Die durch die Troika aus EU-Kommission, EZB und IWF forcierte soziale Zertrümmerung Griechenlands schreitet voran. Entlassungen, Firmenschließungen, staatliche Kürzungen und verschärfte Repressionen gegen alle, die sich wehren, bestimmen den Alltag. Tausende kleine und mittlere Unternehmen sind bankrott und die Städte gekennzeichnet durch leere Schaufenster und Betriebe. Die Rechnung zahlen vor allem die Lohnabhängigen, die oft mehrere Monate unbezahlt arbeiten, um schließlich ohne Abfindung oder Perspektive auf einen neuen Job auf der Straße zu landen. Bei einer Arbeitslosenrate von 29 Prozent und einer Jugendarbeitslosigkeit von 63 Prozent wachsen Angst und Perspektivlosigkeit. Nicht mitgezählt sind alle, die mindestens zwei Stunden pro Woche arbeiten und deshalb nicht als arbeitslos gelten. Über 300.000 Griechen und Griechinnen sind ausgewandert, knapp 4000 Menschen haben aus Verzweiflung Suizid begangen.
Die Rolle Deutschlands in diesem Prozess und auch der Profit, den es aus der Zerschlagung der staatlichen Infrastruktur Griechenlands zieht, werden bis heute verschwiegen. Die vielfältigen Proteste in den Massenmedien als unberechtigtes Aufbegehren von FaulenzerInnen und ExtremistInnen dargestellt. Die Schmiergeldzahlungen deutscher Firmen (u.a. Siemens, Deutsche Bahn, MAN) an griechische PolitikerInnen höchstens verschämt in den Wirtschaftsspalten erwähnt und das nationalistische Rollback im Griechenland der Krise, die rassistischen Angriffe, der Aufstieg der FaschistInnen von Chrysí Avgí oder die mörderische Flüchtlingspolitik systematisch ausgeblendet.
Dennoch finden noch immer täglich Aktionen, Demonstrationen, Besetzungen und Streiks in vielen Sektoren statt. Soziale Zentren, Kooperativen und Kollektivbetriebe entstehen trotz gesteigerter Repression im ganzen Land. Aus Enttäuschung über die staatstragenden Gewerkschaften und die Parteien, aus Alternativlosigkeit oder purer Not wählen viele Menschen den Weg der Selbstorganisation. Über 3000 selbstverwaltete Initiativen sind inzwischen entstanden, vernetzen sich und präsentieren somit den Entwurf einer solidarischen Gesellschaft.
Ein eindrucksvolles Beispiel ist die besetzte Fabrik Viomichanikí Metalleftikí (Vio.Me) in Thessaloníki. Vio.Me wurde 1982 als eine von drei Tochterfirmen des Unternehmens Philkeram & Johnson gegründet, das Keramikkacheln produzierte. Die Firma stellte chemische Baumaterialien wie Fugenkleber her und belieferte Baufirmen in Griechenland und im benachbarten Ausland. Seit Mai 2011 stellten die BesitzerInnen die Lohnzahlungen ein, verschuldeten den Betrieb und machten sich schließlich aus dem Staub. Um die Demontage der Produktionsmittel zu verhindern und die Zahlung der ausstehenden Löhne zu erzwingen, besetzten die ArbeiterInnen die Fabrik. Da ihre Lohnforderungen ignoriert wurden und die üblichen Wege – Gerichtsverfahren, Investorensuche – die der Kapitalismus für diesen Fall bereit hält, ohne Erfolg blieben, beschlossen sie, die Produktion in die eigene Hand zu nehmen. Im Februar 2013 feierten tausende Menschen mit einem großen Solidaritätskonzert die Wiedereröffnung der Fabrik. Seit April 2013 produziert Vio.Me mit Hilfe selbstorganisierter Strukturen Thessaloníkis umweltfreundliche Reinigungsmittel. Die Produkte werden in sozialen Zentren, anarchistischen Treffpunkten, besetzten Häusern und auf informellen Märkten vertrieben. Ziel ist es auch, mittels des Produkts und der selbstverwalteten Produktion und Verteilung die Vision einer selbstorganisierten Gesellschaft zu vermitteln. Alle Gespräche mit staatlichen Behörden sind bisher gescheitert. Auch die von der KKE dominierte Gewerkschaftsfront Pame und der Gewerkschaftsdachverband GSEE verweigern die Unterstützung der Fabrik in Selbstverwaltung. Trotzdem machen die ArbeiterInnen weiter und kämpfen für ihre Ziele: Übernahme der Aktien von Vio.Me ohne die angehäuften Schulden. Sie wollen die Rückzahlung der Kredite von über 1,9 Millionen Euro, die an den Mutterkonzern Philkeram & Johnson gezahlt wurden, und sie stellen die Forderung an Vio.Me, die ausstehenden Löhne zu begleichen.
Ein Zusammenschluss von Kollektivbetrieben, Basisgewerkschaften, politischen Gruppen, Netzwerken und Einzelpersonen aus Deutschland versucht den Kampf der Vio.Me-ArbeiterInnen solidarisch zu unterstützen. Das Beispiel der selbstverwalteten Fabrik in Thessaloníki soll bekannt gemacht werden. Darüber hinaus sind alle aufgerufen, sich dem Krisendiktat der Troika nicht zu beugen, sich selbstorganisierten Initiativen anzuschließen. Vio.Me zeigt, dass es eine Alternative jenseits von Austerität, Nationalismus und sozialer Zertrümmerung gibt – die Solidarität sozialer Bewegungen und die Selbstorganisation von unten. Außerdem will der UnterstützerInnenkreis Druck auf die griechische Regierung und ihre europäischen PartnerInnen ausüben, da die Gefahr einer Räumung des Projekts immer bestehe. „Vio.Me hat mittlerweile in ganz Griechenland und einigen Ecken Europas viele FreundInnen gewonnen. Falls Vio.Me oder andere selbstverwaltete Strukturen von staatlicher Repression betroffen sind, werden wir nicht still sein, sondern unseren Protest spürbar auf die Straße und in die Öffentlichkeit tragen.“
Interessierte Gruppen, Betriebe und Einzelpersonen können sich in Kontakt setzen: friendsofviome(a)riseup.net
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