Joe Sacco kämpft gegen das Leid auf der Welt. Seine Waffe: Ein Zeichenstift
Der Comiczeichner Joe Sacco bezeichnet sich selber als Journalisten. Ungewöhnlich ist nicht nur, dass er seine Reportagen in Comicform verfasst, sondern auch, dass er sich in seiner Berichterstattung auf einen kämpferischen Standpunkt stellt: Er will den Ungehörten, den Leidenden eine Stimme geben. „Ich glaube nicht, dass ich verpflichtet bin, auch die gedrechselten Entschuldigungen und Ausflüchte der Mächtigen wied
erzugeben. Die Mächtigen werden von den Mainstream-Medien und von Propaganda-Organen im Allgemeinen gut bedient“, sagt Joe Sacco im Vorwort zu seinem bereits 2013 ins Deutsche übersetzten und bei der Edition Moderne veröffentlichen Band „Reportagen“. Hierin versammelt er die meisten seiner kürzeren Arbeiten, die er in den letzten Jahren für Zeitungen und Magazine wie Time, The Guardian und Boston Globe verfasst hat.
Trotz zahlreicher Preise für seine Arbeit muss er nach wie vor für die Legitimität des Mediums Comic im journalistischen Geschäft werben. Oft werde es von gestandenen RedakteurInnen nicht ernst genommen, so Sacco. Der Vorwurf: Das Medium Comic würde nicht dem Anspruch journalistischer Objektivität gerecht werden. Ohne in Frage zu stellen, ob es überhaupt so etwas wie „journalistische Objektivität“ gibt, entgegnet er dem Vorwurf trotzig, er wolle auch gar nicht objektiv sein. „Ich kann nur wiederholen, dass ReporterInnen neutral und ohne Vorurteile auf der Seite der Leidenden stehen sollten“, zitiert Sacco den britischen Journalisten Robert Fisk.Im Vorwort zu „Reportagen“ sagt er eigentlich zweierlei sich Widersprechendes: Er wolle ein Regulativ zu dem „Mainstreamjournalismus“ sein, der die Perspektive der UnterdrückerInnen einnehme, und er wolle den Standpunkt der Unterdrückten einnehmen, da alles andere gar kein legitimer Journalismus sei. Den „Neutralitäts-Anspruch“, einen Gegenstand von verschiedenen Seiten zu beleuchten, damit die Lesenden sich ein eigenes Urteil bilden können, negiert er: „Der
Journalist muss danach streben, herauszufinden, was geschehen ist, nicht die Wahrheit im Namen der Ausgewogenheit zu kastrieren.“Soweit, so DA-kompatibel. Denn auch uns geht es nicht um Neutralität und Ausgewogenheit, sondern um den Standpunkt der Lohnabhängigen aufgrund des Bewusstseins unserer Klassenzugehörigkeit. Bloß ist das genau der Punkt, den Sacco nicht mitgeht. Bei ihm, und das ist meine Kritik an „Reportagen“, wird die Linie zwischen UnterdrückerInnen und Unterdrückten zwischen den Nationen gezogen. Trotzdem kann ich den Comic empfehlen. Er ist virtuos gezeichnet und hat zwei bis drei richtig gut gemachte Storys. Vor allen Dingen die Flüchtlingsreportage „Die Unerwünschten“ ist schon den Kauf des Comics wert. Ähnlich wie in der Reportage „Bilal – Als Illegaler auf dem Weg nach Europa“ von Fabrizio Gatti beschreibt Sacco hier Entbehrung und Verzweiflung der Flüchtlinge, eindringlich und luzide.
Joe Sacco: Reportagen, Edition Moderne, ISBN 978-3-03731-107-3, 192 Seiten, schwarzweiß, 17 x 24 cm, Klappenbroschur, EUR (D) 24,-, SFr. 29,80
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