Betrieb & Gesellschaft

Wenn das Publikum mitreden will…

Interview mit Maren Müller, Mitbegründerin und Vorsitzende des Vereins „Ständige Publikumskonferenz der öffentlich-rechtlichen Medien e.V.“

Bundesweites Aufsehen erregte sie als Initiatorin der der sogenannten Lanz-Petition.
Moderator Markus Lanz hatte in seine gleichnamige Fernsehs
endung u. a. Sarah Wagenknecht und den Stern-Journalisten Jörges eingeladen. Lanz und Jörges fielen Wagenknecht ständig aggressiv ins Wort, wobei sie offensichtlich weder an einer Beantwortung der Fragen noch an einer vernünftigen Diskussion interessiert waren. Das Nichtreagieren der Programmverantwortlichen des ZDF auf die medial viel beachtete Petition, sowie die ignorante Antwort des Intendanten Bellut auf die Beschwerde von fast einer viertel Million UnterzeichnerInnen, war ein Auslöser zur Gründung des Vereins. Doch inzwischen geht es um mehr.

 

Wie stark ist der Verein inzwischen?

Mittlerweile sind Mitglieder aus jedem Bundesland vertreten, über die genaue Zahl möchte ich keine Auskunft geben. Ziel ist es, irgendwann regionale Publikumskonferenzen zu etablieren. Schließlich ist ja auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk regional strukturiert. Mitmachen kann übrigens jeder, der bereit ist, fünf Euro Mitgliedsbeitrag im Monat zu zahlen. Die Satzung des Vereins bietet auf Antrag auch Härtefallregelungen an.

 

Kann der Verein schon Erfolge verzeichnen?

Wir haben ja gerade erst angefangen. Aber erste Erfolge sind schon zu verzeichnen.
So haben wir neben unserem Blog ein umfangreiches Diskussionsportal entwickelt, das jede Menge Ideen und Anregungen des Publikums birgt. Darüber hinaus ist auch ein Wiki in Arbeit.

Unter dem Link publikumskonferenz.de/blog/programmbeschwerde haben die Zuschauer die Möglichkeit, Vorschläge zu Programmbeschwerden direkt über ein Formular an uns zu senden. Nach Prüfung des Sachverhaltes, unter Zuhilfenahme der Allgemeinen Programmgrundsätze der Sender, der entsprechenden Paragraphen des Rundfunkstaatsvertrages und ggf. der Landesmediengesetze der Bundesländer, wird durch den Vorstand entschieden, ob eine förmliche Programmbeschwerde erhoben wird oder ob formale Gründe dafür nicht vorliegen. Die Rundfunkanstalten sind insbesondere der Ausgewogenheit, Unparteilichkeit, Objektivität und zur Einhaltung der journalistischen Sorgfalt verpflichtet. Bei Unklarheiten stehen uns unabhängige Medienexperten beratend zur Seite.

So wurde unter anderem zum Manipulationsskandal innerhalb der ZDF-Sendung „Deutschlands Beste“ Programmbeschwerde eingereicht, welche mit einer deutlichen Entschuldigung des ZDF-Intendanten Thomas Bellut beantwortet wurde. Ein weiterer Fall beschäftigte sich mit einer sozialdarwinistischen Reportage der Tagesthemen, die insbesondere in Leipzig die Gemüter erregte. Eine andere Beschwerde hatte den Vorwurf des Antiziganismus im öffentlich-rechtlichen Rundfunk zum Gegenstand und ein weiterer Grund für eine Beschwerde war die falsche Übersetzung der wörtlichen Rede einer russischsprachigen Bewohnerin der Kriegsregion in der Ostukraine.Verfolgen kann man die Programmbeschwerden sowie die Antworten darauf unter folgendem Link: forum.publikumskonferenz.de/viewforum.php?f=30

Koordinierte Programmbeschwerden und ihre Dokumentation sind ja sicher nicht alles, was der Verein beabsichtigt. Welche Themen bewegen den Verein und seine Mitglieder noch?

Was für die Mitglieder wichtig ist, wird auch für den Verein zum Thema. Einer Umfrage zu Folge wollen unsere Mitglieder folgende Themen auf der Agenda haben: Neben der ständigen Beobachtung der Qualität und Gestaltung der Programmangebote im Hinblick auf den gesetzlichen Auftrag will sich der Verein auch der demokratischen Mitbestimmung und Transparenz innerhalb der Gremien widmen und hat zu diesem Zweck bereits Kontakt mit den Landtagen der Bundesländer aufgenommen, in denen demnächst Neuwahlen anstehen.Der Umgang mit Ungerechtigkeiten innerhalb des Beitragserhebungssystems (soziale Härtefälle ohne ALGII-Bezug, Beitragserhebung für Unternehmen, Behinderte etc.) beschäftigt die Mitglieder und auch die teils menschenunwürdigen Produktions-, Arbeits- und Lebensbedingungen freier Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen im Sendebetrieb sollen thematisiert werden.

Wichtiger als die Frage der Erhebung ist jedoch die Verwendung der Gelder. So ist es zum Beispiel ein Skandal, dass die Sendung „2254 Nachtgespräche“ auf Deutschlandradio-Kultur im Zuge einer Programmreform ersatzlos gestrichen wurde. Diese Sendung hatte einen treuen Hörerstamm, der sich verständlicherweise komplett übergangen fühlt. Eine Mapping-Studie unter 4000 Teilnehmern, die der Programmreform vorangegangen war, wird der Öffentlichkeit vorenthalten. Wir werden nach dem Informationsfreiheitsgesetz der entsprechenden Länder eine Veröffentlichung der Ergebnisse fordern. Eine Petition zur Erhaltung des Nachttalks hat inzwischen über 3000 Mitzeichner und Mitzeichnerinnen erreicht. Wir unterstützen die Petenten.Die Quantitätsbestimmung anhand der Quotenmessung ist ein weiteres Problemfeld. Es werden nur etwa 5000 Haushalte über das AGF/GfK-Fernsehpanel erfasst. Das Verfahren kostet jährlich um die 20 Mio. Euro und repräsentiert 72,20 Millionen Personen in 36,71 Millionen privaten TV-Haushalten. Mitglieder des Panels können laut Expertenmeinungen aber keinen repräsentativen Ausschnitt abbilden. Wo lediglich Anwesenheiten gemessen werden, können keine Rückschlüsse darüber gezogen werden, ob tatsächlich geschaut oder vielleicht die komplette Aufmerksamkeit der neusten amerikanischen TV-Serie im Internet gilt. Zudem steht Quote für Markt – der Rundfunkbeitrag jedoch sollte gerade die Unabhängigkeit sichern.Es gibt noch unzählige weitere Felder, die zu bestellen sind, aber es geht nun mal nicht alles auf einmal.

Wie will die ständige Publikumskonferenz Einfluss ausüben, vielleicht die Rundfunkbeiräte ersetzen?

Nachdem mehrere Regelungen des ZDF-Staatsvertrags im März dieses Jahres für verfassungswidrig erklärt wurden, haben die Länder bis Ende Juni 2015 Zeit für eine Neuregelung ihrer jeweiligen Gremienbesetzungen. Um den Querschnitt einer modernen Gesellschaft angemessen repräsentieren zu können, ist nach Einschätzung von Experten, eine Evaluierung der gesellschaftlich relevanten Gruppierungen nötig. Als potentiell gesellschaftlich relevante Gruppierung möchten wir künftig eigene Vertreter in die Gremien entsenden. Ich kann mir vorstellen, dass dies über ein Losverfahren geschieht, um zu verhindern, dass sich Karrieristen in den Gremien festsetzen.

 

Thomas Bloch

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Thomas Bloch

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