Die Planungen zur gesetzlichen Tarifeinheit unterlaufen gesetzliche Mindeststandards und provozieren zwischengewerkschaftlichen Streit
So langsam wird die Verwirrung um das neue Tarifeinheitsgesetz aus dem Ministerium Nahles vollkommen. Im Mai 2014 hatte sich der DGB auf seinem Gewerkschaftstag noch gegen dieses Gesetz ausgesprochen – wenn auch nicht glasklar. Die etwas humpelnde Erklärung dazu basierte auf den Differenzen zwischen Basis und höchster Funktionärsebene.
Letztere hat sich Mitte November 2014, nach dem dreitägigen Lokführerstreik, offensichtlich komplett selbstständig gemacht. DGB-Vorsitzender Hoffmann erklärte am 18. November: „Der DGB in Gänze lehnt das Ansinnen einer gesetzlichen Regelung nicht ab.“ Da fragt man sich, was denn der ganze DGB sei – denn ver.di, NGG und GEW lehnen das Gesetz sehr wohl ab. Das sind immer hin drei von acht Mitgliedsgewerkschaften. Bei Reiner Hoffmann macht acht minus drei offensichtlich acht. Ver.di präsentiert nur zwei Tage später gar eine vierseitige Begründung der Ablehnung und kündigt eine Unterschriftenkampagne gegen das Gesetz an.
Von „Einheit“, diesem so wesentlichen Prinzip des DGB, kann offenbar keine Rede sein. Denn aus den Reihen der IG Metall wird ver.di sicherlich wenige Unterschriften erhalten. So hat die IG Metall ihren Angestellten tatsächlich verboten, sich mit Organisationsnamen und Funktion an solchen Unterschriftenkampagnen zu beteiligen. IG Metall, die Eisenbahnergewerkschaft EVG und die IG BCE sind das Gegengewicht zu den KritikerInnen der gesetzlichen Tarifeinheit. Dabei geht es allerdings durchaus um mehr als nur um verschiedene Meinungen oder Interpretationen des Gesetzes. Die IG Metall möchte ihren Organisierungsbereich in die bisherigen Bereiche von ver.di ausdehnen. Das heißt, sie spekuliert darauf, in einigen Bereichen die größte und damit auch einzig tarifverhandelnde Gewerkschaft in Dienstleistungsbereichen zu werden – Leiharbeit etwa ist ein Thema, um das die beiden Gewerkschaften konkurrieren. Die IG Metall legt es also auf eben jenen „Machtkampf“ an, der der GdL während des gesamten November 2014 vorgeworfen wurde.
Der wesentliche Punkt an den Tarifverhandlungen zwischen GdL und Deutscher Bahn AG ist die Forderung der GdL, nicht nur für LokführerInnen, sondern auch für anderes in der GdL organisiertes Bahnpersonal verhandeln und streiken zu dürfen. In allen weiteren Punkten wären sich die Tarifparteien einig geworden.
Die GdL streikt aus zwei Gründen für dieses Ziel: Erstens war dies schon in den Streiks 2007 ein wesentlicher Wunsch der Basis. Zweitens ist der Tarifvertrag, laut dem die GdL nur für LokführerInnen zuständig ist, im Juni 2014 ausgelaufen. Es handelt sich um ein arbeitsrechtlich legitimes Tarifverhandlungsziel, das momentan durch die Nahles’sche Gesetzesinitiative zusätzliche Brisanz erhält – denn der Streik der GdL ist eine Werbemaßnahme, um größte Gewerkschaft zu werden. Mit der Drohung des Tarifeinheitsgesetzes und dem Ansinnen der Deutschen Bahn AG, den Inhalt dieses Gesetzes schon vorher in einem Tarifvertrag festzulegen, wurde der Streik bei der Bahn für die GdL zu einem Existenzkampf – es geht also nicht um mehr oder weniger „Macht“, es geht um das Fortbestehen als Gewerkschaft.
Noch brisanter wird diese Gemengelage dadurch, dass die EVG stramm hinter den Gesetzesplänen steht und diese notfalls auch ohne Gesetz als Tarifregelung erkämpfen möchte.
EVG und GdL haben damit genau entgegengesetzte Ziele, und beide Seiten sind bereit, diese durch Streik zu erkämpfen.
Ebendiese Situation könnte nun z.B. zwischen ver.di und der IG Metall entstehen, aber natürlich auch zwischen ver.di und UFO (Flugbegleiter), ver.di und Marburger Bund, ver.di und DJV (Deutscher Journalisten-Verband) usw. Das erklärt auch, warum ver.di innerhalb des DGB das Gesetz am vehementesten ablehnt: Sie ist die Gewerkschaft, die am ehesten in die Situation geraten könnte, nicht die größte Gewerkschaft zu sein. Das weist auf eine weitere, vielleicht die wesentlichste, Problematik des Gesetzes
hin: Der Dienstleistungsbereich ist der Bereich mit den meisten prekären und atypischen Arbeitsverhältnissen und einem geringen gewerkschaftlichen Organisierungsgrad, gleichzeitig aber auch mit dem höchsten Wachstum an
Streiks. Es ist hier relativ einfach, gelbe, unternehmerfreundliche Gewerkschaften zu platzieren, die als einzige die Tarifverhandlungsbefugnis erhalten würden. Gleichzeitig wird es mit der gesetzlichen Tarifeinheit erheblich schwerer, in diesen Bereichen, die es am nötigsten haben, neue Gewerkschaftsinitiativen anzustoßen. Gerade das betrifft insbesondere die Syndikate der FAU, die hier doppelt betroffen sind: Erstens ist das lokalistische Branchengewerkschaftskonzept davon abhängig, immer neu relativ kleine (weil lokale) Gewerkschaften zu gründen, zweitens sind gerade diese prekären Bereiche das Hauptorganisierungsfeld der FAU.
Schöne Bescherung!
Das Problem einer „zwischengewerkschaftlichen Konkurrenz“ sehen vermehrt auch unternehmensfreundliche ArbeitsrechtlerInnen. Diese Konkurrenz könnte, so mehren sich die Stimmen, nicht zu einer Einschränkung von Streiks, sondern sogar zu mehr Streiks führen. In den aktuellen juristischen Debatten wird dabei deutlich, dass es letzten Endes wesentlich um
eine Einschränkung des Streikrechts geht. Nach der Erkenntnis, dass die gesetzliche Tarifeinheit das gewünschte Ziel nicht erreichen wird, kommen die nächsten Vorschläge: Während sich die ersten JuristInnen bereits Gedanken machen, wie man die positiven Gerichtsurteile zu Flashmobs und Solidaritätsstreiks rückgängig machen könnte, steht im Zentrum der Debatte ein tendenzielles Streikverbot in der sogenannten „Daseinsvorsorge“. Vor allem aus der Carl Friedrich v. Weizsäcker-Stiftung kommen schon seit 2012 entsprechende Vorschläge, das Streikrecht hier empfindlich einzuschränken, u.a. durch eine Ankündigungsfrist von vier Tagen und einen vorherigen verpflichtenden Schlichtungsversuch. Gerade das Thema „Schlichtung“, ein althergebrachtes Lieblingsprojekt von Unternehmerseite, findet nach dem GdL-Streik Anklang in der Politik: Insbesondere die CSU sprach sich Mitte November für verpflichtende Schlichtungen aus.
Damit würden wir etwas bekommen, was man tatsächlich als „englische Verhältnisse“ bezeichnen könnte: 40 Jahre nach der gewalttätigen Niederschlagung der Bergarbeiterstreiks durch Margret Thatcher hat England eines der restriktivsten Streikrechte Europas. Das droht nun auch hier.
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