Im französischen Original heißt die bitterböse, schwarze Komödie von Gustave Kervern und Benoît Delépine sehr viel passender „Louise-Michel“ und enthält damit sowohl einen Verweis auf die gleichnamige Anarchistin als auch auf die beiden ProtagonistInnen, die Louise und Michel heißen. Wohl in Anlehnung an Aki Kaurismäkis „I Hired A Contract Killer“, eventuell auch in Anvisierung eines (falschen) Zielpublikums, das einen Action-Kracher erwarten soll, machte die deutsche Titelschmiede daraus dann „Louise Hires A Contract Killer“. Aber immerhin ist der Titel nicht völlig aus der Luft gegriffen, schließlich heuert Louise wirklich einen Auftragskiller an.
Tags zuvor hält der Personalchef eine Rede, in der er den Fabrikarbeiterinnen für ihre Aufopferungsbereitschaft beim Erhalt ihrer Jobs dankt. „Vom Mond aus gesehen sind eure kleinen Probleme nur Peanuts!“, sagt er und verteilt als Anerkennung dafür neue Arbeitskittel, während er ihnen versichert, dass ihre Arbeitsplätze sicher seien. Einen Tag später stehen Louise und ihre Kolleginnen in der über Nacht leer geräumten Halle und werden mit einer lächerlich geringen Abfindung – 100 Euro pro Jahr in der Fabrik – auf die Straße gesetzt. Ihr Chef hat sich aus dem Staub gemacht. Was also tun? Allein kann keine etwas mit dem lausigen Geldbetrag anfangen, also legen sie zusammen. Was machen mit insgesamt 20.000 Euro? Eine Pizzeria eröffnen? Louise hat eine bessere Idee: Warum nicht ihren ehemaligen Chef umlegen lassen? Der Vorschlag stößt auf allgemeine Zustimmung. Der Auftragskiller, den Louise von früher kennt, hat allerdings auf Immobilienmakler umgesattelt, also improvisiert Louise und engagiert den paranoiden Wachmann Michel, der im Trailerpark lebt und aus Geldnot den Auftrag annimmt, obwohl er im Grunde viel zu sensibel zum Töten ist. Also überredet er seine krebskranke Cousine dazu, den Auftrag für ihn zu übernehmen – schließlich habe sie ja nichts mehr zu verlieren, so sein Argument –, und schleust sie im Abendkleid und mit Pistole bewaffnet in die glamouröse Gala ein, auf der sich der ehemalige Direktor des Werks befindet. Als sich nach gelungener Ausführung herausstellt, dass dieser auch nur ein Befehlsempfänger war, machen sich Louise und Michel, angetrieben von Wut, dem Verlangen nach Rache, gleichzeitig aber auch aus tiefster Verzweiflung und Angst vor dem sozialen Elend zusammen auf die Suche nach dem Verantwortlichen. Was sich in Zeiten der Globalisierung als gar nicht so einfach herausstellt und die beiden auf eine merkwürdige und blutige Reise schickt, die sie nach Brüssel und schließlich über eine Briefkastenfirma ins Steuerparadies Jersey führt. Leichen pflastern dabei ihren Weg, den Richtigen treffen sie nie, aber die Kapitalisten werden weniger.
Wie schon beim Vorgänger, dem bizarr-bösen Handicap/Inklusionsfilm „Aaltra“ (der übrigens Joseph Albert alias Albert Libertad alias Libertad le béquillard, einem französischen Anarchisten des 19. Jahrhunderts gewidmet war), sind auch bei „Louise Hires A Contract Killer“ die ProtagonistInnen keine duldsamen Opfer. Schräg, durchgeknallt und jenseits der Norm vielleicht, fügsam auf keinen Fall. Sie haben die Schnauze voll, und das zeigen sie auch. Andere RegisseurInnen mögen zu diesen Themen bleischwere, zähe Dramen machen, bei Gustave Kervern und Benoît Delépine wird daraus eine zum Brüllen komische anarchistische schwarze Komödie voll skurriler Einfälle und giftiger Textzeilen, in der auch vor politisch inkorrekten, makabren Gags über Krebskranke und Behinderte nicht zurückgeschreckt wird. Bildungsbürgerliches Konsenskino findet anderswo statt.
Gesellschaftliche Normen spielen ebenfalls keine Rolle – ganz beiläufig und unaufgeregt, ohne dramatische Dialoge, wird erwähnt, dass Louise eigentlich Jean-Pierre heißt, im Gefängnis saß und das Geschlecht gewechselt hat, um einen Job in der Fabrik zu bekommen. Und in einer Rückblende erfahren wir, dass Michel als Cathy geboren wurde. Sehr schön und bissig auch die Szene, in der Produzent Mathieu Kassovitz einen Gastauftritt als ökologisch-dynamischer Biohof- und Landhotelbesitzer hat. „Meine Frau und ich, wir heizen mit unseren eigenen Exkrementen“, sagt er, während wir in einem Rückblick erfahren, dass der Hof ursprünglich Jean-Pierre/Louise gehörte, allerdings der Bank in die Hände fiel.Manchmal ist die Komik überbordend, kindlich übermütig und rasant wie bei den Marx Brothers, manchmal allerdings kommt sie auch eher aus der Langsamkeit und Dehnung und geht dabei in Richtung der Coen Brüder. Je nach Betrachtungsweise hat der Film dann auch eine Art Happy End. Und wer bis nach dem Ende des Abspanns im Kino bleibt, erlebt eine Überraschung: Der Kampf geht weiter!Ganz dem Originaltitel „Louise-Michel“ entsprechend ist die pechschwarze Anarcho-Komödie von Kervern und Delépine eine Hommage an Louise Michel und die Pariser Kommune.
Soundtrack beim Schreiben des Artikels:
Adolescents „La Vendetta … È Un Piatto Che Va Servito Freddo“
Louise Hires a Contract Killer. Frankreich 2008. Originaltitel: Louise-Michel. Regie: Benoît Delépine, Gustave Kervern; Drehbuch: Gustave Kervern, Benoît Delépine; Produktion: Mathieu Kassovitz Louise: Yolande Moreau; Michel: Bouli Lanners
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…
Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.
Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…
Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.
Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“
Leave a Comment