Knapp die Hälfte der Wahlberechtigten in der Ukraine hat am 26. Oktober das erste „postrevolutionäre“ Parlament („Rada“) gewählt. Die Hauptüberraschung der Wahlen: die Partei des neuen Präsidenten – der Block Petro Poroschenko – landete prozentual nur auf dem zweiten Platz (21,8%) und wurde knapp von der Volksfront (22,1%) des Regierungschefs Arsenij Jazenjuk übertrumpft. Aufgrund der Direktmandate wird der Poroschenko-Block dennoch die größte Fraktion stellen. Poroschenko musste sich in kurzer Zeit eine neue Partei aufbauen. Seine früheren Versuche, eine „gemäßigte linke“ Kraft „Solidarnost“ zu etablieren (als Poroschenko sich noch vor allem als „Unternehmer mit sozialem Gewissen“ präsentierte) sind ad acta gelegt. Der BPP schluckte z.B. die UDAR-Partei von Vitali Klitschko und einige Überläufer aus der Anhängerschaft von der früheren Regierungschefin Julia Timoschenko. Auch Jazenjuks „Volksfront“ wird maßgeblich von den Überläufern aus Timoschenkos „Vaterland“-Partei gebildet, die selber nur knapp über die 5-Prozent-Hürde kam (5,6%). Während der BPP zu Friedensverhandlungen steht, proklamiert die „Volksfront“ ein härteres Vorgehen gegen die Aufständischen im Osten. Über die Wahlliste der „Volksfont“ kamen einige bekannte militante Rechte ins Parlament, wie zum Beispiel Andrij Bilezkij, Andrij Parubij oder Tetjana Tschornowol.
Die überraschend erfolgreiche (11%, vierter Platz) neue Partei „Samopomitsch“ (Selbsthilfe) des Lwiwer Bürgermeisters Andrij Sadowyj schreibt sich „christliche Moral“, „lokale Selbstverwaltung“ und „Solidarität“ auf die Fahnen. Die Partei beruft sich auf die Bewegung der Kreditgenossenschaften, die in Galizien vor dem Ersten Weltkrieg und später unter ukrainischen Emigranten in Nordamerika verbreitet war. Neben vielen bekannten Unternehmern ist auch der unter dem Kampfnamen „Semen Sementschenko“ bekannte Kommandeur des Freiwilligenbataillons „Donbass“ an der Spitze der Parteiliste. Auf dem fünften Platz landete der Oppositionsblock (9,4%) – eine Sammlung früherer Politiker der „Partei der Regionen“ (PR) des gestürzten Präsidenten Wiktor Janukowitsch. Auch eine Stimme der Partei „Starke Ukraine“ (3,1%) von Milliardär Serhij Tihipko kann zu den Erben der PR gezählt werden. Von Janukowitsch distanziert man sich zunehmend, geblieben ist die Opposition zum NATO-Beitritt, was in den Augen der neuen Parlamentsmehrheit einem Verrat gleicht. Die PR selber beschloss, die Wahlen zu boykottieren. Den rechten Flügel des Maidan im neuen Parlament vertritt die Radikale Partei Oleh Ljaschkos (7,4%). Der dreifach vorbestrafte Ljaschko unterhält eigene paramilitärische Einheiten und präsentiert sich selber als patriotischen Gegner der Oligarchen und der Korruption. Er verlangt ein hartes Vorgehen gegen die Politiker des Janukowitsch-Lagers und lässt bei Verhören von gefangenen „Separatisten“ und „Korruptionären“ oft Foltermethoden anwenden. Allerdings wurde Lajschko schon während Janukowitschs Zeit verdächtigt, ein „U-Boot“ der Regierung im Oppositionslager zu sein. Unter der 5-Prozent-Hürde blieben die rechtsradikale „Swoboda“ (4,7%) und der „Rechte Sektor“ (1,1), aber dank der Direktmandate werden sie mit jeweils sechs bzw. einem Abgeordneten vertreten sein.Die bis dahin weitgehend unbekannte Allukrainische Agrarische Vereinigung „Zastup“, die als Agrar-Lobby-Partei gilt, bekam zwar nur 2,7%, wird aber auch mit einem direkt gewählten Abgeordneten vertreten sein.
Die Wahl kann als Ende der parlamentarischen Linken in der Ukraine gelten. Die Kommunistische Partei bekam lediglich 3,9% und kein einziges Direktmandat, der gemäßigte Block der Linken Kräfte der Ukraine scheiterte kläglich mit 0,07%.
Das Maidan-Lager verfügt im Parlament über die absolute Mehrheit, die Regierungskoalition (BPP, VF, Vaterland und einige Parteilose) ist sich einig, dass das Land mit Hilfe von harten Einsparungen vor dem immer noch drohenden Bankrott gerettet werden muss. Die Zahlungen von Renten an die von Aufständischen kontrollierten Gebiete im Osten wurden von Kiew gestoppt. In der Hauptstadt selber wurde mit Hilfe von Sicherheitskräften der am Tag zuvor ausgerufene Streik der Belegschaft des kommunalen Transport-Unternehmens „Kiewpastrans“ aufgelöst, wobei sich auch Vertreter der „unabhängigen Gewerkschaft“ WPZU gegen den Streik stellten. Grund für den Streik war die Verzögerung der Lohnzahlungen, die seit Monaten andauert. Der Kiewer Bürgermeister Klitschko erklärte die Situation damit, dass die Regierung keine Gelder an die Stadt überwiesen hat.
Am 2. November fanden auch in den nicht anerkannten „Volksrepubliken“ von Donezk und Lugansk Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Bemerkenswerterweise wurde der Kommunistischen Partei die Wahlteilnahme in beiden „Volksrepubliken“ verweigert. Zu den Wahlen für die „Volksräte“ dürften nur Listen der lokalen Anführer antreten, zwei in Donezk, drei in Lugansk. Die jeweiligen Regierungschefs Alexander Sachartschenko (Donezk) und Igor Plotnizki (Lugansk) wurden zu „Republikoberhäuptern“ gewählt. In Lugansk ist auch der Vorsitzende der „Föderation der Gewerkschaften der Lugansker Volksrepublik“, Oleg Akimow, angetreten. Akimow leitete zuvor die Jugendorganisation der „Partei der Regionen“ in Lugansk.
Das Überleben der Bevölkerung im Winter ist in den Rebellengebieten genau wie in der Restukraine nicht gesichert. Die Infrastruktur wurde durch Kämpfe schwer beschädigt. Dennoch wird von der Seite der Rebellen verkündet, dass die Ukraine ohne die Kohle aus dem Donbass erfrieren wird.
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