daran auf einer flauschigen Wattewolke gegen die Zimmerdecke zu schweben, als ich ein Gespräch mitanhörte. Es war ein GastarbeiterInnenpaar, dem Akzent nach aus dem Billiglohnland im Norden, aber wieder item, das spielt keine Rolle. Auf jeden Fall waren sie in einem lebhaften Gespräch mit einer Pflegerin. Es ging offenbar um eine bald bevorstehende Geburt und die Pflegerin fragte so Fragen, die halt so gefragt werden, wenn eine bürokratische Care-Institution sich gegen alle Eventualitäten absichern will. Dann kamen noch ein paar Fragen zu Wehenintervallen oder so, das habe ich dann nur so teilweise verstanden, denn anscheinend immer dann wenn sich meine schöne Wolke in Luft auflöste und die Migräne zurückkam, schien die Frau wieder Wehen zu haben. Item. Ich war offenbar nicht die einzige Person mit einem Gehör für Akzente, denn die Pflegerin stellte plötzlich so fragen nach Herkunft: „Entschuldigen Sie, aber mit ihrem Akzent, da können Sie keine Schweizer sein.“ Die Frau „nnnggg… Nein… Wieso?“ „Es tut mir ja schrecklich leid, aber wir müssen das schon länger immer fragen. Erst wegen den Illegalen und jetzt wegen den Kontingenten. Wo sind sie denn her?“ „ffffff…a-a-aus Deutschlandfff…fff“ Und ihr Mann fügte an: „Aber wir wohnen schon seit fünfzehn Jahren in der Schweiz und arbeiten hier.“ Worauf die Pflegerin mit gefühlsloser Einfühlsamkeit meinte: „Das spielt keine Rolle. Sie haben keine andere Staatsbürgerschaft?“ Die Frau verursachte bei mir einen neuen Migräneschub und der Mann antwortete: „Nein, wieso?“ „Das Problem ist, sie sind Deutsche und wollen hier bei uns ein Kind bekommen.“ „Ja, und?“ „Die Datenbank meldet mir, dass die Kontingente für Deutschland bereits ausgeschöpft sind.“ „…das heißt?“ „Sie können ihr Kind hier nicht bekommen, weil sonst wäre ein deutscher Staatsbürger – es wird doch ein Junge nicht wahr? Gratuliere! – zu viel in der Schweiz.“ Die Frau und der Mann starrten zuerst sich ungläubig an und dann die Pflegerin. Diese fuhr fort: „Sie wohnen doch hier seit Jahren nicht wahr? Dann wissen Sie sicher auch von der Massengebärinitiative. Die legt fest, dass nur eine bestimmte Anzahl Geburten von Ausländern in der Schweiz passieren dürfen. Wo kämen wir sonst hin mit unserem kleinen Land?“ „Ja, aber…“ versuchte der Mann ein Argument vorzubringen, während er auf seine Frau zeigte. Jäh unterbrach ihn die Pflegerin: „Nichts aber, der Gebärmuttermund von Ausländerinnen ist, seit der Annahme der Initiative, Außengrenze. Da ist nichts zu machen, außer natürlich es ist ein eingebürgerter Gebärmuttermund.“ Die Frau schrie, meine Wolke wurde schwarz und es schlugen Blitze aus ihr, die Kopfschmerzen wurden bestialisch. Und dann, dann wachte ich auf. Schweissgebadet. Kopfschmerzen hatte ich keine, bis ich die Zeitung aufschlug und Berichte über die Schuld der Ausländer an der Wohnungsnot las. Ohne Ausweg, dachte ich, egal ob du träumst oder nicht, die gleiche Scheiße. Zum Glück habe ich ja noch einen anderen Pass, zum Glück habe ich auch noch die italienische Staatsb… Und aus den Kopfschmerzen wurde eine Migräne.

[1] Berndeutsch für „sei es wie es will“

Celestino Della Morte

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Veröffentlicht von
Celestino Della Morte

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