Als ich 2004 erstmals darauf angesprochen wurde, ob ich nicht die Soundtracks für die Werke der experimentellen Filmemacherin Maya Deren machen wolle, war ich skeptisch. Nicht wegen der Aufgabe – ich war ein großer Fan von Deren, meine lautstarke Bewunderung für sie war der eigentliche der Grund für dieses Angebot. Ich war skeptisch, weil sich meine Wege schon einige Male mit denen der Filmgemeinde gekreuzt hatten. Aber das ist eine andere Geschichte, in der ein „Dankeschön“ an Derek Jarman und ein „fuck you“ an die BBC vorkommt. Was mich trotz meiner Bedenken und meines Misstrauens dem Filmgeschäft gegenüber dazu veranlasste „Ja“ zu dem Deren-Projekt zu sagen, war Maya Deren selbst. Obwohl sie elf Jahre bevor ich geboren wurde, starb, war ihr künstlerisches Feingefühl, jenes der Initiatorin, der Autorenfilmemacherin, etwas, das ich nur zu gut verstand. In „Der Mythos des Sisyphos“ vergleicht Albert Camus große Kunst mit Selbstmord, mit dem existentiellen Argument, dass beide „in der Stille des Herzens“ entstehen würden. Es ist kein Zufall, dass der letzte Song, den Ian Curtis, der Sänger von Joy Division, schrieb, „In A Lonely Place“ heißt. Obwohl es nahezu unmöglich erscheint, einen Film in verhältnismäßiger Einsamkeit zu erschaffen, ist dies sicherlich nicht der Fall beim Formulieren von Ideen, was, als Autorenfilmerin, Derens oberste Priorität war.
Maya Deren ist einzigartig und unerreicht als Mutter des Avantgarde-Films. Nahezu. Die einzig andere Bewerberin für diesen Titel ist Leni Riefenstahl, aber für mich hat Riefenstahl diesen Anspruch verwirkt. Nicht nur weil sie ein Nazi war, sondern auch weil Not die Mutter der Erfindung ist und Riefenstahl im Gegenzug zu ihrem Pakt mit dem Teufel die Ressourcen eines ganzen Landes auf einem silbernen Tablett serviert bekam. Das Argument, dass ihre Filme technisch innovativ und von hohem Wert seien, ist ebenso fehlerhaft wie offensichtlich. Mit diesen Ressourcen hätte wohl jedeR auch nur halbwegs annehmbare KünstlerIn ein visuelles Fest kreieren können. Die Argumente für Riefenstahl entkräften sich von selbst. Nur weil sie vielschichtig war, gibt ihr das weder Recht, noch wird ihr Werk dadurch interessanter. Es bleibt bestenfalls geschmacklos, und selbst wenn wir uns so weit entmenschlichen könnten, um Kunst und Politik zu trennen, wäre ihr Werk dann mehr als ein nur interessantes Artefakt? So sehen die Errungenschaften des Imperialismus aus, sie machen Geschichte, aber bringen keine Kultur hervor.Deren dagegen arbeitete nahezu alleine, mit einem minimalen Budget, nur auf ihre Kamera und ihre Vorstellungskraft vertrauend. Außer ihrer eigenen Kreativität hatte sie keinen Plan und ihre einzige Belohnung war das vollendete Werk. Und trotzdem können wir ihren Einfluss überall entdecken, nicht nur in der Avantgarde, sondern auch tief in der Pop-Kultur. Von Andrej Tarkowski über Andy Warhol bis hin zu Jimi Hendrix – Deren ist überall dabei. Obwohl Jonas Mekas ebenfalls ein großer Filmemacher dieser Ära ist, kann das von ihm nicht behauptet werden. Auch von Stan Brakhage nicht. Zumindest werde ich das nicht tun. Ich habe ihn 1996 getroffen und betrachte ihn eher als Handwerker denn als Künstler.Maya Deren war gefühlsmäßig staatenlos. In der Ukraine geboren, floh ihre Familie nach Amerika, um der Verfolgung zu entkommen und fand dort eine andere Art der Not: die ökonomische. Das war ein Druck, dem Deren niemals entkommen konnte. Sie sah Geld als notwendiges Übel, oder als halbwegs dauerhaften Störfaktor, ein Hindernis, ein potenziell katastrophale Last. Sie kämpfte darum, Geld für ihre Kunst zusammenzubekommen und aß aus diesem Grunde nur so viel, wie sie unbedingt zum Leben brauchte, um noch mehr Kunst machen zu können. Sie hatte Null Interesse an narrativen Formen oder der Grammatik des Films. Deren wollte nur ihre eigene Phantasie abbilden, gestalten und für sich selbst auf die Leinwand bringen. Wie alle großen Künstler war sie ihr eigenes Zielpublikum, was sie über alle Kritik erhaben machte. An Geschlechterrollen war sie gleichermaßen desinteressiert, es kümmerte sie nicht, ob sie Mann oder Frau war. In ihrem Leben probierte sie Beziehungen, Ehen und Geschlechterrollen wie andere Menschen Kleidung. Nichts davon schien ihr zu passen, aber lange Zeit dachte sie, dass mensch irgendetwas davon zu tragen hätte. Ihre Entdeckung und spätere Besessenheit von haitianischen Voodoo-Ritualen änderte das letztendlich und befreite Deren von den Zwängen des westlichen Materialismus. Sie gewann ihre mentale und emotionale Freiheit, auf Kosten ihrer künstlerischen Arbeit, ihrer Freundschaften und schlussendlich auch ihres Lebens. Nach ihren Erfahrungen in Haiti passte das Leben in New York nach ihrer Rückkehr nicht mehr zu ihr.Maya Deren machte niemals einen finanziell erfolgreichen Film, bekam niemals Kritikerlob oder den Respekt ihrer KollegInnen. Ja, sie zog sich sogar den Zorn ihrer ZeitgenossInnen wie Anais Nin zu, teils weil sie ihr Geld gaben, das sie nicht zurückzahlen konnte, teils weil sie sie wortlos – und anscheinend erfolglos – herausforderte, ihr eigenes Werk kritisch zu betrachten und zu ihren eigenen Worten zu stehen. Sie starb jung und schlecht ernährt. Und trotzdem ist ihr Werk, zumindest in künstlerischer Hinsicht, ein Triumph. Und das war wichtig für sie und das sollte wichtig für uns sein. Jeder ihrer Filme ist heute noch genauso überraschend und schön, wie er war, als Maya Deren sie in den 1940ern und 1950ern drehte. „Meshes Of The Afternoon“ ist zweifellos das größte Meisterwerk des Avantgarde-Kinos. „At Land“ hat einen deutlichen Einfluss auf viele ausgeübt, von Stanley Donen bis hin zu Jean Baptist Mondino, und „Ritual In Tranfigured Time“ ist das beste Beispiel in Sachen filmischer Bewegung. Mit keinerlei Budget, billigem Filmmaterial, begrenzter Zeit und einfachen Drehorten, spielt Deren dennoch besser mit dem Licht als Orson Welles, bewegt ihr Darsteller anmutiger als Cocteau und drückt Schönheit besser aus als jedes klassische MGM-Musical. Sie verweigert sich jeder kinematographischen Konvention und trotzdem scheint gerade dies die Kraft des Filmes verstärkt zu haben. Ihr Genie bestand in ihrem angeborenen Verständnis des unausgesprochenen Vertrags, welches das Publikum mit dem Künstler hat; es will geführt, geliebt werden, eher Sinnlichkeit als Sensationen begegnen; das Publikum vermischt seine eigenen Vorstellungen mit denen des Künstlers und das Ergebnis ist ein Tanz im Kopf. Ein Maya-Deren-Film ist Musik für die Augen.Maya Deren ist so einmalig, dass es nahezu unmöglich ist, über ihr Werk mit jemandem zu sprechen, der oder die nichts von ihr gesehen hat. Beim Schreiben eines Essays über sie ist das natürlich ein Problem, aber es ist gleichzeitig auch das größte Kompliment, das man einem/r KünstlerIn machen kann. Es ist möglich, dass sie von „Un Chien Andalou“ und „Blood Of A Poet“ beeinflusst wurde. Möglicherweise. Aber Derens größte Inspirationsquelle ist ihr innerer Dialog, ihr Konflikt mit sich selbst. Sicherheit und Selbstbewusstsein haben keinen Platz in ihrer Welt, ihre Welt ist ein zufälliger und gefährlicher Ort, mit angedeuteter Gewalt und unerbittlicher Körperlichkeit, die gleichzeitig die homoerotische Komponente in uns anspricht, wie auch die mehrdeutige Sexualität der Handlung im Film bezeugt. Mensch könnte argumentieren, dass Derens Interesse am Surrealen lediglich ein Werkzeug war, um Mehrdeutigkeit in all seinen Formen auszudrücken; für sie hat das Unbekannte viel Kraft. Wenn das Mädchen in „At Land“ die Schachfigur stiehlt und wegrennt, stört sie nicht nur das Spiel, sondern beendet das ganze visuelle Essay mit einem unerklärlichen Akt der Missachtung und des Trotzes, der mehr an Flucht als an Verspieltheit denken lässt. Man weiß, dass sie nie zurückkommen wird und dass sie den König bei der ersten Gelegenheit soweit ins Meer werfen wird, wie sie nur kann. Deren muss uns das nicht zeigen, wir brauchen keine Darstellung, weil wir die Missachtung schon gespürt haben – sie war da in der Bewegung, im Ausdruck und in der ganzen Darstellung. Auf dieses Art und Weise bringt Deren die Geschichte zum Abschluss ohne sie erzählen zu müssen.Es gibt viel zu lesen über Maya Deren, sei es in ihren eigenen Worten oder in denen von anderen, Tatsachen und Meinungen, Theorien und Zeugnisse. Aber nichts davon ist so wichtig oder relevant wie sich ihre Filme anzuschauen, was an einem einzigen Nachmittag möglich ist, weil sie so wenige machte. Ich garantiere persönlich dafür, dass es ein sinnvoll genutzter Nachmittag sein wird.
Martina Kudlácek: Im Spiegel der Maya Deren
Maya Derens Leben ist ihr Werk ist ihr Leben. Die beste Möglichkeit, mehr über die Avantgardefilmerin zu erfahren ist und bleibt es, sich ihre Filme anzusehen. Martina Kudláceks filmisches Porträt von 2002 ist freilich eine ausgezeichnete Ergänzung, illustriert sie doch die faszinierende Lebensgeschichte der Pionierin und unerbittlichen Aktivistin des Avantgardefilms mit essayistischen Bildern der Orte von Derens Wirken und in Gesprächen mit ZeitgenossInnen in den USA und in Haiti, wie zum Beispiel Alexander Hammid, Katherine Dunham, Andre Pierre, Stan Brakhage, Amos Vogel, Jonas Mekas, der erst kürzlich verstorbenen Judith Malina und vielen anderen. Mit „Aimless Walk“ hatte die österreichische Filmemacherin bereits 1996 ein filmisches Porträt über den während des Zweiten Weltkriegs aus Prag emigrierten und seit dieser Zeit in New York lebenden Fotografen und Filmemacher Alexander Hammid (ursprünglich: Alexander Hackenschmied), den zweiten Ehemann von Maya Deren, gedreht. Leider lief „In The Mirror Of Maya Deren/Im Spiegel der Maya Deren“ nur kurz im Kino, auf DVD ist er derzeit nur als Import von Zeitgeist Video erhältlich.
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