Globales

Direkte Aktion statt sozialpartnerschaftlicher Mauschelei

Kämpfe indigener Gemeinden um Land haben mehr mit unseren Verhältnissen zu tun, als ein kulturalistischer Blick zunächst suggerieren mag

Im Norden Perus ist die dortige spezifische Konstruktion einer „Sozialpartnerschaft“ gescheitert: Hunderte Menschen besetzten Ende Oktober den Flughafen von Andoas in der nördlichen Provinz Loreto. Damit sabotierten sie die Mechanik des Netzes aus Logistikunternehmen, staatlichem Verwaltungsapparat und der transnationalen industriellen Rohstoffförderung. Wohlgemerkt handelte es sich bei diesem Akt nicht um Arbeiter*innen und Angestellte der staatlichen und privaten Konzerne und Behörden, sondern um die kollektiven Eigentümer*innen großer Flächen des peruanisch/ecuadorianischen Grenzgebietes. Warum es sich dennoch nicht um einen chauvinistischen oder gar xenophoben Aufstand zur Besitzstandswahrung, sondern um einen emanzipatorischen Konflikt mit der gesellschaftlichen Funktion „des“ Kapitals handelt, soll in den folgenden Zeilen dargelegt werden.

Der peruanische Staat überantwortete in den 90er und 2000er Jahren nach jahrelangen Konflikten mit indigenen Gemeinden die Landtitel an dem von Bergen, Flüssen und Urwald geprägten Gebiet an verschiedene Gruppen, die sich in der Federación Indígena Quechua del Pastaza (Föderation der Quechua von Pastaza, kurz Fediquep) organisiert hatten. Damit zog sich der Staat aus einer Auseinandersetzung zurück, in der er nie die ihm systemisch zukommende hegemoniale Funktion einnehmen konnte, nämlich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen für das Verhältnis von Kapital und Arbeit zu schaffen. Denn die individualisierte Lohnabhängigkeit hatte die Angehörigen der betreffenden indigenen Gemeinden bislang vor allem durch Tagelöhnerei und prekären Schwarzmarkthandel ergriffen, aber eben nicht im Sinne eines politisch regulierbaren und zementierten sozialen Status Quo. Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte lang galt das Humankapital der Menschen in der Peripherie der Amazonasökonomie als unattraktiv für die Unternehmen zwischen Lima, Manaus, Iquitos und Quito. Der Strom an Arbeitssuchenden aus den Provinzen in die Zentren und die dortige Bevölkerungsexplosion in den Armenvierteln sicherten einen nie versiegenden Nachschub an billiger Arbeitskraft für die peruanische, brasilianische und ecuadorianische Industrie und die globalen Investor*innen. Bis heute ist es für die in dieser Gegend umtriebigen Unternehmen günstiger, Arbeiter*innen aus den Städten selbst in die abgelegensten Orte zu fliegen oder über die Flüsse zu verschiffen und in unwürdigen Behausungen zu kasernieren, als das Konfliktrisiko einzugehen, das eine vertragliche Beschäftigung der dortigen Bevölkerung in sich birgt. Denn das Verhältnis zwischen Kapital und Arbeit dominiert in diesen Bevölkerungsteilen nicht vollkommen die Reproduktion, wie es für die kapitalistische Gesellschaft eigentlich prägend ist. Damit aber sind die Angehörigen der indigenen Gemeinden trotz ihrer materiell oft desaströsen Lage den Verwertungsinteressen, wie sie das Kapitalverhältnis zwangsweise vorgibt, paradoxerweise nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.

Ohne Gewerkschaften: Verknappung der Arbeitskraft durch Verschmähung des Kapitalverhältnisses

Es ist eine komplizierte politisch-ökonomische Gemengelage: Für die Unternehmen und die Investor*innen besteht weder ein wirtschaftlicher noch ein politischer Druck, für die Lohnstückkosten bei ihren Geschäften in der Peripherie des Amazonasgebietes mehr Kapital aufzuwenden; sie haben mit ihrem langen kalten Krieg gegen soziale Bewegungen für eine scheinbare Verewigung der frühindustriellen Arbeitsverhältnisse in der Holzindustrie, der Wasserkraft, in den Goldminen, der Logistik und der Ölindustrie gesorgt. Somit können sie auf den uneingeschränkten Zugriff auf die Arbeitskraft der indigenen Gemeinden ohne Weiteres verzichten. Diese wiederum konnte das Schicksal der verelendeten Massen in den Slums der Hauptstadt Lima nicht locken, ihre Subsistenzwirtschaft für die Versprechungen der Industriegesellschaft aufzugeben. Damit aber bot sich ihnen auch eine Alternative zur mehr als kargen staatlichen und kirchlichen Fürsorge, auf die die vom Kapital Verschmähten in den industriellen Zentren Perus und der jeweiligen Anrainerstaaten sonst angewiesen sind: Selbstversorgung durch Ackerbau, Jagd und Holzfällerei, ergänzt durch Gelegenheitseinkünfte im Handel mit privatwirtschaftlichen Akteur*innen. Diese Alternative zur kompletten Lohnabhängigkeit verteidigten die heterogenen politischen Gruppen der Indigenen im peruanisch/ecuadorianischen Grenzgebiet gegen den Staat und seine territorialen Ansprüche.

Auch um die Gemeinden nicht linken Bewegungen in die Arme zu treiben, ließ sich der ansonsten alles andere als in Sachen Repression zögerliche peruanische Staat auf Verträge ein, in denen ausgesuchten Gruppen die Eigentumsrechte an großen Gebieten in Loreto eingeräumt wurden, wenn auch selbstverständlich unter rechtlicher Beibehaltung des staatlichen Gewaltmonopols. Damit begann ein für Europäer*innen nur schwer nachvollziehbarer Verhandlungsprozess zwischen transnational agierenden Großunternehmen und am Rande des materiellen Elends lebenden sozialen Gruppen. Es war nicht mehr an der staatlichen Verwaltung, die rechtlichen und infrastrukturellen Rahmenbedingungen für das Kapital bereitzustellen, sondern diese machtvolle Position fiel von nun an den indigenen Gemeinden zu. Von einem politisch-ökonomischen Standpunkt aus betrachtet gerieten so die Repräsentant*innen der Gemeinden in die Funktion von mächtigen Betriebsräten oder Gewerkschaftsvorsitzenden in durch das Kapitalverhältnis komplett erschlossenen Gesellschaften – also den tragenden Säulen der in Deutschland immer wieder beschworenen „Sozialpartnerschaft“.

Alle Räder stehen still…

Die Unternehmen spielten denn diese Klaviatur erwartungsgemäß. Die Sprecher*innen der Gemeinden wurden mit der Unternehmenslogik vertraut gemacht, zu Vertragspartner*innen erkoren und die verschiedenen politischen Gruppen der Indigenen gegeneinander ausgespielt. Der eine Vertrag wurde durch die Konditionen eines nachgelagerten ausgehebelt, Subunternehmen gaukelten andere Zuständigkeiten für ein und dieselbe Tätigkeit vor, und einheitliche Interessen der verschiedenen indigenen Gruppen z.B. an Wegzöllen für die Logistikbranche oder Ausgleichszahlungen für gerodete Waldflächen wurden mittels politischer Winkelzüge zu Konfliktthemen zwischen den Gemeinden. Die kollektiven Rechte der Gemeinden wurden so bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht – recht analog zum sozialpartnerschaftlichen Umgang mit den Rechten der Koalitionsfreiheit und dem Wert der Mitbestimmung in deutschen Betrieben. Nur in dieser allgemeinen systemischen Sicht ist die Besetzung des Flughafens der Stadt Andoa zu verstehen. Denn diese direkte Aktion, die die gesamte Ökonomie der Region, die komplett vom Flugverkehr in die nächsten Städte abhängig ist, ins Mark traf, wurde eigentlich durch einen partikulären Konflikt ausgelöst. Das Gas- und Erdölunternehmen Pluspetrol Norte hatte Zusagen nicht eingehalten, durch die eigenen Aktivitäten würde die Wasserqualität der Shanshococha Lagune nicht in Mitleidenschaft gezogen. Zudem wurden für die Erkundung von neuem Areal zur Rohstoffförderung in Aussicht gestellte Zahlungen nicht in vollem Umfang geleistet. Das Unternehmen verwies auf parallele Verhandlungen mit Vertreter*innen anderer Gemeinden in gänzlich anderen Angelegenheiten. Dies brachte das Fass im indigenen Dachverband Fediquep zum Überlaufen, war doch nicht zu leugnen, dass die Praxis der Geschäftsbeziehungen zu den Unternehmen über lange Sicht nur Verschlechterungen für die von dem Land abhängigen Angehörigen der indigenen Gemeinden nach sich gezogen hatte. Wie Aurelio Chino Dahua, Vorsitzender von Fediquep, deutlich machte, fühle er sich durch das Unternehmen wie aber auch durch den peruanischen Staat, der in diesem wie vielen anderen Fällen juristisch die Unternehmer*innenseite bevorzugt hatte, regelrecht „verspottet“. Denn die Besitzrechte der Gemeinden galten peruanischen Gerichten in vielen Verhandlungen gegenüber den handelsrechtlichen Winkelzügen der Unternehmen als nicht maßgeblich. So entschlossen sich die re-organisierten indigenen Gruppen, die sozialpartnerschaftliche Praxis einseitig aufzukündigen. In genauer Kenntnis der makroökonomischen Bedeutung des Flughafens in Andoa legten sie für mehrere Tage die Zahnräder der Rohstoffindustrie in ihrer Region lahm und entwickelten erhebliche politisch-ökonomische Macht. Die Auseinandersetzung steht jedoch erst am Anfang.

 

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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