Einige Alternativökonomen glauben mit ihren jeweiligen Rezepten den Mainstream hinter sich zu lassen
Erinnern wir uns: Vor sieben Jahren besetzte eine nordthüringische Belegschaft ihre Fahrradfabrik, welche von der Stilllegung bedroht war. Nach der symbolischen Strike-Bike-Produktion in Eigenregie, wollten dann einige ehemalige Beschäftigte im kleinen Rahmen die Fahrradmanufaktur wiederbeleben. Anfang 2011 wurde die knapp drei Jahre zuvor gegründete Strike Bike GmbH in Folge einer Insolvenz aufgelöst. Geblieben ist nur der Eintrag ins Handelsregister.
Auch wenn so manches ökonomisches Experiment doch rasch scheiterte, ist es zumindest ratsam aus antikapitalistischer Perspektive darüber nachzudenken, was wäre, wenn diese Versuche länger funktionierten – mal abgesehen von den konkreten Verbesserungen für die Akteure. Wären diese hilfreich, gar notwendig die Gesellschaft zu ändern oder doch eher dem Kapital in seinem sich stets veränderten Wesen dienlich?
Ein skurriles Beispiel vom alternativen Vorsichherwirtschaften ist der Geldstreik, in den Raphael Fellmer getreten ist. Seit einigen Jahren lebt er mit seiner Familie fast ohne Geld. Ende letzten Jahres berichtete sogar die FAZ über diese Form des Freeganismus. Die Silbe „-streik“ suggeriert in der Regel einen kollektiven Prozess. Er selbst will mit dem konsumkritischen Verhalten auch Änderungen in der Gesellschaft anstoßen, etwa Verschwendung zu minimieren. Ursprünglich ging es beim Streik eigentlich um Kampf und Auseinandersetzung um zumindest eine gerechte Verteilung. Heute wird schon eine bewusstere Lebensweise als solches zur systemüberwindenden Handlung glorifiziert.
Fellmer ist ebenso ein Befürworter der „Share Economy“, der Ökonomie des Teilens und Tauschens, dem neuesten Schrei aus der alternativwirtschaftlichen Mottenkiste. Selbst praktiziert er etwa als Lebensmittelretter (euphemistisch für Containern) zudem das Foodsharing. Der US-Soziologe Jeremy Rifkin prophezeit in der taz schon das Ende des Kapitalismus. Die Marktwirtschaft werde einfach so abgelöst, u.a. durch die Share Economy. Dabei beruft er sich auf 1,5 Milliarden Menschen, welche weltweit in Kooperativen arbeiten.Na gut, die Grundideen dazu sind ja nicht neu. So basieren die Tauschringe meist auf einem nichtmonetären als auch Non-Profit-System. Im Grunde zirkulieren Waren und Dienstleistungen über eine „Bank“ oder auch „Börse“ von Zeiteinheiten – ohne Zinsen. Brisant sind solche Modelle aus gewerkschaftlicher Sicht. Würde so etwas mehr und mehr ausgeweitet, beispielsweise ganze Häuser so gebaut, könnten hier letztendlich Sozialabgaben vermieden werden. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Unternehmen auf solche Grundideen zurückgreifen. Aktuell in der öffentlichen Debatte ist die Online-Plattform Uber zur Vermittlung von Personenbeförderungen. Anstelle des herkömmlichen Taxis kutschieren dann Privatpersonen ohne sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis gegen Fahrpreis und Uber-Provision.
Doch auch im Gesundheitssektor gibt es seit der Jahrtausendwende eine Möchtegern-Alternative zur Krankenkasse. Bei Artabana sind in über 150 Lokalgruppen etwa 2.000 Mitglieder organisiert oder besser gesagt in Gemeinschaft verbunden. Diese „Solidargemeinschaft“ zur Gesundheitsvorsorge entstand in den späten 1980er Jahren in der Schweiz, damals wie heute mit anthroposophischem Hintergrund sowie einer gehörigen Skepsis zur Schulmedizin. Bisher funktioniert dieses Selbsthilfenetzwerk eher als Ergänzung zu gesetzlichen wie auch privaten Krankenkassen. Debattiert wird darüber, einen rechtlichen Rahmen anzustreben, dadurch als Substitut zur gesetzlichen Krankenversicherung anerkannt zu werden. Oberflächlich könnte sowas wie Artabana von den ehrenamtlichen Strukturen, dem Nischendasein und der internen Umgangskultur zu einer Gewerkschaft passen, die anders ist und skeptisch gegenüber dem Mainstream bzw. gar das System überwinden will. Dennoch – tiefschürfend widerspricht das Menschenbild von Artabana dem gewerkschaftlichen Grundgedanken von Solidarität im 21. Jahrhundert. Bei Artabana gibt es keinen Rechtsanspruch. Vieles wird erst in der Gruppe vorher diskutiert. Zudem wird stark auf individuelle Eigenverantwortung gesetzt. Folglich ist die Ansicht nicht weit, dass Krankheiten ihre Ursachen bei uns selbst haben und nicht in den gesellschaftlichen Umständen. Es verwundert nicht, dass zum Klientel Selbstständige, Aussteigende, PädagogInnen sowie Kunstschaffende zählen. Das Motto dieser Veranstaltung könnte getrost lauten: Jeder ist seiner Gesundheit Schmied.
Wie diese paar Schlaglichter tendieren doch viele ProtagonistInnen in unkonventionellen Experimenten dazu, sich auf das eigene Verhalten zu fixieren. Es geht dann nicht mehr darum, die Verhältnisse zu ändern, sondern nur noch sich kreativ darin einzurichten. Der eigene Lifestyle wird glorifiziert. Für gesellschaftliche Prozesse, wie etwa Sozialabbau, ist dann keine Sensibilität mehr vorhanden. Dem Kapitalismus zu entgegnen heißt halt auch Verteilungskampf und nicht durch „Aussteigen“ seine Insel als revolutionäres Konzept zu mystifizieren. Denn oft ist es zur neoliberalen Vorreiterrolle nicht weit.
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