Kultur

Die Rückkehr der Allmende

Gartenkultur als gemeinschaftlicher Prozess

Allmende – das ist eine seit alters her bekannte Weideform, das Land gehört allen in einer Gemeinde und wird gemeinsam genutzt. Kollektives Eigentum also, das dank hartnäckigen bäuerlichen Widerstandes trotz hemmungsloser Profitmaximierung und Privatisierung des Bodens noch immer nicht ganz von diesem Planeten verschwunden ist. Seit sechs, sieben Jahren erlebt Allmende, als Urban Gardening modernisiert, nun auch in Deutschland ein ungeahntes Comeback. Gemeint sind kollektives Gärtnern und Umgestaltungen des öffentlichen Raumes, die spätestens mit der Bepflanzung des Londoner Parliament Square am 1. Mai 2000 weltweit in die Schlagzeilen gerieten und inzwischen viele neue Fans gefunden haben. Man kann das Wesentliche daran kurz und treffend so ausdrücken: „Leute kommen vorbei, die ich nicht kenne, schauen sich um, freuen sich, manchmal fragen sie ‚was ist das hier?‘ ‚Ein Garten‘, sage ich. ‚Schön‘, sagen sie dann!“ So Christophe Kotanyi über den Berliner „Allmende-Kontor“-Garten, in dem sich türkisch- und deutschstämmige ProletInnen treffen. Der „Allmende-Kontor“ ist einer der „Sprechenden Gärten“ von Teresa Beck und René Reichelt, die sie in ihrer so benannten sehenswerten Dokumentation auf YouTube vorstellen. Nichts weniger als die industrielle Lebensweise in Großstädten wird in Frage gestellt: Auf ehemals einfachen Rasenflächen oder gar Betonplätzen entstehen Gärten, meist von offenen Gruppen angelegt. Wie notwendig solch ein bewusstes und selbstorganisiertes „Zurück zur Natur“ ist, zeigt die Wirklichkeit des bereits vorhandenen „Natur- und Naherholungsraumes“.

Denn an sonnigen Tagen strömen Hunderttausende aus den Metropolen wie Wahnsinnige ins Grüne, branden an den Ufern von nahen Seen oder Flüssen. An der zu lauten Hektik und Gier dieser Massenaufläufe, an denen in Büsche weggeworfenen Verpackungen, zu Scherben zerbrochenen Wein- und Bierflaschen, an den in der Nacht zuvor zurückgelassenen Heroinspritzen und den auf Spielwiesen verteilten Hundekot lässt sich etwas Beunruhigendes ablesen: Obwohl sie es ja eigentlich wollen, gelingt es den meisten hier überhaupt nicht, Natur zu erleben, sich als Teil von ihr mit ihr zu verbinden, denn sonst würden sie nicht so gleichgültig auf ihrer Mutter herumtrampeln. Dennoch wird bei ihnen während dieses seelenlosen Freizeitkonsums ein unruhiges Rumoren im Unbewusstsein bleiben, Sehnsucht, diese Wiese hier, samt Ente und Schmetterling, müsste doch eigentlich der Ort sein, wo wir uns selber finden und fallen lassen können.Aber die meisten der beispielsweise am Frankfurter Mainufer zusammengedrängten Sonnenhungrigen erleben den Fluss ähnlich wie die Liebespaare, die tatsächlich Schlange stehen, um sich im Fünfminutentakt vor der romantischen „In“-Strandkulisse am Mittelmeerbadeort ablichten zu lassen. Oder auch wie Menschen, die Freundschaft und Leidenschaft vor allem aus dem Vorabendserien kennen: Eigenes, individuelles Erleben bleibt erstickt und wird durch Selbst- und Fremdmanipulation ersetzt.Ich glaube, wer das Wesen von Pflanzen und Tieren nicht mehr wahrnehmen und spüren kann, bei dem oder der ist bereits ganz viel Seele verschüttet. In „Wege aus einer kranken Gesellschaft“, beschrieb der Psychologe Erich Fromm bereits 1955 wie Kapitalismus Formen von seelischer und geistiger Erkrankung zum einen zur Voraussetzung hat, sie zum anderen immer wieder neu erzeugt. Die Nichtachtung und Zerstörung der Natur ist neben der Entstehung von Herrschaftsverhältnissen wesentlicher Grund für den elenden Zustand von Erde, Mensch und Tier. Die linear auf den Abgrund zurasende Autogesellschaft muss abgelöst und stattdessen zyklisches, erdverbundenes Leben in die Städte zurückgeholt werden! Denn Flucht, beispielsweise in Landkommunen, ist kaum möglich: Heute leben selbst im agrarisch geprägten Irland die meisten Menschen im Großraum Dublin, bei sieben Milliarden Menschen steigt die Bedeutung der Metropolen täglich.Einen riesigen Schritt zum Positiven haben all jene gemacht, die sich beim Urban Gardening engagieren und für die dabei nicht der Profit an erster Stelle steht, was es, gemäß der kapitalistischen Logik „Alles muss vermarktet werden!“, natürlich auch schon gibt.Während früher proletarische Schrebergärten zur Selbstversorgung dienten, da der Lohn kaum zum Leben reichte, – was heute allerdings auch wieder zunimmt -, entstehen die neuen Gärten vor aller Augen und werden von Kollektiven angelegt. Den GärtnerInnen geht es um mehr als Privatinteresse, so legitim dieses auch sein mag, wie beispielsweise bei den Schrebergärten. Es geht ums Allgemeinwohl. Warum sonst zum Beispiel Obstbäume pflanzen, die erst in vielen Jahren Früchte tragen? Soziales Lernen im kollektiven Prozess und ökologische Aspekte wie Bio- und Kompostanbau stehen im Mittelpunkt. Auch interkulturell ist dies interessant, wenn, wie Brigitte Kanacher-Ataya für den Berliner „Wuhlegarten“ schildert, aserbaidschanische Familien Senkbeete anlegen und der ukrainische Nachbar Riesenknoblauch zieht. Dass fast alle Gärten auf ein Entgegenkommen der Verwaltung angewiesen sind und an diesem Punkt vielleicht auch Kompromisse eingehen müssen, liegt auf der Hand, ändert aber nichts an der wesentlichen Veränderung von Stadt und Mensch, die sie bewirken.Die Bewegung weitet sich aus. Beispielsweise wird seit drei Jahren auch im Mannheimer Neckargarten am Neuen Messplatz in gegenseitiger Hilfe gearbeitet. Jede und jeder bekommt ein eigenes Beet, darf dort Blumen oder Gemüse anbauen. Die Nachbarschaft wurde von Anfang an eingebunden und mitten im Stadtteil entsteht so eine offene gärtnerische Gemeinschaft. Einige Flüchtlinge beteiligen sich und durchbrechen so ihre Isolation, Obdachlose, die sich für ein oder zwei Nächte niederlassen, arbeiten freiwillig mit.Gute GärtnerInnen sprechen mit ihren Pflanzen, denn jede von ihnen wächst nur unter ganz bestimmten Bedingungen und wer sich mit diesen Wunder beschäftigt, ist schon mittendrin im Kreislauf der Natur. Die Guerilla Gardener machen es sich gar zum Ziel, dort zu pflanzen, wo dies nicht vorgesehen ist, etwa auf den Straßenstreifen. So durchbrechen sie die sterilen und lebensfeindlichen Normen der Warengesellschaft. „Wir leben von Gemüse, Obst und von der Schönheit. Warum sind nicht überall Bäume für alle da? Wer keinen Garten hat, muss sich einen nehmen!“, so Guerilla Gardener Petrus Akkordeon. Es ist eine gute Idee, den Beton aufzubrechen, denn mit gemeinschaftlichen Gärtnern können wir uns bereits heute ein gutes Stück Utopie in den Alltag zaubern.

Oliver Steinke

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Oliver Steinke

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