Um den 20. März ließ die Lufthansa durch ihre Personalvorsitzende Bettina Volkens die Fraktionen des Bundestags wissen, dass ihr der Eingriff ins Streikrecht durch das Tarifeinheitsgesetz nicht genügt. Dieser müsse „nachgebessert“ werden, und zwar durch Schlichtungsverfahren, Ankündigungsfristen und eine „Sicherstellung der Grundversorgung“. In dasselbe Horn hatte vorher bereits die CSU gestoßen. Nur eine halbe Woche später hatte die Lufthansa dann aber ganz andere Probleme: Der Absturz des Germanwings-Flugs 4U9525 dominierte seit dem 24. März sämtliche Medien. Und ganz schnell ging es nur noch um einen von diesen Piloten, die ja viel zu oft streiken – um den jungen Co-Piloten, der landauf, landab verantwortlich gemacht wird.
Der Ton der Medien ist dabei, gelinde gesagt, gruselig: Die Bild schwadroniert von Amoklauf und nennt den Piloten einen „Massenmörder“. Es werden Vergleiche zu Mohammed Atta und Andreas Breivik gezogen, selbst als „größter deutscher Verbrecher des (jungen) 21. Jahrhunderts“ wird der Co-Pilot bezeichnet, was wohl einen Hitler-Vergleich nahe legen soll. Das findet eben nicht nur in der Bild statt, sondern auch in den sogenannten „Qualitätsmedien“. Die Massenmedien haben jedes Maß verloren. Die sogenannte „Vierte Gewalt“ im Staat nabelt sich von der staatlichen Gewaltenteilung ab, ermittelt, verurteilt und lässt den Mob richten. Es ist eben nicht – wie Pegida behauptet – die Wahrheitsliebe, die den JournalistInnen fehlt, es ist bloß jegliches Verantwortungsgefühl. Journalismus ist jetzt Boulevardismus und stinkt gewaltig verwest vor sich hin.
Man mag von staatlichen Rechtssystemen halten, was man will – der Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagten“ klingt für mich ziemlich vernünftig. Niemand gilt als schuldig, solange seine oder ihre Schuld nicht einwandfrei bewiesen ist. Dieser durchaus erhaltenswerte juristische Grundsatz wird seit geraumer Zeit einem anderen Bedürfnis untergeordnet, das für unsere Zeit prägend ist: dem Sicherheitsbedürfnis, dem nun alles andere – bevorzugt Grundrechte von der körperlichen Unversehrtheit bis zum Streikrecht – untergeordnet werden. Dass die Medien einen vermutlich psychisch kranken Menschen als „Massenmörder“ vorverurteilen gehört ebenso zu diesem Sicherheitswahn wie das Ergebnis einer Umfrage aus dem Herbst 2014, nach der jedeR dritte Studierende der Rechtswissenschaften die Todesstrafe befürwortet und sogar jedeR zweite die Folter: Das ist nicht nur ein Zeichen der Brutalisierung der Gesellschaft, sondern auch der Weg in einen autoritären Sicherheitsstaat (wobei zu präzisieren wäre: soziale Sicherheit ist hier nicht gemeint!).
Natürlich stellt keines der Printmedien auch nur beiläufig die Frage nach dem Auslöser einer eventuellen Psychose. Dabei wäre es so einfach! In den meisten Fällen lautet die Diagnose: Verrückt geworden durch den Kapitalismus. Es ist der Druck der Arbeit, vielmehr aber noch der drohenden Arbeitslosigkeit, der als Motiv wenigstens diskutiert werden müsste. Mit Streiks, die zum Beispiel immer wieder auch eine Absicherung für gesundheitlich nicht mehr flugtüchtige PilotInnen thematisierten, könnte man diesem Terrorismus des Alltags ein wenig entfliehen. Aber – und hier schließt sich der Kreis zu der Argumentation Bettina Volkens – das würde eben auch die Sicherheit gefährden. Verdammt, irgendwie muss man doch hier raus kommen!
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