Befristung als Dauerzustand? Alltag in Medizin und Wissenschaft. Laut Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes arbeiten 83% der Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen mit befristeten Verträgen. Dabei hangeln sich die meisten WissenschaftlerInnen in Kettenverträgen von einem in das nächste befristete Arbeitsverhältnis, obendrein beträgt die Vertragsdauer in den meisten Fällen weniger als ein Jahr.
Wer es in der heutigen Arbeitswelt geschafft hat eine direkte Beschäftigung zu ergattern, muss sich zunächst meist mit einer Befristung rumschlagen. Neben Werkverträgen und Zeitarbeitsfirmen hat es sich eingebürgert MitarbeiterInnen möglichst befristet einzustellen. Dies ist nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) grundsätzlich ohne sachliche Gründe bis zu zwei Jahre möglich, innerhalb der Höchstdauer kann der Arbeitsvertrag maximal drei Mal verlängert werden.1 Elegant und angenehm vor allem für die Arbeitgeberseite. Den ArbeitnehmerInnen entstehen eigentlich nur Nachteile. Will beispielsweise der Arbeitgeber einseitig ein Beschäftigungsverhältnis beenden, muss er seinen Arbeitnehmer normalerweise kündigen. Dieser hat dann das Recht eine Kündigungsschutzklage einzureichen.
Bei einem befristet beschäftigen Arbeitnehmer lässt er den Vertrag einfach auslaufen, der Arbeitnehmer „verliert“ so sein eigentliches Recht auf eine Kündigungsschutzklage. Weiterhin werden die spärlichen Einflussmöglichkeiten von Betriebsräten oder Personalräten, beispielsweise einer Kündigung zu widersprechen, umgangen. Auch verlängert sich das Arbeitsverhältnis durch Schwangerschaft oder Elternzeit nicht, sondern läuft zum vereinbarten Zeitpunkt aus. Somit verlieren ArbeitnehmerInnen ihren Anspruch auf vertragsmäßige Weiterbeschäftigung nach Mutterschutz oder Elternzeit. Besonderen Kündigungsschutz genießen schwerbehinderte Menschen mit einem Grad von mindestens 50%. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist eigentlich seitens des Integrationsamts zustimmungspflichtig, so kann eine Kündigung durch den Arbeitgeber erst nach der Zustimmung des Integrationsamtes ausgesprochen werden. Eine Zustimmung ist allerdings nicht erforderlich, wenn das Arbeitsverhältnis durch Ablauf eines befristeten Vertrages beendet wird.
Eigentlich sind sachgrundlose Befristungen für länger als zwei Jahre nach deutschem Arbeitsrecht nicht erlaubt, doch das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) macht es möglich. Wissenschaftliches Personal ist noch härter von Befristungen betroffen, da befristete Verträge von wissenschaftlichem und künstlerischem Personal an Einrichtungen des Bildungswesens (= staatliche Hochschulen) dank des WissZeitVG noch weniger strengen Anforderungen unterliegen. Das WissZeitVG ist seit 18.04.2007 in Kraft und hat die Möglichkeit wissenschaftliches Personal befristet anzustellen im Vergleich zu den Befristungsregelungen im vorherigen Hochschulrahmengesetz noch erweitert. Demnach sind sachgrundlose Befristungen bis zu sechs Jahren möglich. Hat der Arbeitnehmer zwischenzeitlich promoviert, ist eine weitere sachgrundlose befristete Beschäftigung von sechs Jahren und im medizinischen Bereich sogar bis zu neun Jahren möglich (6-plus-6- bzw. 6-plus-9-Regel). Darüber hinaus sind weitere Kettenverträge durch Beschäftigung über Drittmittel möglich: Mit dem WissZeitVG wurde auch der Befristungsbestand Drittmittelfinanzierung eingeführt, laut § 2 (2) ist eine Befristung immer zulässig „…wenn die Beschäftigung überwiegend aus Mitteln Dritter finanziert wird, die Finanzierung für eine bestimmte Aufgabe und Zeitdauer bewilligt ist und die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter überwiegend der Zweckbestimmung dieser Mittel entsprechend beschäftigt wird.“2 Dies wird damit begründet, dass wissenschaftliche Projekte fast immer zeitlich begrenzt sind und die Finanzierung durch Dritte aus Privatwirtschaft, Ministerien oder Stiftungen zeitlich daran gebunden ist. Die Drittmittelbefristung ist darüber hinaus auch für nichtwissenschaftliches Personal zulässig.
Vor allem für Arbeitgeber bringt das Gesetz Vorteile. Er kann ohne Risiko und flexibel planen. Durch die kurze Laufzeiten3 kann immer wieder nach aktueller Finanzlage entschieden werden, ob ein Vertrag verlängert wird. Während andere sesshaft werden und Familien gründen, müssen WissenschaftlerInnen ständig um ihre Arbeitsplätze bangen und gegebenenfalls häufige Arbeits- und Wohnortswechsel hinnehmen. Permanent drohende Arbeitslosigkeit ist ein weiterer Stressfaktor. Zudem muss man sich auch schon während der Beschäftigung ständig mit dem Arbeitsamt auseinandersetzen und sich pro forma innerhalb der Frist von drei Monaten vor Beschäftigungsende arbeitssuchend melden. Mit Glück bekommt man immerhin eine mündliche Zusage einer Vertragsverlängerung. Wenn alles gut läuft, kann der Folgevertrag einige Wochen oder auch erst wenige Tage vor Beendigung des alten Vertrages unterschrieben werden.
Das Bundesbildungsministerium urteilt nach einer Evaluation (August 2008 bis Dezember 2010), das WissZeitVG habe sich bewährt. Fragt sich natürlich: Für wen? Zwar konnte laut statistischem Bundesamt die Anzahl der Beschäftigten von 106.400 (2005) auf 146.100 (2009) erhöht werden, allerdings setzen sich zunehmend befristete Arbeitsverhältnisse durch. Etwa 83% der Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen, mit steigender Tendenz, sind befristet beschäftigt, davon wird fast die Hälfte über Drittmittel finanziert.4 Von den Drittmittelbeschäftigen sind sogar 97% nur befristet beschäftigt.5 Das Verhältnis von unbefristet zu befristet Beschäftigen hat sich so von eins zu vier im Jahr 2005 auf eins zu acht im Jahr 2010 verschoben.5 Somit wurde den Hochschulen durch das WissZeitVG eine rechtliche Grundlage geschaffen um im großen Stil von Befristungen bei Arbeitsverhältnissen Gebrauch zu machen, vor allem auch durch den Befristungsbestand der Drittmittelbeschäftigung. Begünstigt wird dies noch durch stagnierende Finanzierung durch Landesmittel und somit eine wachsende Bedeutung von zeitlich begrenzter Finanzierung durch Forschungsförderung (Drittmittel).5 Die 6-plus-6-Regel war auch schon vor Einführung des WissZeitVG im Hochschulrahmengesetz verankert, nach dieser Zeitspanne waren jedoch nur noch auf Grundlage des TzBfG Befristungen möglich. Diese setzen einen Sachgrund voraus. Da die Drittmittelbefristung nicht eindeutig als Sachgrund definiert war, wurde aufgrund von Prozessrisiken meist auf eine weitere befristete Beschäftigung verzichtet. Dies konnte im ungünstigen Fall auch bedeuten, dass WissenschaftlerInnen nicht weiter beschäftigt wurden, obwohl Drittmittelgelder zur Verfügung gestanden hätten. Als Alternative bietet das WissZeitVG nun die Perspektive sich in endlosen drittmittelfinanzierten Kettenverträgen beschäftigen zu lassen.
Laut §1 (2) des WissZeitVG bleibt das Recht der Hochschule ihr Personal auch unbefristet zu beschäftigen unberührt. Unbefristete Beschäftigungen sind also durchaus möglich! Laut EU-Rahmenbedingung für befristete Arbeitsverträge soll ein Missbrauch durch aufeinanderfolgende befristete Arbeitsverhältnisse vermieden werden, trotzdem sind Arbeitsverträge nach dem WissZeitVG nicht grundsätzlich anfechtbar.6 Allerdings lohnt sich eine Einzelfallprüfung. Ab einer Beschäftigungsdauer von 10 Jahren kann die Befristung als missbräuchlich angesehen werden, zudem wird auch als Indiz für Missbrauch ausgelegt, wenn die Beschäftigungsdauer stark von der Projektdauer abweicht oder wenn jemand in einem anderen Projekt als in dem vertraglich festgelegten Projekt eingesetzt wird.6 Entscheidend ist allerdings immer nur der zuletzt abgeschlossene Arbeitsvertrag. Interessant ist zu prüfen, ob bei einer Drittmittelbefristung die angeblichen Drittmittel auch tatsächlich Drittmittel sind. So entschied das Arbeitsgericht Gießen, dass Sonderprojekte, die das jeweilige Bundesland finanziert, nicht Drittmittel sondern Landesmittel sind. Im konkreten Fall gab das Gericht einem Mitarbeiter Recht, der über zehn Jahre mit 16 befristeten Verträgen arbeitete. Die letzte Befristung bezog sich auf das LOEWE-Projekt des Landes Hessen (Landes-Offensive zur Entwicklung Wissenschaftlich-ökonomischer Exzellenz) und wurde für ungültig erklärt – damit befindet sich der Betroffene nun in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis.7 Sinnvoll ist auch zu prüfen, ob man tatsächlich zum wissenschaftlichen Personal gehört. Erfolg versprechend ist eine Klage auch, wenn es sich bei der Arbeit eindeutig um eine Daueraufgabe handelt.8
Eine Klage hilft in erster Linie immer nur einer einzelnen Person und birgt die Gefahr, auch vor Gericht zu verlieren. Trotz unsicherer Arbeitsbedingungen und Kettenverträgen sind WissenschaftlerInnen kaum gewerkschaftlich organisiert, obwohl laut einer ver.di-Studie von 2009 rund 75% der Wissenschaftlichen MitarbeiterInnen gegenüber Gewerkschaften offen sind.9 So sollte es doch Aufgabe sein, Wissenschaftliche MitarbeiterInnen zu organisieren, um sich gemeinsam zu wehren. Immerhin werden Forderungen laut nach Mindestquoten für unbefristete Verträge an Hochschulen, Mindestvertragslaufzeiten für befristete Verträge oder die Dauer der Befristung an die Dauer der Drittmittelförderung zu koppeln.6 Doch was soll die Flickschusterei? So wie es aussieht wäre es am besten zu fordern das Gesetz ganz abzuschaffen, damit für ArbeitnehmerInnen in der Wissenschaft keine Sonderregelungen gelten, sondern die gleichen arbeitsrechtlichen Grundlagen wie für alle anderen auch. Denn selbst die sind ja auch alles andere als grundsätzlich arbeitnehmerfreundlich.
Quellen:
[1] ↑ Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverträge (Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG), in Kraft getreten am 01.01.2001, in der Fassung vom 20.12.2011
[2] ↑ Gesetz über befristete Arbeitsverträge in der Wissenschaft (Wissenschaftszeit-vertragsgesetz, WissZeitVG), in Kraft getreten am 18.04.2007
[3] ↑ Laut Evaluation des WissZeitVG durch die Hochschul-Informations-System GmbH (HIS) haben über die Hälfte der befristeten Beschäftigungen vor einer Promotion eine Laufzeit von weniger als einem Jahr
[4] ↑ HIS: Evaluation des WissZeitVG. Gesetzesevaluation im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Die wichtigsten Ergebnisse im Überblick
[5] ↑ A. Keller: Stellungnahme der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) zum öffentlichen Fachgespräch „Evaluation des Wissenschaftszeitvertrags-gesetzes“ im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung des Deutschen Bundestages am 30. November 2011 in Berlin
[6] ↑ M. Rembold: Gerüttel an Kettenverträgen. Neues zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz, Laborjournal-Service Magazin für Biomedizin und Biowissenschaften, 10 (2014)
[7] ↑ Tausende Forscher können auf Entfristung hoffen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 01.08.2014
[8] ↑ Wissenschaft durch Kettenverträge gefesselt, ver.di publik, 06 (2014)
[9] ↑ „Zwischen W3 und Hartz IV“ – Arbeitssituation und Perspektiven wissenschaftlicher MitarbeiterInnen. Buchvorstellung 10.07.2013, www.koop-son.de/News-Layout.38+M5c83051d855.0.html
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