Betrieb & Gesellschaft

Kein Ende von Befristungen in der Wissenschaft in Sicht

Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG) auf dem Prüfstand

Bereits in der DA-Ausgabe 228 berichteten wir ausführlich über die Befristungspraxis von wissenschaftlichem und künstlerischem Personal. Über 80% der WissenschaftlerInnen haben befristete Verträge, zumeist mit extrem kurzen Laufzeiten von unter einem Jahr. Denn hier gelten nicht nur die allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundlagen sondern es greift das WissZeitVG. Selbst die Bundesbildungsministerin Johanna Wanka scheint erkannt zu haben, dass die Forschungseinrichtungen das WissZeitVG schamlos ausnutzen. Daher soll das Gesetz novelliert werden. Doch welchen Nutzen hat das für die Betroffenen tatsächlich?

Großzügigere Befristungsmöglichkeiten für Hochschulen

Normalerweise ist nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) eine Befristung ohne sachliche Gründe nur für bis zu zwei Jahre möglich. Innerhalb dieser Höchstdauer kann der Arbeitsvertrag maximal drei Mal verlängert werden. Das WissZeitVG bietet weitaus großzügigere Befristungsmöglichkeiten, von denen „normale“ Arbeitgeber nur träumen können. Denn laut WissZeitVG sind für nicht promovierte WissenschaftlerInnen sachgrundlose Befristungen für bis zu sechs Jahre und nach einer Promotion nochmals sechs (beziehungsweise neun Jahre in der Medizin) möglich. Wird die Promotion vor Ablauf dieser sechs Jahre abgeschlossen, kann die Befristungsdauer in der Postdoc-Phase sogar noch um den eingesparten Zeitraum verlängert werden. Durch den Befristungsbestand „Drittmittelfinanzierung“ wurde den Hochschulen und Forschungseinrichtungen außerdem ein rechtssicheres Mittel in die Hand gegeben, um WissenschaftlerInnen in endlosen Kettenverträgen zu beschäftigen. Der Befristungsgrund Drittmittelfinanzierung ist bisher auch auf nichtwissenschaftliches oder künstlerisches Personal anwendbar. Die rechtlichen Möglichkeiten wurden durch die Arbeitgeberseite (Hochschulen und Forschungseinrichtungen) reichlich ausgeschöpft, so dass laut Evaluation des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes 83% (auf drittmittelfinanzierten Stellen sogar 97%) der betroffenen WissenschaftlerInnen mit befristeten Verträgen arbeiten. Fast die Hälfte der befristeten beschäftigten Wissenschaftler arbeitet drittmittelfinanziert. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Bundesbildungsministerin wollen dem nun mit einer Änderung des WissZeitVG entgegentreten und „…jungen Forschern und Wissenschaftlern verlässlichere und planbarere Karrierewege eröffnen…“. Die Bundesregierung, federführend das BMBF, hat dem Bundesrat am 4. September 2015 einen ersten Entwurf zur Änderung des WissZeitVG vorgelegt.

Neues im WissZeitVG

Der Gesetzesentwurf sieht vor, die sechsjährige Befristungsphase für nicht promovierte Wissenschaftler an ein Qualifizierungsziel zu koppeln. § 2 (1) WissZeitVG lautet dann „Die Befristung…des…genannten Personals, das nicht promoviert ist, ist bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig, wenn die befristete Beschäftigung zur Förderung der eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung erfolgt.“ Nach der Promotion soll dann nochmal eine Befristung von sechs bzw. neun (Medizin) Jahren zur eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung möglich sein. Laut BMBF soll auch künftig das WissZeitVG kein formales Qualifizierungsziel (Promotion) vorgeben1. Somit reicht auch der Erwerb von wissenschaftlicher Kompetenz oder das Sammeln von Erfahrung im Projektmanagement im wissenschaftlichen Bereich zur eigenen wissenschaftlichen oder künstlerischen Qualifizierung aus. Das Gesetz ist somit auch nach der Änderung sehr dehnbar und quasi auf jeden wissenschaftlichen Mitarbeiter anwendbar. Die Arbeitgeberseite wird es freuen, dass sie ihre gewünschte Flexibilität beibehalten; die Gesetzesänderung wird an diesem Punkt wohl kaum zu weniger Befristungen führen. Die Drittmittelfinanzierung bleibt weiterhin ein Befristungsgrund, allerdings wird nach der Gesetzesänderung festgeschrieben, dass die Befristungsdauer der Mittelbewilligung entsprechen soll. Außerdem wird nach der Gesetzesänderung der Befristungsgrund Drittmittelfinanzierung auf nichtwissenschaftliches oder nichtkünstlerisches Personal nicht mehr anwendbar sein. Zu nichtwissenschaftlichem oder nichtkünstlerischem Personal gehören bspw. technische Angestellte, LaborantInnen oder MitarbeiterInnen im Projektmanagement. Für diese Personengruppe bringt die Gesetzesänderung tatsächlich einen Vorteil, denn für sie gilt dann nicht mehr das wissenschaftsspezifische Sonderbefristungsrecht, sondern das TzBfG.

Für die wissenschaftlichen MitarbeiterInnen wird es hingegen kaum einen Unterschied bedeuten, ob die Befristung an die Mittelbewilligung gekoppelt ist oder nicht. Durch diese Kopplung wird bei drittmittelfinanzierten Kettenverträgen bestenfalls das Kettenglied verlängert, los wird man sie dadurch nicht. Gerade bei mehrjährigen Projekten werden die Mittel zudem meist aufgeteilt und auch nur jahresweise oder nach Projektmeilensteinen bewilligt, so dass sich die einzelnen befristeten Verträge dadurch nicht zwangsweise verlängern. Der Gesetzesentwurf sieht außerdem die Einführung eines neuen § 6 „Wissenschaftliche und künstlerische Hilfstätigkeiten“ vor. Hier wird festgeschrieben, dass befristete Arbeitsverträge mit Studierenden zu Hilfstätigkeiten bis zu einer Dauer von insgesamt vier Jahren möglich sind. Diese zählen nicht zu den befristeten Tätigkeiten im Sinne von § 2 wie oben beschrieben. Mit dem § 6 sollen befristete Arbeitsverträge mit Studierenden auf eine klare Grundlage gestellt werden. Laut BMBF stellt das WissZeitVG dann darauf ab, „dass Beschäftigungszeiten vor dem Abschluss des Studiums nicht auf den Befristungsrahmen angerechnet werden.“1 Im Umkehrschluss heißt das für wissenschaftliche MitarbeiterInnen, die nicht promovieren wollen aber auch, dass sie sich befristete Arbeitsverträge während des Studiums nicht auf den Befristungszeitraum anrechnen lassen können um schneller auf eine Entfristung zu hoffen. Masterstudierende, die noch vor ihrem Abschluss eine Promotion planen, könnten sich dadurch außerdem gezwungen fühlen, eher eine schlechter bezahlte Hilfstätigkeit, die nicht auf den Befristungsrahmen angerechnet wird, anzunehmen als eine Stelle als wissenschaftlicheR MitarbeiterIn, wenn sie den Befristungsrahmen von sechs Jahren voll ausschöpfen wollen. Demnach sollte der § 6 zumindest nicht ausschließlich für Hilfstätigkeiten gelten. Weiterhin soll es durch die Gesetzesänderung möglich sein, den Befristungsrahmen nach §2 (1) (6+6 bzw. 6+9 Jahre) im größeren Ausmaß wie bisher durch Kinderbetreuung, Behinderung oder chronischer Erkrankung zu verlängern.

Keine Reform, sondern ein Reförmchen

Die Gesetzesänderung des WissZeitVG bringt keine Reform wie sie sich viele WissenschaftlerInnen vielleicht erhofft haben sondern allenfalls ein Reförmchen. Laut BMBF stellen die Sonderregelungen im WissZeitVG zur Befristung in der Qualifizierungsphase oder in drittmittelfinanzierten Projekten ja auch „geeignete und überwiegend belastbare Instrumente dar, um befristete Beschäftigungsverhältnisse mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eingehen zu können“ und mit der Novellierung sollen ja insbesondere nur „unsachgemäße Kurzbefristungen im Anwendungsbereich des WissZeitVG unterbunden werden.“1 Langjährige Befristung von 12-15 Jahren oder endlose Kettenverträge durch Drittmittelfinanzierung gehören also noch lange nicht der Vergangenheit an. Einzig der Gang zum Arbeitsamt, um sich pro forma arbeitslos zu melden, wird eventuell seltener werden, weil sich die Vertragslaufzeiten der einzelnen Kettenverträge vielleicht verlängern werden. Eine wirkliche Verbesserung, beispielsweise eine Mindestquote für unbefristetes Personal an Hochschulen, eine Verknüpfung der Befristungsphase an ein definiertes Qualifizierungsziel (Promotion) oder die Verknüpfung von wissenschaftlichen Daueraufgaben an unbefristete Arbeitsverhältnisse bringt die Gesetzesänderung des WissZeitVG leider nicht. Wo sind denn nun die verlässlichen und planbaren Karrierewege für WissenschaftlerInnen, Frau Wanka?

 

 

Anmerkungen

[1] Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, dem Bundesrat vorgelegt am 04.09.15 Drucksache 395/15, www.bmbf.de/files/1aendWissZeitVG_-_BR-Drs_395.15.pdf

 

Offener Brief von WissenschaftlerInnen an Bildungsministerin Johanna Wanka, Debatte zur Novellierung des WissZeitVG und Hintergrundinformation unter: www.openpetition.de/petition/online/perspektive-statt-befristung-fuer-mehr-feste-arbeitsplaetze-im-wissenschaftsbereich

Redaktion

Die Redaktion der Direkten Aktion.

Share
Veröffentlicht von
Redaktion

Recent Posts

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert II

Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.

13. November 2024

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert

Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…

23. Oktober 2024

Aber es braucht viele.

Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.

9. Oktober 2024

Arbeiter:innen für die Zukunft des Planeten

Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…

2. Oktober 2024

Back to Agenda 2010?!?

Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.

31. August 2024

Marxunterhaltung und linker Lesespaß

Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“

24. August 2024