Betrieb & Gesellschaft

Prost, Mahlzeit!

Weltkulturerbe mit Ausbeutung: Die Schattenseiten der Regensburger Gastronomie

Das italienische Flair Regensburgs ist das Sahnehäubchen auf der historischen Altstadt. Unzählige RegensburgerInnen und TouristInnen genießen es, in der „nördlichsten Stadt Italiens“ in einem der unzähligen Cafés zu sitzen. Diese Lebensqualität sucht man in anderen Städten oft vergebens. Auch bei der Wahl des Studienortes ist nicht zuletzt die hohe Kneipendichte ein „Zuckerl“, das den Ausschlag bei der Entscheidung für Regensburg gibt. Die Gastronomie sorgt dafür, dass die Stadt ihren speziellen Charme erhält.

Hinter den Kulissen ist das Bild wesentlich düsterer. Denn die Menschen, die dazu beitragen eben genau dieses eigene Flair zu schaffen, werden ausgenutzt und ihre Rechte mit Füßen getreten. Gemeint sind ausnahmsweise nicht die WirtInnen, sondern die BarkeeperInnen, TellerwäscherInnen, Bedienungen, Küchenhilfen, KöchInnen und BeiköchInnen. Bei einer Umfrage der FAU Regensburg in über 25 Kneipen, Cafés, Restaurants und Bistros der Innenstadt sind erschreckende Zustände ans Licht gekommen.Niedriglöhne und Rechtsverstöße sind die Regel: Die überwiegende Mehrheit der Befragten arbeitet in einem Minijob, doch nur in vier Fällen wird den MinijobberInnen ein Stundenlohn von 8,50 Euro oder mehr gezahlt. Aber auch bei den Festangestellten konnte die magische Grenze des von der Regierung propagierten Mindestlohns oft nicht erreicht werden. Meistens lag der Lohn zwischen 6 Euro und 7,50 Euro und damit weit davon entfernt.Die Umfrage der FAU Regensburg ergab, dass fast in jedem Betrieb grundlegende Arbeitsrechte ignoriert werden. So gibt es oft keinen bezahlten Urlaub oder Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, obwohl selbstverständlich auch im Minijob ein Anspruch besteht.Um in unserer Stadt leben und an dem Flair teilhaben zu können, müssen Beschäftigte in der Gastronomie sehr lange und hart arbeiten. Betrachtet man die steigenden Mieten auch in den Randbezirken, kommt man zu dem Ergebnis, dass GastrojobberInnen über eine Stunde arbeiten müssen, um einen Quadratmeter Wohnraum zu finanzieren. Das „Zuckerl“ wird für diejenigen bitter, deren gesetzlich verankerte Arbeitsrechte missachtet werden. Die persönlichen Berichte der Beschäftigten zeigen, dass noch dazu ungesunde Arbeitsplätze, Schwarzarbeit, sexuelle Belästigung und unbezahlte Mehrarbeit in der Gastronomie weit verbreitet sind.Wer das nächste Mal die unvergleichliche Atmosphäre oder das Nachtleben genießt, sollte daran denken, dass es mit einem dicken Trinkgeld allein nicht getan ist. Ein Lohnspiegel, der auf der Umfrage basiert, ist auf der Website der FAU Regensburg einsehbar:

fauregensburg.wordpress.com

 

Erwin Mühsal und Cindy Mecate

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Erwin Mühsal und Cindy Mecate

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