Arbeitskampf an der Schwedischen Schule Berlin
Es ist ein trüber Berliner Oktobertag. Nachdenklich rührt Johnny H. in seiner Kaffeetasse: „Als ich vor vier Jahren begann, an der Schwedischen Schule zu arbeiten, war mir sofort klar: hier muss etwas geschehen. Wir hatten noch nicht einmal einen Pausenraum oder ein Lehrerzimmer. Ehrenamtliche Mehrarbeit war völlig normal, und man erwartete von uns, dass wir Klassenfahrten leiteten, ohne dafür bezahlt zu werden.“
Die Belegschaft der Schwedischen Schule organisierte sich. In einem schwedischen Betrieb wird die Interessenvertretung normalerweise nicht von Betriebsräten, sondern von den gewerkschaftlichen Betriebsgruppen wahrgenommen, die in Schweden „Fackklubbs“ heißen. In dieser Art organisierten sich auch ErzieherInnen und LehrerInnen an der Berliner Schule, dessen Träger die „Victoriaförsamlingen“ ist, die Schwedische Kirche in Berlin. Von Anfang an war klar, dass hier vor allem mit Unterstützung der FAU Berlin agiert wurde, die mehrere Mitglieder in der Schule hatte und hat.„Es gelang uns, auf die Missstände aufmerksam zu machen und die Geschäftsführung immer wieder derart unter Druck zu setzen, dass sie schließlich nachgeben musste.“ Als Johnnys Vertrag dann erstmals ein Jahr später nicht mehr verlängert werden sollte, schlugen Gewerkschaft und Elternvertreter gemeinsam Alarm: Mit Erfolg. Johnny H wurde wieder eingestellt, und die damalige Geschäftsführerin verließ die Schule. Heute ist Johnny wieder arbeitslos. Gemeinsam mit all seinen Kolleginnen und Kollegen wurde dem Lehrer und Mitglied des Schulbeirates im Mai aus heiterem Himmel gekündigt. Ein Schritt, der bei der Belegschaft ebenso wie bei Eltern und Schülern großes Verwundern hervorrief. Die Geschäftsführung versuchte zu beschwichtigen und versprach, zu Beginn des neuen Schuljahres alle Mitarbeiter erneut einzustellen.Nach den Sommerferien erhielten in der Tat alle gekündigten Beschäftigten eine neue Anstellung – außer Johnny, Lehrer für Sport und Naturwissenschaft, und Linus, Hortmitarbeiter, die beide in der FAU Berlin organisiert sind und sich an ihrem Arbeitsplatz aktiv gewerkschaftlich betätigen. Linus und Johnny sind nicht verwundert. Schließlich waren sie es, die sich immer wieder für bessere Arbeitsbedingungen eingesetzt haben. „Klar, dass das unbequem ist“, grinst Johnny.
Besonders in Schweden hat der Fall mittlerweile für mediale Aufmerksamkeit gesorgt. Neben zahlreichen Artikeln in Zeitungen und Magazinen führten auch Ortsgruppen der Gewerkschaft SAC Aktionen vor Kirchen in Schweden durch und informierten über die Situation an der Schule. Verständnislos blickt man von dort nach Berlin.
In Schweden selbst, wo fast 70 Prozent aller Lohn- und Gehaltsempfänger in einer Gewerkschaft organisiert sind, gilt das Modell eines universalen Wohlfahrtsstaates. Wenn vom „europäischen Sozialstaat“ die Rede ist, denken wir zuerst an das skandinavische Modell.Sofern es aber um Arbeitsbedingungen in schwedischen Betrieben außerhalb der Grenzen des Königreiches geht, sieht die Situation ganz anders aus. Besondere Aufmerksamkeit ziehen die Beispiele von H&M und Ikea auf sich. Aber auch die kleine schwedische Schule in Berlin scheint sich nicht gerne an die Werte des schwedischen Sozialstaates zu erinnern. Aus Stockholm selbst kommt ebenfalls nur Schulterzucken. Die Auslandsvertretungen der Kirchen und ihre angeschlossenen Institutionen seien autonom in ihren Personalentscheidungen, heißt es lapidar von der schwedischen Staatskirche.Seit Anfang Juni befindet sich die FAU Berlin nun erneut in einem Arbeitskonflikt mit der Schwedischen Schule in Charlottenburg. Die Stellen der beiden gekündigten Gewerkschafter wurden mittlerweile, entgegen vorheriger Ankündigungen der Geschäftsführung, durch neue Mitarbeiter besetzt. Ein erster gerichtlicher Gütetermin im Juli blieb ohne Ergebnis. Geschäftsführerin Lena Brolin, die ebenso Vorsteherin und Pfarrerin der schwedischen Kirchengemeinde ist, war bis Mitte August im Urlaub. Per Brief ließ sie allerdings wissen, dass man nun den juristischen Prozess abwarten werde. Die folgende Kündigungsschutzklage vor dem Berliner Kammergericht wurde Mitte Oktober in erster Instanz abgewiesen. Als Grund nannte der Richter in einer ersten mündlichen Erklärung die für die Schule geltende Kleinbetriebeklausel im Kündigungsschutzgesetz. „Das war schon erst mal eine Niederlage“, räumt Johnny ein. Allerdings steht auch noch eine zweite Klage aus, die möglicherweise anders ausgehen könnte. Zwar ist die Schule durch ihre Größe in der Tat ein Kleinbetrieb. Zählt man jedoch die Institutionen der Schwedischen Kirche in Berlin zusammen, ergibt sich ein anderes Bild. Mit ihren Angestellten im Gemeinschaftsbetrieb von Schule, Hort, Verwaltung und Service müsste die Kirche Kündigungsschutz gewähren.Die FAU Berlin plant indes weitere Aktionen an der Schule, um auch künftig sichtbar zu machen, dass der Arbeitskampf der Gewerkschafter nicht beendet ist. Auch die Beschäftigten selbst zeigen sich insgeheim weiterhin solidarisch. Die Machtdemonstration der Geschäftsführung hat ihre einschüchternde Wirkung jedoch nicht verfehlt.
Seit dem 1. Januar 2004 gilt in Deutschland ein neuer Schwellenwert für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), die Kleinbetriebeklausel: Er liegt bei zehn Mitarbeitern (§ 23 Absatz 1, Satz 3 und 4). Nach aktueller Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) sind Leiharbeitnehmer dabei mitzuzählen (BAG, Urteil vom 24.01.2013). Für die Leiharbeitnehmer selbst gilt dieser Kündigungsschutz jedoch nicht. Denn der Entleiher muss sie nicht kündigen, um ihren Arbeitseinsatz zu beenden, sondern muss dies lediglich seinem Vertragspartner, der Zeitarbeitsfirma, mitteilen.Durch die Reform vor zehn Jahren fielen übrigens rund 80 Prozent aller Betriebe in Deutschland und 30 Prozent aller Arbeitnehmer aus dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes heraus.
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