Seit gut einem Jahr bröckelt das Schmuse-Image des Soulmusikers Xavier Naidoo. Antisemitismus wird dem Sohn Mannheims vorgeworfen, so z. B. seitens der antirassistischen Amadeu Antonio Stiftung. Die sah sich daraufhin mit einer Unterlassungsklage konfrontiert. „Wer solche Songzeilen wie Xavier Naidoo in seinem Album ‚Alles kann besser werden‘ verbreitet, dürfte ein Antisemit sein“, meinte selbst der Richter im Verlauf der Verhandlung. Und tatsächlich bedient sich Naidoo in seinem Lied „Raus aus dem Reichstag“ gängiger antisemitischer Klischees:
Wie die Jungs von der Keinherzbank, die mit unserer Kohle zocken
Ihr wart sehr, sehr böse, steht bepisst in euren Socken
Baron Totschild gibt den Ton an, und er scheißt auf euch Gockel
Der Schmock ist‘n Fuchs und ihr seid nur Trottel
Nachdem der Sänger im genannten Lied zunächst die Politiker*innen-Zunft disst, nimmt er sich das Kapital vor. Nicht aber den Kapitalismus an sich, sondern subtil das jüdische Kapital. Da schrillen bei manchen sofort alle Weltverschwörungs-Alarmglocken.
Weniger subtil vertritt Horst Mahler eine rechtsradikale Ideologie, doch was haben er und Xavier Naidoo gemeinsam? Ein Grund für die Kritik der Amadeu Antonio Stiftung an dem Soulsänger ist seine Nähe zur sogenannten Reichsideologie. Naidoo unterstützte am 3. Oktober 2014 in Berlin eine Veranstaltung um den vorbestraften ehemaligen NPD-Kader und Reichsideologen Rüdiger Klasen, doch schon zuvor teilte er zumindest teilweise die Überzeugungen der Reichsideologie. Die Anhänger*innen der Reichsideologie selbst sind ein heterogener Haufen, bei dem extrem rechte Positionen wie Gebiets- und Geschichtsrevisionismus, Antisemitismus, Rassismus und Nationalismus in unterschiedlich starker Ausprägung vorhanden sind. Anhänger*innen dieser Ideologie behaupten, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existieren würde bzw. eine Firma sei und das „Deutsche Reich“ fortbestehe. Dieses „Deutsche Reich“, das angeblich fortbesteht ist dabei – je nach Ansicht der Betrachter*in – das Kaiserreich, die Weimarer Republik oder das Dritte Reich. Dass die BRD trotz alledem de facto existiert, wird über verschiedenste Verschwörungstheorien hergeleitet, welche nicht selten die Grenze zum Antisemitismus überschreiten. Der wohl bekannteste Reichsideologe ist der ehemalige RAF-Terrorist und verurteilte Holocaustleugner Horst Mahler. Für ihn ist der letzte gültige Rechtsstand der vom 7. Mai 1945 und er wünscht sich eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Von diesem verspricht er sich eine Befreiung des deutschen Volkes von einer angeblichen Knechtschaft durch eine jüdische Weltverschwörung. Und in diesen Kreisen erfreut sich nun Naidoos Song „Raus aus dem Reichstag“ großer Beliebtheit.
Da es verschiedenste Gruppen, Organisationen und Einzelpersonen innerhalb der Reichsideologie gibt, welche auch untereinander teils stark zerstritten sind und nicht nur die BRD sondern auch ihre eigenen Fürstentümer, Reichsregierungen etc. gegenseitig nicht anerkennen, werde ich nun verschiedene Beispiele vorstellen.
Auf dem Gelände des verfallenen Schlosses Krampfer in Brandenburg kam es 2009 zur Gründung des reichsideologischen Wohnprojektes „Fürstentum Germania“. Daran beteiligten sich verschiedene Personen und Gruppierungen aus dem rechtsesoterischen Spektrum. Dieser Staatsgründungsversuch wurde von der Polizei beendet, da das Fürstentum dachte, es müsste als eigener Staat keine Baugenehmigungen einholen. Die Verweigerung Steuern zu zahlen und die Auseinandersetzung mit Behörden wegen Bußgeldern und anderen Zahlungsaufforderungen gehört zu einem der Hauptbetätigungsfelder der sogenannten Reichsbürger*innen.
Im November 2012 ist die Miliz „Deutsches Polizei Hilfswerk“ (DPH) das erste Mal in das Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit getreten. Im sächsischen Radeburg sollte eine Zwangsvollstreckung durchgeführt werden. Doch der Gerichtsvollzieher traf nicht nur auf die von der Zwangsvollstreckung betroffene Person, sondern auch auf etwa ein Dutzend uniformierte Mitglieder des reichsideologischen DPH. Diese erklärten dem Gerichtsvollzieher, dass er eine illegale Handlung durchführen wolle und deshalb festgesetzt werden müsse. Sie fesselten ihn und riefen die Polizei, die den traumatisierten Mann schließlich aus seiner Gefangenschaft befreite. Ein weiteres Beispiel, bei dem die Aktivitäten der sog. Reichsbewegung weit über einen rechtlichen Kleinkrieg mit der deutschen Justiz hinausgingen, ist das im Internet verbreitete Schreiben „Ausweisung aus Deutschland“ der Gruppe „Neue Gemeinschaft von Philosophen“ (NGvP ). Wobei bereits die Adressierung an der rassistischen Haltung der Verfasser*innen keinen Zweifel lässt. Im Text selbst steht, dass die BRD lediglich eine Firma sei, die im Auftrag der Alliierten von einer jüdisch-freimaurerischen Marionettenregierung geleitet würde. Das Ziel dieser Regierung sei die Völkervernichtung durch Rassenvermischung. Die Empfänger*innen wurden in dem Schreiben aufgefordert das Land zu verlassen, da bald ein Krieg in Europa ausbrechen würde, in dem die Nato gegen mehrere asiatische Länder kämpfen werde. Wer sich nach dem Beginn dieses Krieges noch in Deutschland aufhalte und nach Ansicht der NGvP raum-, wesens- oder kulturfremd sei, werde standrechtlich erschossen. Anknüpfungspunkte dieser Ideologie finden sich sowohl in der Esoterik und im sog.
Neuheidentum als auch in der klassischen Verschwörungsszene und Truther-Bewegung. Aber auch die völkische Kapitalismuskritik mit der antisemitischen Unterscheidung zwischen
schaffendem und raffendem Kapital sind der Reichsideologie immanent. Xavier Naidoo verkehrt mit solchen Leuten und versucht, Kernthesen der Reichsideologie zu vermitteln, z.B. im ARD Morgenmagazin vom Oktober 2011 durch Aussagen wie: „Aber nein, wir sind nicht frei, wir sind immer noch ein besetztes Land! Deutschland hat noch keinen Friedensvertrag und ist dementsprechend auch kein echtes Land und nicht frei.“ Seine Songs wie z. B. „IZ ON“ der Söhne Mannheims werden von der vorher erwähnten Gruppe „Reichsbewegung – Neue Gemeinschaft von Philosophen“ zur musikalischen Unterlegung von Propagandavideos genutzt. Wer solche Freund*innen hat, dürfte wohl Antisemit sein.
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