Betrieb & Gesellschaft

Bildung und Kultur: Ein ewiges und wichtiges Thema

Interview mit einem Mitglied der Anarchosyndikalistischen Jugend (ASJ) Berlin

Mit diesem Interview möchten wir (die FAU Nürnberg) versuchen, eine Diskussion über die Bedeutung von Bildungs- und Kulturarbeit in Gang zu setzen.

Was versteht ihr unter Bildung und Kultur?

Viele haben sich bereits an einer Definition dieser Begriffe versucht. Uns ist es besonders wichtig zu betonen, dass Bildung nichts ist, was als festes Wissen von oben eingetrichtert wird, sondern immer ein eigenes – eigentlich natürliches – Interesse voraussetzt und im Dialog passieren sollte. Wir finden daher etwa Ansätze von Schule interessant, die sich am Interesse und dem Forschergeist der Lernenden orientieren. Selektieren durch Notengebung lehnen wir ab. Bildung sollte immer auch Selbstermächtigung sein. Aufgabe einer anarchosyndikalistischen Bildung ist es dann auch, sich Dinge beizubringen, die in institutionalisierten Bildungsorganisationen auf der Stecke bleiben beziehungsweise Raum für kritisches Hinterfragen zu geben. Kultur bedeutet für uns nicht nur
Kunst, sondern gestalterischer Prozess allgemein. Die Form, die Zusammenleben heute annimmt, unsere Werte und Normen, die Nutzung von Technik – auch das ist Kultur. Der Begriff kann aus unserer Sicht aber nie wertfrei betrachtet werden, sondern Kulturentwicklung muss immer eine gewisse Zielvorstellung beinhalten – also Werte wie Verantwortlichkeit, Solidarität, Gleichheit und Freiheit anstreben. Nur dann kann überhaupt von einem kulturellen Prozess gesprochen werden.

 

Wie sieht ihr den Einfluss des Staates auf die Bewohnerinnen in diesen Machtbereichen?

Puh, das ist eine ziemlich große Frage. Wenn wir es mal auf das Thema des Interviews – nämlich Bildung und Kultur – herunter brechen, erscheint es vor allem wichtig, verstaatlichtes Denken anzugehen. Sicherlich gibt es eine sehr reale Staatsgewalt, die Repression verübt, die abschiebt, die die Verhältnisse sichert. Es gibt aber auch eine Presse, die ganz freiwillig nationale Deutungen übernimmt und Menschen, die sie rezipieren, weil sie glauben, die nationale Sache sei gut für sie. Zum verstaatlichten Denken gehört es aber etwa auch, wenn Strafen und Knast für grundsätzlich notwendig angesehen werden, um den sozialen Frieden zu sichern, wenn parlamentarische Demokratie als die beste aller Entscheidungsformen anerkannt und der Kapitalismus im Angesicht autoritärer Alternativen als letztlich alternativlos betrachtet werden. Wenn die Zwänge stumm durchgesetzt werden, erscheint alles fälschlich frei. Daher ist es uns wichtig, an diesen Legitimationen zu kratzen. Außerdem gibt es nicht nur den Gegenpol Staat – Gesellschaft bzw. Arbeiter*innenklasse, denn das würde Ausgrenzungsmechanismen wie Rassismus und Sexismus ausblenden und vom eignen Leben wegschieben. Diese sind für uns kein Nebenwiderspruch. Wir haben daher etwa den selbstverwalteten Refugee-Protest auf dem Oranienplatz unterstützt und aktuell gerade eine Feminismus-AG gegründet. Auch im schulischem Unterricht werden so gut wie nie staatskritische Gedanken oder Ideen thematisiert, geschweige denn auf staatslose Gesellschaftskonzepte aufmerksam gemacht – nicht einmal in Politikwissenschaft oder Geschichte. Wer sich also nicht selbstständig, in seiner*ihrer Freizeit damit beschäftigt, kommt mit derartigen Ideen also unter Umständen nie in Berührung, obwohl potentielles Interesse existieren könnte. Durch Vorgaben des Bildungssenats ist auch Lehrer*innen, die derartiges thematisieren würden, wenig Raum für Unterrichtsstoff gegeben, der nicht vorgeschrieben ist. Ein weiterer Aspekt des staatlichen Schulsystems in Deutschland ist, dass durch reguläre schulische Arbeit (Prüfungen, Noten, Abschlüsse als Notwendigkeit für gesellschaftliche Anerkennung und Teilhabe) enormer Leistungsdruck erzeugt wird, Disziplin als ein unter allen Umständen zu lebender Wert in den Köpfen der Schüler verankert und gleichzeitig Abneigung gegenüber selbstständigem außerschulischem Lernen erzeugt wird.

 


 

Was macht ihr für Kultur und Bildungsarbeit?

Wir veranstalten einmal im Monat einen Tresen, welcher in der Regel mit einer inhaltlichen Veranstaltung verknüpft ist – dass kann ein Vortrag zu einem interessanten Thema sein, eine Diskussion oder auch einfach nur ein Konzert. Außerdem halten wir in unregelmäßigen Abständen Infoveranstaltungen ab – sowohl extern als auch intern für die eigene Bildung. Wir produzieren ein regelmäßig erscheinendes Magazin, das „Schwarze Kleeblatt“. Zur Redaktion sind alle eingeladen, auch wenn sie sonst nicht regelmäßig bei der ASJ aktiv sind. Auch zu bestimmten Anlässen wie der „Young Union Movement“ -Kampagne produzieren wir Broschüren und/oder veranstalten zum Austausch eine Podiumsdiskussion. Nicht zuletzt zur Finanzierung stehen dann auch immer wieder mal Partys und Konzerte an. Letztlich orientieren wir uns immer daran, was den Mitgliedern gerade wichtig ist. Wir hatten lange Zeit eine AG, die sich explizit mit Schule und libertärer Bildung beschäftigt. Wenn sich hierzu wieder Interessierte finden, sind wir offen, sie wieder mit Leben zu füllen.

 

Wo sieht ihr Ansatzpunkte, um anarchosyndikalistische Kultur und Bildung zu verbreitern?

Sicher haben wir eine andere Situation als noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als eine eigene Arbeiter*innenkultur insbesondere deshalb wichtig war, weil kulturelle, sportliche und Bildungsangebote (etwa Bibliotheken) sehr viel exklusiver waren. Heute mag ein von uns gezeigter Film nur ein Angebot unter vielen sein. Dennoch ist wichtig, die Gewerkschaft nicht nur zu etwas zu machen, wo man hingeht, wenn man Probleme mit bestimmten Arbeitsbedingungen hat – sondern sie auch eine Art Gegenkultur zu etablieren. Zumindest wenn das Ziel ist, die Keimzelle einer nachkapitalistischen Gesellschaft zu bilden. Damit meinen wir keine exklusive Jugend- und Subkultur im Sinne einer „linken Szene“, sondern offen zu sein für die kulturellen und Bildungsbedürfnisse der tatsächlichen Mitglieder.

 

Welche Ansätze müssen wir für uns verwirklichen, um unser Gedankengut in der Bevölkerung zu verbreiten?

Wir müssen vor allem an der Lebenswirklichkeit der Menschen anknüpfen und ihnen Angebote machen, wie sie selbst aktiv werden können. Dafür ist der eigene Arbeitsplatz ein guter Ort, weil hier ein Großteil der Zeit verbracht wird, aber auch, weil Arbeitskraft benötigt wird und Streiks somit einen mächtigen Hebel darstellen können. Deshalb fördern wir gewerkschaftliches Engagement. Ein anderer Ort wäre die eigene Wohnung – Mieterkämpfe wie im Rahmen von „Zwangsräumungen verhindern“ sind ebenfalls direkte Aktionen in unserem Sinne. Theorie ist wichtig, aber noch wichtiger ist es, Menschen dazu zu ermutigen, selbstverwaltet und solidarisch Widerstand zu leisten. Und klar zu machen, dass Politik nichts ist, was irgendwie abstrakt „da oben“ verhandelt wird (bzw. werden sollte), sondern jede*n ganz konkret im eigen Alltag angeht.

 

Wir bedanken uns für das Interview und wünschen euch noch eine erfolgreiche Bildungs- und Kulturarbeit.

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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