Berührend thematisiert Refpolk in seinem Album „Klippe“ die Krise der deutschen Bewegungslinken
Mit Ticktickboom, einem Zusammenschluss linker Rap-Artists, entstand vor gut drei Jahren ein bis in den Mainstream hineinstrahlender Leuchtturm linker Subkultur. Das von den hier aktiven Künstlerinnen und Künstlern vorgelebte Selbstbewusstsein entfaltete eine große Anziehungskraft und beförderte vor allem in jugendlichen Zusammenhängen eine starke Identifikation mit einem linken Szenehabitus – was nicht in geringstem negativ zu verstehen ist. Alternativen zum Jubelbetrieb auf die Gesellschaft, als welcher 99% der Kulturindustrie fungieren, können gar nicht genug wertgeschätzt werden. Dass es lohnend und notwendig ist, in das Rapgenre zu intervenieren, dürfte angesichts seiner schieren Fülle offensichtlich sein. Analysen zum klassen- und geschlechtsspezifischen Musikkonsum zeigen hier noch mal ganz eigene Handlungsoptionen und -Bedarfe auf.
Nach solchen Gesichtspunkten hat vor allem die Berliner Rapperin Sookee ihr künstlerisches und politisches Handeln aufgebaut: Sie thematisiert, was im Rap als Tabu gilt, kritisiert reaktionäre Tendenzen in der Rapkultur und kämpft für eine emanzipatorische Veränderung des Raps insgesamt. Ihr Ticktickboom-Kollege Refpolk, ebenfalls aus Berlin, fokussiert hingegen eher direkt Themen politischer Bewegungen, ohne aus ihnen Fragen an die Rapszene zu entwickeln: Gentrifizierung, Polizeigewalt bei Demonstrationen, Flucht und Asyl, Verarmung und Repression im Zuge der „Eurokrise“ sowie rechte Gewalt. Refpolk geht es also nicht in erster Linie darum, einen Diskurs innerhalb der Rapkultur anzustoßen oder über seine Texte eine Verhaltensänderung in der linken Szene herbeizuführen. Vielmehr spricht er in seinen Songs als politischer Aktivist und politisch denkendes Individuum direkt und ungefiltert, zwar oft in Metaphern, Ironie und lyrischer Sprache, aber selten abstrakt und eigentlich nie metatheoretisch.
Folgerichtig sind gesellschaftliche Randständigkeit und die Marginalität der eigenen politischen Positionen zentrale Themen für Refpolk – auf seinem aktuellen Album „Klippe“ noch stärker als bisher. Hier wird in einem absurden, grellen Theater die Selbstinszenierung von politischem und künstlerischem Ego in der Maschinerie „sozialer“ Medien beschrieben – selten wurden im deutschsprachigen Rap Doubletimes als Stilmittel so kohärent eingesetzt, um Hektik und Irritation bildlich werden zu lassen, wie es Refpolk im Prolog zum Album „Klippe“, der „Zeckenrap-Ansage“, gelingt. Der affirmative Charakter der Facebook-Kultur, die von ausschließlicher Rezeption lebt, in der sich das gesamte soziale und kulturelle Leben nur noch als ZuschauerIn und KommentatorIn, als Teilhabe zweiter Ordnung erleben lässt, steht den DIY-Gedanken sowohl in der Rapkultur als auch in linken Subkulturen entgegen, was diese jedoch nicht vor der Sogwirkung der Kommunikationsindustrie schützen konnte. Diesen Widerspruch bringt Refpolk textlich und musikalisch innovativ und gekonnt zum Ausdruck.
Ein energiegeladener Track wie „Atemnot“, gemeinsam mit der in Berlin lebenden französisch-kongolesischen Künstlerin Carmel Zoum, dürfte auf Konzerten eine ganz spezielle Dialektik entfalten, wenn jugendliche Zeckenrap-Fans in euphorischer Stimmung zu den treibenden Beats ihre Partykultur zelebrieren. Im Text, der in solchen Situationen zwangsläufig in den Hintergrund gerät, wird jedoch gerade die verdrängende Wirkung von Hedonismus und die Identifikation von Partyerlebnissen als Lebensinhalt problematisiert. Dabei ist der Textausschnitt aus der Hook „sind gerettet, wenn der Laden tobt“ sicherlich nicht bloße Ironie, sondern durchaus auch als Lebensgefühl einer gestressten und von Zukunftssorgen geplagten Generation ernst gemeint. Loslassen und Kompensation für die tagtägliche Selbstdomestizierung sind wichtige Aspekte jeder rebellischen Subkultur und gehören natürlich auch zur Rapmusik von Refpolk – aber bieten eben keinen wirklichen Ausbruch, können nicht wirklich über die Partykultur hinausweisen. Es ist diese eben nicht abstrakte, nicht zu verkopfte Dialektik, die textliche Fähigkeit, widersprüchliche Emotionen und Gedanken verständlich und erlebbar in einem auszudrücken, die die Texte Refpolks ausmacht.
Auch mit der griechischen Rapkünstlerin Daisy Chain hat Refpolk für „Klippe“ wieder zusammengearbeitet. Relativ viel Beachtung fand das gemeinsame Projekt von Refpolk, Daisy Chain und dem Rapper Kronstadt aus Barcelona „The Future Is Still Unwritten“ im Jahr 2013. In drei verschiedenen Sprachen wurden Ursachen und Wirkungen der sogenannten „Euro-Krise“ aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet und – wie der Titel schon suggeriert – über die Katastrophen des Bestehenden hinaus auch eine Chance auf Veränderung beschrieben. Dieses Projekt besteht weiterhin und ging 2014 auf Tour durch Spanien, Griechenland und Deutschland. Im Titeltrack für „Klippe“ erschaffen Daisy Chain und Refpolk jedoch anstatt kämpferischem Aufbruch eine Stimmung voll Melancholie, Schwermut, aufkommender Verzweiflung – und Funken der Hoffnung. Die Unmöglichkeit, für die gescheiterte Befreiung aus den gesellschaftlichen Zwängen ausreichende Kompensation in zwischenmenschlichen Beziehungen zu finden, ist das Thema dieses deutsch-griechischen Rapduetts. Frust und Entfremdung entstehen angesichts der Erinnerung an gemeinsame Hoffnungen. Das Einzige, was zusammenschweißt, ist die sich in diesen Erinnerungen, im beschädigten Traum ausdrückende gemeinsame gesellschaftliche Marginalität. Damit schließt der Titeltrack „Klippe“ jedoch nicht zynisch, sondern eher trotzig-kämpferisch; es lässt sich sogar ein romantischer Hoffnungsschimmer heraushören.
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