Kommentar zur Wahl in Griechenland
Die Regierungsübernahme Syrizas (Allianz der radikalen Linken) sorgte bei deutschen Linken für Jubel. Wer gesellschaftlichen Wandel oder ein emanzipatorisches Projekt erwartet, wird jedoch ein braunes Wunder erleben. Nach der Einigung von Parteichef Aléxis Tsípras mit Pános Kamménos, dem Gründer der nationalistisch-populistischen Néa Dimokratía-Abspaltung Anel (Unabhängige Griechen), warnen griechische Genoss_innen vor der Herrschaftsfalle nationale Einheit.
In Folge der Niederschlagung der Massenproteste 2010/2011 und der harten Repression der letzten drei Jahre hatte eine Minderheit in der anarchistischen Bewegung für die Wahl von Syriza geworben. Bessere Ausgangsbedingungen für soziale Kämpfe sollten geschaffen werden. Nun kommt es darauf an, die eigene Agenda voranzutreiben. Schon sechs Tage vor der Wahl schritten in Ioánnina knapp 100 Anarchist_innen zur Wiederbesetzung des während der Räumungswelle 2013 geräumten Zentrums Antibíosi. Andere damals geräumte Häuser und Zentren in Athen, Pátras und Thessloníki warten auf die Wiedereröffnung. Die Arbeiter der besetzten und in Selbstverwaltung betriebenen Fabrik Vio.Me erhöhen den Druck für eine Legalisierung des Betriebes. Auch die entschiedenen Kämpfe der Basisgewerkschaften gegen die Öffnung der Kaufhäuser am Sonntag werden nun zugespitzt. Weitere Forderungen wie die Schließung des neu eröffneten Hochsicherheitstrakts Kategorie C in Domokós, die erleichterte Einbürgerung von Migrant_innen sowie die griechische Staatsbürgerschaft für alle im Land geborenen Kinder, gilt es – gegen den Widerstand von Anel – durchzusetzen.
Eine linke Regierung sei links, „wenn sie sich selbst überflüssig macht“ und täglich „mehr Raum für Selbstorganisierung“ eröffnet, schreibt Genossenschaftler Kóstas Legákis am 10. Februar in der linken Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón. Er fordert „die Übertragung der Macht“ auf die unteren Bevölkerungsschichten. Es gehe nicht an, weiterhin kapitalistisches Wachstum zu propagieren und mit „der Verschwendung natürlicher Ressourcen, der Zerstörung von Allgemeingut und der Entfremdung menschlichen Lebens durch eine Kultur des Konsums“ fortzufahren. Das Ende der Privatisierungen sowie die Erhöhung von Löhnen und Renten seien zwar nötig, aber nicht genug. Die Umgestaltung der Gesellschaft an Stelle von weiterem kapitalistischen Wachstum sei das Gebot der Stunde. Soziale Bewegungen und selbstverwaltete Projekte forderten von der Regierung „keine Zuschüsse, sondern Raum und Luft zum Atmen“. Ein am 11. Februar von Klassenhass auf indymedia athens veröffentlichter Text ruft „die Arbeiterklasse“ auf, nicht in „die historische Falle der Bosse“ zu tappen und „der Nation“ als „patriotischem Ausweg aus der Krise zum Aufschwung“ ihre Zustimmung zu erteilen. Der angebliche Ausweg halte nur „brutale Ausbeutung in unerträglichen gesellschaftlichen Verhältnissen für Proletarier_innen“ bereit. Schon 2012 sei auf Veranstaltungen zum Aufstieg der Faschisten von Chrysí Avgí immer wieder zu hören gewesen, „die Linke solle die Nation nicht den Faschisten und Rechtsradikalen überlassen“. Die „Nation“ sei „ein weiterer Anknüpfungspunkt des Kampfes“, an dem die Linke intervenieren müsse, um ihr „eine andere, volksnahe (filolaikó, populär, von unten) Bedeutung“ zu geben. Dies sei ein Beispiel der „allgemein verbreiteten politischen Überzeugung weiter Teile der Linken, die seit vielen Jahrzehnten vollständig auf vielfältige Art in den Staat integriert“ ist. „Eine patriotische und nationalistische Sicht“, die sich ohne Problem auf „die rechtsradikale Krücke Anel und Kamménos als Verteidigungsminister“ stützt und gleichzeitig zu linken Kundgebungen zur „Unterstützung der nationalen Verhandlungen“ mit der Troika aufruft. Der Prozess zur Erlangung proletarischer Zustimmung zur Durchsetzung der Interessen griechischer Bosse sei nicht mit der Regierungsübernahme von Syriza abgeschlossen. Es sei „im Gegenteil ein dauernder Prozess der Verschärfung des Patriotismus unter linken Vorzeichen“, zu dem auch die schon einige Zeit verwendete „nationalistische Rhetorik der Nation unter neuer deutscher Besatzung“ beitrage.
In Deutschland dürfte die Kampagne „kein deutsches Geld für faule Griechen“ nun reanimiert werden. Bei aller Skepsis gegenüber der Querfront in Athen kann es hier nur darum gehen, den berechtigten griechischen Forderungen Nachdruck zu verleihen. Nicht die Griech_innen schulden uns Geld; umgekehrt wird ein Schuh daraus! Neben Reparationszahlungen für die Verwüstung des Landes und für Hunderttausende von Griechen, die zwischen 1941 und 1944 ermordet wurden und verhungerten, geht es um einen Zwangskredit in Höhe von damals 476 Millionen Reichsmark. Soviel presste die Deutsche Reichsbank 1942 der Bank von Griechenland zur Deckung von Besatzungskosten ab. Allein diese Schulden Deutschlands belaufen sich inzwischen auf 11 Milliarden Euro. Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren Reparationszahlungen, sie nennen einen Gesamtbetrag von 162 Milliarden Euro ohne Zinsen.
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