Nationale Einheit in der Misere oder „eine Kampagne zur Stabilisierung des europäischen Kapitalismus“
Auch drei Monate nach dem Machtwechsel in Athen und der Regierungsübernahme durch die Querfront-Koalition aus Syriza (Allianz der radikalen Linken) und Anel (Unabhängige Griechen) hat sich die Aufregung nicht gelegt. Kaum hatte die neue griechische Regierung Ende Februar den drohenden Finanzkollaps abgewendet, drohte Ende März das nächste Desaster. So schnell hatte sich die am 20. Februar in Brüssel ausgehandelte Übergangsfinanzierung für vier Monate als Makulatur erwiesen. Ministerpräsident Aléxis Tsípras hatte in der Athener Tageszeitung Efimerída ton Syntaktón vom 21. Februar noch von einer „gewonnenen Schlacht“, dem „Ende der Spardiktate“ und gar „dem Ende der Troika“ gesprochen und sah nach „harten Verhandlungen“ die Möglichkeit, „eine neue Seite in Griechenland und Europa“ aufzuschlagen. Der Verhandlungspoker allerdings ging ohne Unterbrechung weiter, und inzwischen steht Syriza und damit die Regierung vor einer Zerreißprobe.
Egal, ob die Troika aus Europäischer Zentralbank (EZB), EU-Kommission und Internationalem Währungsfonds (IWF) in „die Institutionen“ umgetauft wurde, das „Sparmemorandum“ jetzt „Vereinbarung“ heißt und die Kreditgeber „Partner“ sind, die gescheiterte Sparpolitik soll weiterhin durchgesetzt werden. In einer Regierungserklärung Ende Februar gab Syriza erstmals offiziell klein bei. Dort heißt es: „Die griechischen Behörden unterstreichen ihr Bestreben, den finanziellen Verpflichtungen gegenüber den Kreditgebern voll und ganz nachzukommen. (…) Die griechischen Behörden verpflichten sich, von Maßnahmen Abstand zu nehmen, die einseitig auf eine Änderung der Politik der Strukturreformen hinauslaufen und sich damit negativ auf die von den Institutionen festgelegten Ziele wirtschaftlicher Erholung und der Stabilisierung des Finanzsystems auswirken.“ Obwohl die sozialen Bewegungen ihre Forderungen also nach wie vor gegen die Regierung durchsetzen müssen, steht eine recht breite Mehrheit der Bevölkerung hinter deren Politik. Kostenloser Strom und Essensmarken für Bedürftige oder die Abschaffung der Patientengebühr für Arztbesuche und Rezepte, auch beim Mittelstand kommt diese Art der Armutsbekämpfung trotz – oder gerade wegen – der entschiedenen Missbilligung durch die Troika gut an. Das selbstbewusste und entschiedene Auftreten von Regierungschef Tsípras und Finanzminister Gianis Varoufákis in den Verhandlungen mit Deutschland und „den Institutionen“ gibt außerdem vielen GriechInnen das Gefühl, ihre Würde wiedererlangt zu haben, selbst wenn sich wirtschaftlich nichts zum Besseren verändert hat. Varoufákis, der immer wieder betont, den „europäischen Kapitalismus“ retten zu wollen, gibt, angeheizt von den deutschnationalen Kampfblättern Bild und Spiegel zumindest in Deutschland inzwischen das Feindbild Nr. 1 ab. Trotz seiner Ansicht, „dass die heutige EU grundsätzlich ein undemokratisches Kartell ist, das die Völker Europas auf einen Weg der Menschenfeindlichkeit, der Konflikte und einer andauernden Rezession geführt hat“, sieht er keine Linke, die in der Lage sei, eine lebensfähige Alternative zu präsentieren. In einem Vortrag in Zagreb führte er 2013 aus: „Meines Erachtens erleben wir gegenwärtig nicht einfach eine weitere zyklische Krise, die überwunden sein wird, sobald die Profitrate nach den unvermeidlichen Lohnsenkungen wieder steigt. Deshalb stellt sich für uns Radikale folgende Frage: Sollen wir diesen generellen Niedergang des europäischen Kapitalismus als Chance begreifen, ihn durch ein besseres System zu ersetzen? Oder müssen wir so beunruhigt sein, dass wir eine Kampagne zur Stabilisierung des europäischen Kapitalismus starten sollten? Für mich ist die Antwort klar. Die Krise in Europa wird wohl kaum eine bessere Alternative zum Kapitalismus hervorbringen, sondern viel eher gefährliche rückwärtsgewandte Kräfte entfesseln, die ein Blutbad verursachen und gleichzeitig jede Hoffnung auf Fortschritt auf Generationen hinaus vernichten könnten.“
Ob es ihm und Syriza gelingt, Brüssel und Berlin von ihrem Weg der Rettung des „europäischen Kapitalismus“ zu überzeugen, wird die nahe Zukunft zeigen. Sollten dort jedoch keine neuen Gelder bereitgestellt werden, droht Griechenland unweigerlich die Pleite. Damit würde die griechische Schuldenkrise das angeblich von keinem der Beteiligten gewünschte Ende nehmen: den Austritt des Landes aus der Euro-Zone aufgrund akuter Zahlungsunfähigkeit. Der einzig gangbare Ausweg wäre die politische Entscheidung, Griechenland Zeit zu geben, sich wirtschaftlich zu erholen, anstatt jeden Euro in die Schuldentilgung zu stecken. Da die Gesamtschulden in Höhe von 320 Milliarden Euro niemals zurückgezahlt werden können, dient die Durchsetzung der Spardiktate einzig dazu, ein Exempel zu statuieren. Eine Änderung der verhassten Politik soll es schon deshalb nicht geben, um den Menschen in Spanien, Portugal und Italien jegliche Hoffnung auf diese Möglichkeit von vornherein zu nehmen.
Die für Ende März ultimativ von „den Institutionen“ angeforderte „belastbare Reformliste“ wurde letztlich geliefert. Sie beinhaltet 18 Maßnahmen, die Athen etwa 3,5 Milliarden Euro einbringen sollen, enthält jedoch keine weiteren Kürzungen von Gehältern und Renten. Entgegen den Wahlversprechen Syrizas soll es allerdings weitere Privatisierungen geben. Außerdem geht es um Maßnahmen wie die Gebühreneintreibung für TV- und Radio-Frequenzen, die von vorigen Néa Dimokratía- und Pasok-Regierungen nie vollstreckt worden waren. Die Frequenzen waren 1989 „vorläufig“ zugeteilt worden. Ihre Besitzer, die größten Bauunternehmen des Landes und Reedereifamilien, mussten noch nie Nutzungsgebühren zahlen, weil angeblich irgendwann eine endgültige Regelung verabschiedet werden sollte. Was jedoch nie geschah, wodurch dem Staat jährliche Einnahmen in Höhe von über 100 Millionen Euro entgingen. Darüber hinaus drohte Innenminister Nikos Voútzis eine verspätete Rückzahlung eines IWF-Kredits an. „Wenn bis 9. April kein Geld fließt, werden wir zuerst die Gehälter, Renten und Pensionen hier in Griechenland zahlen und bitten dann unsere Partner im Ausland um Verständnis, dass wir die 450 Millionen Euro an den IWF nicht pünktlich zahlen werden.“ Tsípras kündigte unterdessen in einer Parlamentsdebatte zur Finanzlage an, einen „ehrenhaften Kompromiss“ mit den Kreditgebern anzustreben. Brüssel und Berlin jedenfalls lehnten auch das 18-Punkte-Konzept ab. Nach dem immer gleichen Prinzip seit Beginn der „Rettung“ Griechenlands durch die Troika, die das Land immer tiefer in Verschuldung, Rezession und soziale Verelendung treibt, werden tiefere Einschnitte, weitere Kürzungen und schnellere Privatisierungen gefordert.
Angesprochen auf den von den Gläubigern ausgeübten Druck sprach sich der Minister für wirtschaftlichen Wiederaufbau, Umwelt und Energie, Panagiótis Lafazánis, Anfang April für das unbedingte Festhalten am Syriza-Parteiprogramm aus. Im Zweifelsfall müsse man den Bruch mit der EU wagen: „Der einzige Realismus in kritischen Momenten wie den derzeitigen ist der Umsturz“, sagte Lafazánis gegenüber der griechischen Finanzzeitung Capital, bevor er nach Russland abreiste, um dort die Möglichkeit besserer wirtschaftlicher Zusammenarbeit auszuloten. Eine Woche zuvor war der griechische Vizeregierungschef Giánnis Dragasákis aus denselben Gründen bereits nach Peking geflogen. Und allein die Ankündigung des Russlandbesuchs von Ministerpräsident Tsípras am 8. April hatte zu heftigen Unmutsbekundungen unter EU-Politikern geführt. Dabei hatte Dragasákis in China angekündigt, die Regierung wolle entgegen vorherigen Versprechen nun doch die Mehrheit am Hafen in Piräus verkaufen. Zur Privatisierung des größten griechischen Hafens hatte sich die alte Regierung unter Antónis Samarás gegenüber der Troika verpflichtet. Dragasákis forderte nun die chinesische Großreederei COSCO auf, ein „wettbewerbsfähiges Angebot“ für die Übernahme der gesamten Hafenanlage abzugeben. Das Geschäft könne dann binnen weniger Wochen über die Bühne gehen. COSCO besitzt bereits die ertragreiche Containerverladestation. Die Hafenarbeiter werten die Verkaufsankündigung als Kriegserklärung.
In dieser angespannten Situation hat sich nun eine Minderheitsfraktion von Syriza zu Wort gemeldet, die schon immer für den Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone plädiert hatte. Ihr Sprecher Kostas Lapavítsas erklärte die „Testphase“ für beendet und forderte einen „geordneten Austritt“ aus der Euro-Zone. Um den totalen Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft zu vermeiden, soll der „Grexit“ abgefedert werden. Zum einen durch eine Umschuldungsvereinbarung mit den Gläubigern, darüber hinaus durch eine Wechselkursgarantie für die wiedereingeführte Drachme seitens der EZB und drittens durch die Stabilisierung des griechischen Banksektors. Bei allen drei Punkten wären das Wohlwollen und die Kompromissbereitschaft der europäischen Machtzentralen unabdingbar. Woher die kommen sollen, bleibt unklar.
Tsípras Ankündigung, enger mit Russland kooperieren zu wollen, stößt in Berlin und Brüssel ebenso auf Ablehnung wie die Infragestellung der Zustimmung seiner Regierung zur Verlängerung der Sanktionen gegen Moskau. Die Sanktionen bezeichnete er als „Sackgasse“ und Russland als „untrennbaren Teil der europäischen Sicherheitsstruktur“. Russen und Griechen seien enge Verbündete. „Unsere Nationen hatten brüderliche Beziehungen geschmiedet, als sie in einem kritischen historischen Augenblick einen gemeinsamen Kampf führten“, betonte Tsípras mit Verweis auf den Widerstand gegen Nazideutschland und regte eine engere Zusammenarbeit mit Moskau im Energiebereich und der Landwirtschaft an. Russland hatte der neuen Regierung Hilfe zugesagt, sollte Athen um Unterstützung bitten. „Der Geisterfahrer – Europas Albtraum Aléxis Tsípras“, hatte der Spiegel schon direkt nach dem Wahlsieg Syrizas getitelt und damit die Stimmung des deutschen Establishments auf den Punkt gebracht. Der Aufstieg Syrizas zur Macht hatte alte Vorbehalte erweckt, darüber hinaus aber auch breiteres Interesse für diese so genannte radikale Linke entfacht. Eine „radikale Linke“, die bisher sowohl von den Massenmedien als auch von akademischen Zirkeln und der Klasse der Ausgebeuteten vor allem mit Nichtbeachtung bedacht worden war. Dabei lohnt es sich, einen Blick zurück in die 1960er und 1970er Jahre, auf den Moment des Eurokommunismus sowie die griechische Vergangenheit mit ihren Besonderheiten zu werfen. Syriza ist keine Krisenerscheinung der letzten Jahre, keine mehr oder weniger spontan entstandene Bewegungspartei der geplagten Bevölkerung als Antwort auf die Kürzungs- und Austeritätspolitik und den Abbau demokratischer Rechte im durch Deutschland dominierten Europa. Syriza ist eine Partei mit jahrzehntelanger Geschichte und tief verwurzelt in der kommunistischen Tradition.
Der mit Abstand wichtigste Gründungspfeiler Syrizas, die Linksallianz Synaspismós, ist die Fortsetzung eines Spaltungsprodukts der griechischen kommunistischen Partei KKE. Es handelt sich um die 1968 auf der Basis des so genannten Eurokommunismus – in Abgrenzung zur moskautreuen KKE – gegründete KKE-esoterikoú, „des Inlands“, wie sie sich damals nannte: Der rote Faden, der sich von der eurokommunistischen Bewegung der 1970er Jahre, die einen demokratischen Weg zum Sozialismus beschreiten wollte, bis zum heutigen Parteienbündnis Syriza zieht. Charakteristisch für diese als dritter Weg zwischen Sozialdemokratie, traditioneller kommunistischer Partei und radikaler Linker angesiedelten Parteien war der Versuch, die kommunistische Theorie und Strategie auf eine zeitgemäße Basis zu stellen, die besser zu den modernen Gesellschaften und den sie durchziehenden vielfältigen und komplizierten Herrschaftsmechanismen und Unterdrückungsstrukturen passt. Ebenso charakteristisch für die eurokommunistischen Parteien sind ihr ungeklärtes Verhältnis zum kapitalistischen Staat und die Tatsache, dass es nie gelang, sich auf eine einheitliche Theorie und Praxis zu einigen. Der Beginn der Bewegung kann 1968 mit der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts verortet werden. Somit kann der Eurokommunismus als eine Art Unabhängigkeitserklärung kommunistischer Parteien von der Bevormundung durch Moskau bezeichnet werden.Eine griechische Besonderheit besteht darin, dass die Spaltung der KKE sich nicht erst 1968 vollzog. Schon kurz nach Stalins Tod 1953 war es zu heftigen internen Fraktionskämpfen in der Exil-KKE gekommen, die 1956 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent in der damaligen Sowjetunion sogar zu Straßenschlachten unter den knapp 20.000 Flüchtlingen führten, die dort nach dem 1949 verlorenen griechischen Bürgerkrieg angesiedelt worden waren. Letztlich spaltete sich die Exil-KKE in AnhängerInnen des Parteivorsitzenden Níkos Zachariádis (Stalintreue) und „Modernisierer“, AnhängerInnen des neuen KPdSU-Vorsitzenden Chruschtschow. Eine Spaltung, die sich in der Folge auch in der Partei fortsetzte, die zu dieser Zeit in Griechenland verboten war.Erst mehr als 30 Jahre später, zu den Parlamentswahlen 1989, kam es wieder zur Zusammenarbeit verschiedener kommunistischer Parteien und Strömungen. In einem Wahlbündnis schlossen sich KKE, Eurokommunisten und kleinere kommunistische Gruppen zum Linksbündnis Synaspismós zusammen. Nach dem Zusammenbruch des „real existierenden Sozialismus“ und der darauf folgenden erneuten Spaltung der KKE verließ der orthodoxe Teil der Partei 1991 das Bündnis, das sich in der Folge als eigenständige Partei konstituierte und seitdem in Konkurrenz zur KKE bei Wahlen antritt. 2004 schloss sich Synaspismós mit trotzkistischen, maoistischen, ökologischen und sozialdemokratischen Kleinparteien zum Wahlbündnis Syriza (Allianz der radikalen Linken) zusammen, das sich 2012 als vereinigte Partei konstituierte.
Die schnelle Einigung von Parteichef Tsípras mit Pános Kamménos, dem Gründer der nationalistisch-populistischen Néa Dimokratía-Abspaltung Anel (Anexártitoi Ellines, Unabhängige Griechen), über die Bildung einer links-rechten Regierungskoalition, machte deutlich, dass die Zusammenarbeit der ungleichen Partner bereits im Voraus beschlossene Sache gewesen war. Beide Parteien eint nur ein gemeinsames Ziel: das Ende der Spardiktate für Griechenland. Anel wurde im Februar 2012 vom bekannten homophoben Nationalisten, Verschwörungstheoretiker und früheren stellvertretenden Schifffahrtsminister der Néa Dimokratía, Pános Kamménos, aus Protest gegen die Spardiktate der Troika gegründet, wobei er „die Jungfrau Maria als Helferin und Beschützerin“ anrief. Nicht nur in der anarchistisch/antiautoritären Bewegung gilt Kamménos schon seit den 1990er Jahren als ausgeprägter Profilneurotiker. Mit seinem Buch „Terrorismus: Von der Theorie zur Praxis“, in dem er die Zusammenarbeit der sozialdemokratischen Pasok mit der Stadtguerillaorganisation 17. November beweisen wollte, machte er sich 1992 zur Lachnummer. Als AnarchistInnen 1996 eine nationalistische Veranstaltung mit Kamménos an der Uni Thessaloníki störten, wobei es zu körperlichen Auseinandersetzungen kam, behauptete er, acht von ihnen trotz Vermummung erkannt zu haben. Nach jahrelangen Prozessen wurden die Beschuldigten freigesprochen. Im Strafverfahren gegen die Stadtguerillaorganisation ELA (Epanastatikós Laikós Agónas, Revolutionärer Volkskampf) 2004 verwiesen ihn die Richter des Saales, als er ohne Ladung im Prozess erschien, um angebliche Geheimakten der Stasi mit belastenden Indizien gegen die Angeklagten zu präsentieren. Auch jetzt als neuer Verteidigungsminister liebt er den großen Auftritt. Gerade drei Tage im Amt, ließ er es sich am 30.01.2015, dem Imía-Jahrestag des Beinahe-Krieges 1996 zwischen Griechenland und der Türkei um den unbewohnten Felsbrocken Imía in der Ägäis, nicht nehmen, dort von einem Militärhubschrauber aus einen Lorbeerkranz abzuwerfen. Die Empörung der türkischen Regierung und der Applaus griechischer Nationalisten waren wohlkalkuliert. Der Anel-Abgeordnete Nikos Nikolópoulos wiederum kommentierte die eingetragene Lebenspartnerschaft des schwulen luxemburgischen Ministerpräsidenten Xavier Bettel mit dem Spruch, das „Europa der Nationalstaaten“ entwickle sich zum „Europa der Schwuchteln“. Die Abgeordnete Rachil Makrí dagegen wechselte noch vor den Wahlen von Anel zu Syriza. Ihr bei den Neonazis beliebtes Tattoo – ein Spartaner-Schild – stört wohl weder ihre alte noch die neue Partei. Kurz vor der Wahl sorgte sie mit der Ankündigung für Unterhaltung, Griechenland werde 100 Milliarden Euro selbst drucken, sollte die EU die Gelder streichen. Trotz des Übertritts von Makrí, die Gemeinsamkeiten beider Parteien halten sich in Grenzen. Bei allen „nationalen“ Themen, wie der Zypernpolitik, der umstrittenen Namensgebung des Nachbarlandes Mazedonien (FYROM, Former Yugoslawien Republic of Macedonia), dem Umgang mit der türkischsprachigen Minderheit in Nordgriechenland oder der Grenzziehung in der Ägäis, liegen die Positionen meilenweit auseinander. Auch innen- und gesellschaftspolitisch streicht Syriza der nationalen Einheit zuliebe schon jetzt emanzipatorische Reformen. Die einst angestrebte Trennung von Staat und Kirche und auch eine gerechtere Besteuerung des Kirchenbesitzes wurden als erstes gekippt. Noch vor der Wahl hatte Kamménos die enge Verbindung mit der orthodoxen Kirche zu einem der Grundsätze von Anel erklärt. Obwohl jedeR im Land weiß, dass die Kirche für ihren riesigen Waldbesitz, ihre Felder, Grundstücke und Immobilien entweder gar keine Steuern oder nur die Hälfte dessen bezahlt, was Normalbürger abführen müssen, behauptete er im Interview mit dem Fernsehsender ANT1 unwidersprochen das Gegenteil: „Buddhisten, Juden und Muslime“ zahlten keine Steuern, während die orthodoxe Kirche dabei sei, „ihre Klöster zu verlieren“. Im Grunde repräsentiert die Koalition eine Querfront aus verschiedenen sozialen Bewegungen und Berufsgruppen, die gegen die Kürzungs- und Austeritätspolitik der letzten Jahre auf die Straße gingen. Schon 2011 bei den Platzbesetzungen waren auf dem Syntagma-Platz in Athen sowohl Rechte und Reaktionäre wie z.B. die selbstständigen LKW- und Taxifahrer oder die Besitzer kleiner Läden versammelt als auch andererseits die Massen der linken Protestierenden. Dort war es wiederholt zu Spannungen und teilweise körperlichen Auseinandersetzungen gekommen. Um den von Syriza und Anel angestrebten nationalen Konsens zu erlangen, müssten die Erwartungen der unterschiedlichen Gruppen zumindest ansatzweise bedient und zugleich ernsthafte Brüche mit der orthodoxen Kirche, den Wirtschafts- und Medienmogulen und dem Polizeiapparat vermieden werden. Eine Quadratur des Kreises und darüber hinaus nur nach erfolgreichen Verhandlungen mit den Gläubigern finanzierbar. Woran sich Tsípras und Varoufákis die Zähne auszubeißen scheinen.
Für Linke und AnarchistInnen in Deutschland kann es momentan nur darum gehen, die verschiedenen sozialen Bewegungen in Griechenland so gut wie möglich zu unterstützen. Gleichzeitig gilt es bei aller Skepsis gegenüber der Querfront in Athen, den berechtigten griechischen Forderungen nach einem Schuldenschnitt und einem Ende der Spardiktate endlich Nachdruck zu verleihen. Die morgendlichen Randale gegen die EZB-Einweihung in Frankfurt am 18. März wurden unabhängig vom Sinn oder Unsinn der Aktionen von vielen GriechInnen wohlwollend zur Kenntnis genommen. Die Zerstörung war an ihren Herkunftsort zurückgekehrt.Denn letztlich ist es doch so: Nicht die GriechInnen schulden Deutschland Geld, umgekehrt wird ein Schuh daraus! Neben den noch immer ausstehenden Reparationszahlungen für die Verwüstung des Landes mit Hunderttausenden von im Zweiten Weltkrieg ermordeten und verhungerten GriechInnen geht es auch um einen Zwangskredit in Höhe von damals 476 Millionen Reichsmark. Soviel presste die Deutsche Reichsbank 1942 der Bank von Griechenland zur „Deckung von Besatzungskosten“ ab. Allein diese Schulden Deutschlands belaufen sich inzwischen auf 11 Milliarden Euro. Griechische Widerstandsorganisationen fordern zudem seit Jahren Reparationszahlungen über einen Gesamtbetrag von 162 Milliarden Euro ohne Zinsen.
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