Globales

Nicht alles, was glänzt, ist Gold

Kommentar aus dem Baltikum von einem verreisten

Nun gut, vielleicht fällt so etwas nur auf, wenn mensch sich nicht in Deutschland aufhält, aber neben PEGIDA und anderem sind mir die medialen Äußerungen zu „den“ Griechen ein besonderer Dorn im Auge, von den Kommentarspalten gar nicht zu reden. Ein Vergleich wird immer wieder gern benutzt: „Die total verwöhnten Griechen übertreiben doch maßlos – im Baltikum haben sie doch auch eisern ihre Reformen umgesetzt und haben sich den Euro geradezu verdient – und deren Wirtschaft funktioniert!“ Den Euro mal beiseite geschoben, hinkt dieser Vergleich natürlich gewaltig. In der DA #225 schrieb ich ja bereits zur gewerkschaftlichen Situation in den baltischen Ländern. Dort klang schon an, dass hier – bedingt durch die Zeit innerhalb der Sowjetunion – ein obrigkeitsfolgsames Denken noch sehr ausgeprägt ist. Und schaut mensch auf die Situation hier, kann nun wirklich nicht von einem Paradies die Rede sein. Das fängt allein bei den Mindestlöhnen an – in Estland gelten 2,13 Euro bei gleichen Lebenshaltungskosten wie in Deutschland, in Lettland 1,93 Euro und in Litauen 1,76 Euro. In den beiden letzten Ländern sind die Waren des täglichen Bedarfs in etwa 20 Prozent billiger als hierzulande, dennoch bleibt diese Untergrenze nahezu lächerlich. Aber wird wirklich irgendjemand so bezahlt hier? In Estland ist die Beschäftigung vergleichsweise hoch, weshalb nur wenige Menschen so wenig verdienen, auch wenn es sie gibt – in Lettland und Litauen ist dies tatsächlich vermehrt der Fall. Das bedeutet also eine Arbeitszeit von 45 bis über 50 Stunden pro Woche, wobei im Monat um die 300 Euro herum kommen. Und es geht weiter – Krankengeld? Wurde beispielsweise im öffentlichen Dienst in Litauen abgeschafft, um die Maastrichtkriterien zu erfüllen, jetzt wurde es wieder auf dem altem Niveau eingeführt – 80 Prozent des Gehalts. Alles, was die Menschen da überleben lässt, ist, dass sie ihre Wohnungen selbst besitzen (weshalb aber auch wenig saniert wird).

Die Menschen leiden hier immer noch unter neoliberalen Reformen, die durch europäische Institutionen vorgeschrieben wurden – denn viele der Reformen zur Einführung des Euro kamen nicht aus eigener Hand. Die Regierungen hier haben dies jedoch einfacher durchdrücken können, da es kaum eine Kultur des Widerstands gibt. Es gibt hier erste zarte Pflänzchen, sich miteinander zu solidarisieren und bessere Bedingungen an den Arbeitsplätzen zu fordern, allerdings ist dies noch ein weiter Weg. Dennoch zahlt der anhaltende Lebensdruck auch hier seinen Tribut: Gewalt ist auf der Straße alltäglicher als in Deutschland, Alkoholismus besonders in den ehemaligen sowjetischen Industriebezirken ein echtes Problem. Ein weiteres Konfliktfeld bleibt ebenso die Problematik der russischen Minderheiten in Estland und Lettland (dort etwa ein Viertel der jeweiligen Gesamtbevölkerung) und in Litauen nur in der Hauptstadt Vilnius. Dabei wurde das Nationalitätenproblem zwar in den letzten fünf Jahren etwas entschärft, da Russisch mittlerweile in allen Schulen, auch denen der Esten und Letten, erste Fremdsprache ist, dennoch persistiert der Konflikt zwischen einer ärmeren russischsprachigen Bevölkerung und einer lettischen, estnischen und auch litauischen Bevölkerung, die tendenziell leichter an Arbeit kommen kann. Sein Übriges tut dabei natürlich auch der Putinsche Apparat, der versucht, die Menschen nach Nationalitäten aufzuwiegeln. Dabei fällt durch die anhaltend schlechten Bedingungen auf, dass die Trennung der Gesellschaften nicht mehr rein nach Sprachen geht, sondern inzwischen durchaus in die jeweilige Schicht. Es fehlt im alltäglichen Leben noch sehr viel Solidarität miteinander – ein Problem, das ich bei allen sozialen Schieflagen dennoch in Deutschland als stärker ausgeprägt empfinde als hier. Gerade dadurch, dass viele kaum mehr als die jeweils anderen besitzen, ist zumindest im privaten Bereich Platz für eine sehr großzügige Solidarität.

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Die Redaktion der Direkten Aktion.

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