Ein Beitrag zur Debatte um „Sklaverei im Schweinegürtel“ in Niedersachsen
Nach der Debatte um „Armutsmigration“ entstand Ende 2014 eine Debatte um „arme Rumänen und Bulgaren“ welche von „ominösen“ Subunternehmen ausgebeutet werden. Doch in den Enthüllungsartikeln von Spiegel, FAZ und Zeit wird meist unterschlagen, dass es sich hier nicht um eine simple Opfer-Täter Geschichte handelt, sondern die Überausbeutung migrantischer Arbeitskräfte strukturell angelegt ist.
Um das zu verstehen, lohnt ein Blick auf die Schlachtbetriebe des sog. „Schweinegürtels“
rund um das niedersächsische Oldenburg. Dank der viel beschworenen wie kritisierten „Europäischen Freizügigkeit“ fährt Branchenriese „Danish Crown“ hier große Profite ein und lässt sich dazu ArbeiterInnen aus Rumänien schicken. Sie werden ausschließlich über befristete Werkverträge angestellt und in einem weit verzweigten Netz von Unterkünften in den angrenzenden Dörfern untergebracht. Die meisten Unterkünfte haben lange keine Renovierung mehr erlebt und gleichen einer Kasernierung. So profitiert nicht nur das Unternehmen, sondern gleich noch die Region von den sonst nicht zu vermietenden Zimmern. Die Mieten werden direkt vom Lohn abgezogen. Des Weiteren wird für Schlachtwerkzeug und Arbeitskleidung eine weitere Gebühr vor Ausgabe der Lohntüte abgezogen. Der lange erstrittene Mindestlohn wird so ohne Probleme umgangen.
Dabei ist die jetzige Situation keine Erfindung des Neoliberalismus oder von „Danish Crown“ – Ausbeutung hat hier Tradition. Den Fall des Eisernen Vorhangs und die großen Migrationsbewegungen aus Osteuropa machte sich der damals hier ansässige Fleischkonzern D+S schon bald zunutze. 1993 wurde bekannt, dass D+S ganze Schlachtkolonnen eingeschleust hatte, weder für Papiere noch Bezahlung sorgte und die ArbeiterInnen in völlig überbelegte Zimmer steckte.
20 Jahre später bekommt man bei einer Rundfahrt durch den „Schweinegürtel“ den Eindruck, die Geschichte würde sich wiederholen. Nur müssen die heutigen Fleischkonzerne in der Region ArbeiterInnen nicht mehr illegal einschleusen – dies ist durch die Liberalisierung des europäischen Wirtschaftsraumes und die ökonomischen Zuspitzungen heute ganz legal.
Wer so von der Freizügigkeit profitiert, schneidet sich doch buchstäblich ins eigene Fleisch, wenn mit Blick auf Migration aus Rumänien eine Einschränkung europäischer Freizügigkeit gefordert wird? Eben nicht, denn dabei wird bekräftigt, dass nun der produktive Migrant eine Funktion hat und eine an diese Produktivität gebundene Aufenthaltsberechtigung bekommt. Die angebliche „Bedrohung des Sozialstaates“ hat selbigen weiter rassistisch limitiert. Wenn zusätzlich eine industrielle Reservearmee wartet, sinkt die Bereitschaft sich auf Kosten des eigenen Jobs zu wehren. Eine weitere Erschwernis stellt der Aufenthalt dar – denn das Freizügigkeitsrecht ist ein ökonomistisches Aufenthaltsrecht. Nur wer Vermögen oder Arbeit nachweisen kann, erhält die Erlaubnis länger als drei Monate in Deutschland zu bleiben. Gerade dieses schwierige Terrain macht es umso notwendiger, engagierte Gewerkschaftsarbeit mit antirassistischer Praxis zusammen zu denken, um auf politische Prozesse einzuwirken und nicht nur situative Verbesserungen zu erstreiten.
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…
Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.
Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…
Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.
Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“
Leave a Comment