Betrieb & Gesellschaft

Inklusion bleibt so

Wird es eine „Schule für alle“ geben?

Inklusion – was ist das wieder für ein merkwürdiger Begriff, wird sich mancheR fragen. Der Begriff tauchte schon vor einiger Zeit in der bildungspolitischen Diskussion auf. Das rot-grün regierte Bundesland NRW ernannte die Inklusion 2010 zu einer ihrer herausragenden Aufgaben. Inklusion soll heißen, dass ab dem Schuljahr 2014/15 in NRW auch die SchülerInnen, die früher größtenteils auf einer „Förderschule“ landeten, in der Regelschule unterrichtet werden. Erfunden wurde der Begriff, nachdem die Bundesregierung die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen 2006 mit verabschiedete, die der Bundestag im März 2009 unterschrieb.

International steht die BRD seit Jahren in der Kritik, da ihre Bildungssysteme soziale Ungleichheit herstellen und einmauern, was der FDP beispielsweise ganz recht ist, spricht sie sich doch immer wieder gegen Neuerungen im Bildungssystem aus.1 Nirgends in vergleichbaren europäischen Ländern gibt es so viel SchülerInnen ohne Schulabschluss und der Kennzeichnung als „lernbehindertes“ Kind wie in Deutschland.2


Selektion als gängige Praxis

Bis heute werden sogenannte Förderkinder entdeckt, gekennzeichnet, aussortiert und in eigenen, sogenannten Förderschulen (früher: Sonderschulen) unterrichtet. SchülerInnen, die nicht über entsprechend bewertete kognitive Fähigkeiten und Anpassungsstrukturen verfügen, werden ausgegrenzt, landeten immer auch wieder in Förderschulen. Hier spricht der Geist des deutschen Bildungssystems, der auf Selektion und Segregation (lat. = Absonderung, Abtrennung) beruht. Nicht die Schule bzw. die LehrerInnen sollen in der Lage sein, sich den SchülerInnen anzupassen, nein umgekehrt: Nach wie vor werden die SchülerInnen in die normativen Ziele und Verhaltensanforderungen des Systems Schule zu pressen versucht. Das System Schule ist hier offenbar noch in seinen rassistischen und menschenverachtenden Traditionen verhaftet, und entspricht nicht einer egalitären und demokratischen Vorstellung von Gesellschaft.

NRW- Schulministerin Löhrmann lehnte es ausdrücklich ab, diese unsägliche Tradition im deutschen Bildungssystem zu thematisieren. Von ihr wurde jedoch als Ziel von Inklusion ausgegeben, dass der Förderort die Regelschule wird, die Eltern aber wählen können, ob sie ihre Kinder hier hin oder zu einer besonderen Förderschule schicken. Die Gedankenwelt des selektiven Schulsystems ist anscheinend von der grünen Schulministerin nicht aufgegeben worden, nur der äußere Ort wird in die „normale“ Schule verlegt, die Kennzeichnung als „behindert“ mit staatlich festgestelltem und verordnetem Förderbedarf bleibt.Weiterhin behauptet Frau Löhrmann: „Es ist schon ein großer Schritt, dass ein auf den ersten Blick rein pädagogisch erscheinendes Thema in der breiten Öffentlichkeit diskutiert wird.“3. Frau Löhrmann leidet wie viele PolitikerInnen unter „selektiver Wahrnehmungsstörung“, wird das Thema „Inklusion“ doch seit mehreren Jahrzehnten u. a. in den Bereichen Gesundheit, Psychiatrie, ältere Menschen und Migranten angegangen. Schon mal davon gehört?Und was gibt es da eigentlich zu diskutieren? Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht ist Menschenrecht wie Presse- und Meinungsfreiheit, darüber gibt es nichts zu diskutieren. Wie man die Schritte vollzieht, mit welcher Unterstützung und welche Bedeutsamkeit dem gegeben wird – das sind doch eher die Kriterien, nach denen sich Diskussionen über Inklusion richten sollte. Oder wie der Schulleiter der Grundschule Berg Fidel in Münster, Reinhard Stähling formuliert: „Die neuen ‚inklusiven‘ Konzepte erweitern den Blickwinkel: Sie nehmen die Rechte der Kinder ernst und schließen alle Kinder in ihre Bildungs- und Betreuungsbemühungen ein. Sie gehen zugleich von einer Gleichwertigkeit aller Menschen aus …“4, wie im Art. 2 des Grundgesetzes festgelegt.

 

Die Situation in den Schulen

Soweit zum theoretischen und politischen Hintergrund, kommen wir zum Ort des Geschehens. Wagen wir einen Blick in die Schulen und Klassenräume.

Dort müssen wir feststellen, dass es immer noch Klassen gibt, in denen 30 SchülerInnen und mehr auf Stühlen festsitzen, über mehrere Etagen im Gebäude verteilt. Ein Rollifahrer kommt oft gar nicht in die oberen Stockwerke, da selten Aufzüge und auch kein Geld zu ihrem Einbau in den Kommunen vorhanden sind. Menschen, die schlechter sehen und hören können, werden umgerannt, bekommen große Schwierigkeiten im dem Chaos sich zu orientieren. An Lernen ist da weniger zu denken. Andere Menschen, die kreativer, langsamer, „chaotischer“, eigener Denken, passen nach wie vor nicht ins System. „Inklusionsklassen werden nicht automatisch kleiner“, titelte die Bielefelder NW im Februar 2014.5 Kleinere Klassen würden mehr LehrerInnen und mehr Räume an einer Schule erfordern, mehr Zeit und Raum für Kinder und Jugendliche zur Verfügung stellen, die mehr Platz brauchen, leise Räume, keine Hektik, kreative Atmosphären, soziale Kontakte usw. Dafür wollen Land und Kommunen aber kein Geld zur Verfügung stellen. Die konkreten Pläne zur Umsetzung brachten Eltern auf die Straße, die gegen die Art und Weise der Einführung demonstrierten.6


Selbstverständlich Inklusion – aber richtig!

Richtig wäre, wenn in den Schulen Folgendes umgesetzt würde:

kleinere, der Situation angemessene Klassen, nicht 30 oder mehr SchülerInnen Unterschiede und Vielfalt in einer Schulklasse werden als Bereicherung und nicht als Störung wahrgenommenalle Kinder können wohnortnah auf die Schule ihrer Wahl gehenalle Kinder können individuell gemäß ihrer Interessen und Fähigkeiten in altersgemischten selbst gewählten Gruppen lernenkeine Kennzeichnung als „behindertes“ Kind, die Schulen stellen ihre eignen Stellenpläne auf

Inklusion setzt ebenfalls eine gemeinsame Arbeit von den derzeit in den Schulen beschäftigten LehrerInnen mit Sonderpädagogen, Sozialarbeitern oder PsychologInnen voraus, die berufsübergreifend nach systemischen Ansätzen in Teams zusammenarbeiten und für die Kinder gemeinsam verantwortlich sind. Diese zu bildende Teams benötigen Zeit und Raum im Schulalltag, um ihre Arbeit zu planen, zu besprechen und zu reflektieren. Zeit und Raum, der von der Landesregierung auch hier nicht zur Verfügung gestellt wird.Aktuell ist Ziel von Inklusion nicht eine Überwindung der Ausgrenzung von „Behinderten“, sondern es sollen in Zeiten klammer Kassen Kosten gespart werden. Und dies auf dem Rücken der SchülerInnen und LehrerInnen.

 

Investieren in Inklusion?

Inklusion unter den heutigen Bedingungen verwirklichen zu wollen, sprich mit großen Klassen, wenig Zeit, Räumen und Möglichkeiten, bleibt eine Illusion, wird für mehr Stress und Abwesenheit sorgen. Mal sehen, wie sich das auf den Krankenstand bei SchülerInnen und LehrerInnen auswirken wird.

Inklusive Schule müsste heißen, dass gesamte Schulsystem zu „einer Schule für alle“ umzubauen! Aber das darf es in NRW nicht geben, da sei die CDU, der Verband der Gymnasiallehrer, die Landesrichter usw. vor, dass dies niemals geschehe. Also wird Frau Löhrmann wohl wissend die Finger davon lassen und es wird weiter reichlich „FördererschülerInnen“ und keine wirkliche Inklusion geben.Dass der Umbau von Schule gehen und wie er gelingen kann, zeigen Beispiele wie das der Primusschule Berg Fidel-Geist in Münster oder der Montessori-Gesamtschule in Borken. Beide liegen übrigens in NRW, Frau Löhrmann!

Anmerkungen:

[1] Die FDP sprach sich in Bielefeld ausdrücklich gegen die Primusschule aus, Neue Westfälische 20.03.2014)[2] Nach Reinhard Stähling: „Du gehörst zu uns“. Inklusive Grundschule 2011, S. 4[3] In: Sylvia Löhrmann: Auf dem Weg zur Inklusion, in: Schule NRW 03/11[4] Reinhard Stähling: „Du gehörst zu uns“. Inklusive Grundschule, 2011, S. 5[5] „Inklusionsklassen werden nicht automatisch kleiner“, Neue Westfälische, 01.02.2014[6] Beispielsweise vor der Sitzung des Schulausschusses in Bielefeld, siehe Neue Westfälische vom 19.03.2014

Andrea Baleta

Die Redaktion der Direkten Aktion.

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Andrea Baleta

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