Über die Risiken und Nebenwirkungen des TTIP, das derzeit zwischen EU und USA verhandelt wird
Sparen wir uns das Gerede über Chlorhähnchen und den bösen US-Raubtierkapitalismus. All das ist bereits Teil der Empörung um die Transatlantische Freihandels- und Investitionspartnerschaft (TTIP). So war in der Ver.di-Zeitung Kunst und Kultur im Juli 2014 zu lesen, es gehe bei TTIP „um einen imperialen Kampf von Systemen zwischen Europa und den USA“. Das ist natürlich Unfug: US-BürgerInnen wären genauso betroffen, EU-Unternehmen würden ebenso profitieren, und EU wie USA treiben die Verhandlungen gleichermaßen voran.
Die EU-US-Freihandelszone würde mehr als ein Drittel des Welthandelsvolumens und 800 Millionen ArbeiterInnen und KonsumentInnen umfassen. Indes, „Freihandelszone“ ist nicht ganz richtig, denn der Abbau von Zollschranken, das war früher. Heute geht es um die „tatsächliche Öffnung der Märkte“, denn bei Zöllen von drei bis sieben Prozent bleibt im klassischen Sinne nicht viel Spielraum. Seit Sommer 2013 geht nun alles recht schnell, sechs Verhandlungsrunden sind bereits absolviert, und der Abschluss ist für Ende 2014 geplant – dies ist allerdings nur realistisch, wenn das CETA-Abkommen zwischen EU und Kanada, das immerhin gut vier Jahre lang verhandelt wurde, tatsächlich als Blaupause dient.
Von den drei offiziellen TTIP-Hauptzielen stehen zwei im Zentrum der Kritik: Das erste, der völlige Abbau von Zöllen, gehört nicht dazu. Obwohl, bei 140 Milliarden Handelsvolumen zwischen BRD und USA sind auch drei Prozent noch 4,2 Milliarden Euro. Kein Pappenstiel also. Aber die dickste Kuh auf dem Eis ist zweifellos der „Investitionsschutz“. Zu diesem Zwecke sollen private Schiedsgerichte (ISDS) eingeführt werden, vor denen Konzerne Staaten auf Schadenersatz verklagen können: eine „Allzweckwaffe der Unternehmen“, und eine Selbstbeschneidung der Politik. Die Verhandlungen hierzu sind zwar seit Januar 2014 ausgesetzt, aber noch nicht vom Tisch. Der zweite große Kritikpunkt ist der „Abbau nicht-tarifärer Handelshemmnisse“. Hier ist von einer Harmonisierung der Standards, von Bürokratie-Abbau und Vereinfachung die Rede – hier stehen u. a. die Chemie- und die Automobilindustrie auf der Matte. Denn bei „Harmonisierung“ kommt erfahrungsgemäß der kleinste gemeinsame Nenner zum Tragen: US-Banken platzen sicher schon vor Vorfreude, ist doch der Finanzsektor in den USA infolge der Subprime-Krise 2008 deutlich stärker reguliert als die Finanzmärkte in Frankfurt oder London. Die EU ihrerseits will die für öffentliche Anschaffungen geltende „Buy American, Buy Local“-Klausel knacken und verfolgt hier laut Verhandlungsmandat „offensive Interessen“.
Sollte das CETA-Abkommen tatsächlich als Blaupause dienen, ist sowohl mit der Einrichtung von Privatgerichten zu rechnen als auch mit einer „Harmonisierung nach unten“: Einer Vorlage im kanadischen Parlament zufolge gelten künftige Liberalisierungen, auch wenn sie von nur einer Seite (etwa der EU) beschlossen werden, dann als der verbindliche Standard. Laut derselben Vorlage sind u. a. Gesundheits- und Bildungswesen sowie der Kulturbereich von dem Abkommen zwar ausgenommen, aber der Energiesektor und die Landwirtschaft dürften unter verschärften Konkurrenzdruck geraten, und „Buy Local“-Klauseln etwa für Einrichtungen des öffentlichen Rechts (z. B. Verkehrsbetriebe) gelten nur bis zu einem Schwellenwert von 200.000 Euro.
EU-Kommission und Bundesregierung versuchen nun, zu beschwichtigen: die Befürchtungen seien überzogen, im Grunde ändere sich gar nichts, etc. – im EU-Verhandlungsmandat aber steht zu lesen, dass die Politik „ehrgeizige Ziele“ verfolge. Daher ist ein ausgeprägtes Misstrauen angebracht. Eine EU-BürgerInneninitiative wird ab September Unterschriften sammeln, „gegen TTIP und CETA“ – mindestens eine Million sind nötig. Das wäre ein starkes Signal an den EU-Handelsausschuss und an das EU-Parlament. Auch der Europäische Rat, in dem die Regierungen der Mitgliedstaaten vertreten sind, muss über das TTIP entscheiden – die Bundesregierung ist also durchaus eine richtige Adresse für Proteste.
ArbeitnehmerInnenrechte und Gewerkschaftsfreiheit im Visier. TTIP: Freihandelsabkommen zwischen USA und EU stoppen! Ein Aufruf zum Widerstand, Januar 2014, arbeitsunrecht.de/ttip-stoppen
Die Europäische BürgerInneninitiative gegen TTIP und CETA, Website derzeit nur auf Englisch, September 2014, stop-ttip.org
Wirtschafts- und Handelsabkommen CETA, Zusammenfassung durch Unternehmensanwalt Günter Knorr, kanadischesrecht.de/fachartikel/wirtschafts-und-handelsabkommen-ceta
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