Selbst linke Medien vermeldeten nach den neuesten DGB-Beschlüssen zur „Tarifeinheit“ einen angeblichen Kurswechsel der angeschlossenen Gewerkschaften zu diesem Thema. Doch was ist dran an dieser Botschaft?
Ursprünglich hatten DGB und BDA gemeinsam (!) eine gesetzliche Regelung der sog. Tarifeinheit im Betrieb (unter Ausschluss weniger stark organisierter Gewerkschaften) verlangt. Die schwarz-gelbe Regierung versagte ihnen zunächst die Gefolgschaft. Doch dann griff die Große Koalition von SPD und CDU/CSU die Forderung auf und kündigte ein entsprechendes Gesetzesvorhaben an. Zahlreiche kleinere Gewerkschaften kündigten an, vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Auch innerhalb der DGB-Gewerkschaften wuchs die Kritik. Unter Zugrundelegung des geplanten „Mehrheitsprinzips“ hätte die Einführung des Prinzips der Tarifeinheit per Gesetz in bestimmten Bereichen sogar die Tariffähigkeit von DGB-Gewerkschaften in Frage gestellt (so z. B. im Gesundheitswesen). Schließlich sprach sich die Gewerkschaft ver.di sogar ausdrücklich gegen dieses Gesetzesvorhaben aus. Der DGB-Vorsitzende Hoffmann kam in seiner Rede auf dem DGB- Kongress zu folgender Schlussfolgerung:
„Schon heute ist klar, dass für den Fall einer gesetzlichen Regelung zur Tarifeinheit mehrere Organisationen angekündigt haben, wegen der Einschränkung des Streikrechts vor das Verfassungsgericht zu ziehen. Auch viele uns nahestehende Juristen sagen, dass sie dort gute Chancen haben, dass eine solche Regelung vom Verfassungsgericht kassiert wird.“
Damit ist klar, dass einer der zentralen Hintergründe für den Verzicht auf Unterstützung des konkreten Gesetzesvorhabens die Befürchtung war und ist, Rechtsmittel gegen das neue Gesetz könnten erfolgreich sein (und damit auch zu einem massiven Legitimationsverlust der DGB-Gewerkschaften beitragen).
Hat dies aber auch seinen Niederschlag in der Beschlussfassung des DGB-Kongresses gefunden? Die Antwort ist ein klares: Nein. Auf dem Kongress lagen zur Beschlussfassung verschiedene Anträge und auch verschiedene Änderungsanträge vor. Aus Niedersachsen kam der Vorschlag, alle Gesetzesänderungen abzulehnen, die auch nur das „Risiko“ beinhalten würden, das Streikrecht einzuschränken. In dem Antrag 001 wurde jede gesetzliche Regelung des Streikrechts grundsätzlich abgelehnt. Doch diese Vorschläge wurden nicht verabschiedet. Im Gegenteil: Für die IG Metall erklärte Brigitte Runge, dass man eine gesetzliche Regelung des Streikrechts nicht grundsätzlich ablehnen könne. Schließlich wäre man ja auch damit einverstanden, wenn der Gesetzgeber etwa regeln würde, „dass das politische Streikrecht … auch zur Koalitionsfreiheit … gehört“.
Man ist überrascht: Gab oder gibt es eine Debatte über die Garantie des politischen Streikrechts? Gewiss: Eine Debatte schon. Aber keine Debatte auf dem DGB-Kongress und erst recht keine Debatte innerhalb der amtierenden Gesetzgebung oder etwa beim Bundesarbeitsgericht. Die Haltung, eine gesetzliche Regelung des Streikrechts grundsätzlich abzulehnen, haben die Gewerkschaften in den letzten Jahrzehnten nicht von ungefähr vertreten: Bei einer „Regelung“ geht es bekanntlich nicht um eine „Rechtsgarantie“ sondern um Regularien, so wie sie das Bundesarbeitsgericht in seinem sogenannten „Arbeitskampfrecht“ festgelegt hat. Und diese Regularien sichern nicht das Streikrecht, sondern schränken es ein. Das ist das Wesen jeder Regel, dass sie Einschränkungen enthalten muss. Handlungsspielräume werden auch eingeschränkt. Die Tarifautonomie relativiert.
Doch offensichtlich ist dieses nicht mehr die Linie des DGB. Und das Ziel, eine „Tarifeinheit“ im Betrieb herzustellen, ist vom DGB keineswegs aufgegeben worden. Der DGB-Vorsitzende formulierte in seiner Rede ausdrücklich:
„Jetzt wissen wir alle, was die Schwarz-Rote-Koalition im Koalitionsvertrag vereinbart hat. Sie will die Tarifeinheit stärken. Da kann ich sagen: Dieses politische Ziel werden wir natürlich nachhaltig unterstützen (!). Wir brauchen eine Stabilisierung der Tarifeinheit (!). Wenn die Große Koalition uns (!!) dabei helfen will, dann nehmen wir dieses Angebot zur Hilfe natürlich an.“
Daran schloss er die Bemerkung an, dass die „Sicherung der Tarifeinheit“ aber keinen Eingriff ins Streikrecht bedeuten könne und „natürlich verfassungskonform“ sein müsse. Das ist der Punkt: Dahinter stehen von Tarifexperten der Koalition laut FAZ angedachte Pläne, das Thema Tarifeinheit durch das Thema Tarifkonkurrenz zu ersetzen und eine schon vorhandene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu diesem Thema gegebenenfalls gesetzlich zu verfestigen. Dies würde bedeuten, dass z. B. bei einer Tarifkonkurrenz Tarifverträge für eine gesamte Belegschaft gegenüber Tarifverträgen für einzelne Beschäftigtengruppen vorrangig sein sollen. Man kann darüber streiten, ob dies verfassungskonform ist. Entscheidend ist, dass auch der DGB sich vorbehält, entsprechende Initiativen zu unterstützen, sofern diese „verfassungskonform“ sind. Und da ja auch die Regierung schon hat verlauten lassen, dass man selbstverständlich das Grundrecht in Art. 9 GG unangetastet lassen werde, kann man ahnen, was da ausgebrütet werden dürfte. Hinzu kommt, dass das Bundesarbeitsgericht in seinem Beschluss aus dem Jahre 2010 ausgeführt hat, es sähe „derzeit“ keine Anzeichen dafür, dass der beabsichtigte Eingriff in die Koalitions- und Streikfreiheit zur Wahrung der „Funktionsfähigkeit“ der Tarifautonomie erforderlich sei. „Derzeit“. Genau an diesem „Beleg“ arbeiten bereits „Rechtsexperten“ auch aus der akademischen Zunft.Sofern der DGB den Eindruck erweckt haben sollte, als würden nunmehr das Ziel der Tarifeinheit „nur“ noch auf politischem und nicht mehr auf rechtlichem Wege verfolgt, ist dieser Eindruck falsch. Die Realität ist eine völlig andere: Nicht nur der DGB allgemein sondern vor allem auch die angeblich dem Tarifeinheitsgesetz gegenüber besonders kritische Gewerkschaft ver.di verfolgen in der täglichen Praxis weiterhin das Ziel, sog. „unsolidarische Splittergruppen“ auch und gerade rechtlich zu bekämpfen. Der Verfasser hat zurzeit wieder eine Akte auf dem Tisch, in welcher sich etwa die Gewerkschaft ver.di in einem Statusverfahren gegen die Existenz einer neu gegründeten Gewerkschaft im Versicherungsgewerbe richtet.
Fazit: Wer ausdrücklich erklärt, lediglich im Hinblick auf verfassungsrechtliche Bedenken und das Risiko einer Niederlage beim Bundesarbeitsgericht und beim Bundesverfassungsgericht auf die Unterstützung der geplanten Initiative der Bundesregierung zur Tarifeinheit zu verzichten, ist wenig glaubwürdig. Dies gilt umso mehr dann, wenn er weiterhin das Ziel verfolgt, etwa über dem Weg der Tarifkonkurrenz mit anderen juristischen Mitteln das gleiche politische Ziel zu verfolgen. Oder der Status alternativer Gewerkschaftsinitiativen weiterhin rechtlich bekämpft wird.
Die Sicherung des Streikrechts bleibt weiter aktuell. Der Beschluss des DGB bestätigt die Richtigkeit dieses Kampfes, aber er markiert keineswegs sein Ende. Die Forderung nach Tarifeinheit stärkt nicht etwa die Aktionseinheit der Arbeiterschaft sondern spaltet sie, egal ob sie im rechtlichen Gewand einer „verfassungskonformen“ Tarifkonkurrenz oder „nur“ als gewerkschaftspolitische Forderung daherkommt. In diesem Zusammenhang ist es alles andere als ein nur „akademischer Streit“, was da auf dem DGB-Kongress genau beschlossen wurde, wie Olaf Harms in Junge Welt meinte: Nein, diese Beschlüsse belegen die nach wie vor starken auf Spaltung der Belegschaften gerichteten Bestrebungen innerhalb des DGB.
(Dieser Text ist eine Kurzfassung eines Referats des Verfassers auf der Konferenz „Hände weg vom Streikrecht!“ in Frankfurt am 15.6.2014)