Rechenkünste beim Hartz IV-Regelsatz
Es gibt sie noch, die „guten Menschen“ inmitten der sozialen Eiseskälte. Anfang Februar 2015 präsentierte die Hans Böckler Stiftung das Arbeitspapier 309. In der Studie „Der Einfluss verdeckter Armut auf das Grundsicherungsniveau“ plädiert die Autorin neben der Rücknahme der Verkleinerung der Bezugsgruppe oder der Streichung von Ausgaben dafür, die „verdeckt Armen“ aus der Referenzgruppe herauszunehmen. DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach sagte daraufhin, die Regelsätze seien „künstlich runtergerechnet“, das müsse sofort geändert werden. Wie sich das DGB und Böckler-Stiftung vorstellen, hat die Verteilungsforscherin Dr. Irene Becker in der Studie berechnet: Der Hartz-IV-Regelsatz sei 45 Euro zu niedrig.
Der Regelsatz (Arbeitslosengeld II für Alleinstehende) beträgt aktuell 399 Euro. Darin enthalten sind für Ernährung und alkoholfreie Getränke 141,65 Euro, für Bekleidung und Schuhe 33,52 Euro, für Verkehr 25,14 Euro, für Energie und Wohnungsinstandhaltung 33,36 Euro, für Freizeit, Unterhaltung und Kultur 44,05 Euro und für Bildung ganze 1,52 Euro. Für Beherbergungs- und Gaststättendienstleistungen erhält man 7,90 Euro. Für die Innenausstattung, Haushaltsgeräte und -gegenstände ganze 30,24 Euro. Kaputt gehen darf weder die Waschmaschine, der Kühlschrank oder gar ein Computer. Reisen ist mit dem Regelsatz überhaupt nicht möglich. Und Teilhabe am kulturellen Leben auch nicht.
Der Streit um den Regelsatz wird weitergehen. Am 9. Februar 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe sein Urteil zu den Regelsätzen beim Arbeitslosengeld II und beim Sozialgeld verkündet. Statt Hartz IV substantiell in Frage zu stellen, übten sie vor allem Methodenkritik. Sofort begannen die Tricksereien. Beim Regelsatz wurde die preiswerteste Variante errechnet, in dem sie die Referenzgruppe von bisher 20 auf 15 Prozent verkleinerten. Die Referenzgruppe ist der untere Einkommensbereich, also jetzt die unteren 15 Prozent, deren Konsumausgaben maßgeblich für die Regelbedarfsermittlung sind. Zudem wurden Schnittblumen sowie die 19,19 Euro für Tabak und Alkohol gestrichen, als Ersatz gab‘s 2,99 Euro für Mineralwasser. Nicht nur die Politik und Wissenschaft, auch Wohlfahrtsverbände, DGB und Erwerbslosenvertretungen betätigen sich als Rechenkünstler. Das „Bündnis für ein menschenwürdiges Existenzminimum“ sah eine „Dimension des Mangels“ in einer „Bedarfslücke“ von 150-170 Euro. Statt der bisher üblichen Anteile für die tägliche Ernährung zwischen 2,82 Euro (Kleinkinder) und 4,77 Euro (Erwachsene) im Jahre 2013 errechneten sie zwischen 3,03 Euro und 8,06 Euro.
Das Bundesverfassungsgericht ließ sich nicht beeindrucken, es brachte 2014 ein neuerliches Urteil heraus. Wie brutal muss man sein, um festzustellen, dass „vorliegend jedenfalls nicht erkennbar geworden (sei), dass existenzgefährdende Unterdeckungen eintreten“. Der Regelsatz sei „noch“ verfassungsgemäß. Zweifel am derzeitigen Ergebnis der Regelbedarfsermittlung gab es nur bei „sprunghaften Preissteigerungen beim Haushaltsstrom“, „zu knapp bemessenen Mobilitätskosten“, „unrealistischen Zurechnungen von Haushaltsausgaben auf einzelne Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft“ und „[einem] möglicherweise zu geringen oder fehlenden Spielraum, der für den ‚internen Ausgleich‘ (zwischen im Einzelfall über- und unterdurchschnittlichen Bedarfen) und das Ansparen für unregelmäßig anfallende Ausgaben notwendig wäre“. Die ExpertInnen aller Seiten rechnen und fühlen sich auch noch gut dabei. Wer davon allerdings leben muss, wird für seine Armut noch verachtet.
Weitere Infos zum Bündnis: www.menschenwuerdiges-existenzminimum.org
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