Kollektive Schritte zur einer ökologisch, sozial und wirtschaftlich gerechten Energieversorgung
Basisgewerkschaften wie die FAU, die nicht nur die Rechte von Lohnabhängigen vertreten, sondern eine grundlegende soziale Veränderung anstreben, müssen auch für die drängenden Probleme der Gegenwart Lösungen anbieten. Schließlich können und wollen wir nicht auf den „pie in the sky“ warten. Gerade die Energieversorgung – sowohl mit Strom, als auch mit Wärme – durch fossile Brennstoffe ist ein solches Problem. Es betrifft uns als Menschheit ökonomisch, ökologisch und sozial.
Der Energiehunger des Kapitalismus zerstört Leben(sräume): Das Nigerdelta wird bereits durch Öl verseucht und die Lebensgrundlage der lokalen Bevölkerung vernichtet. Gleiches droht im Yusani-Regenwald in Ecuador. Mit Ölgeld werden der Terror des IS, der Absolutismus in Saudi-Arabien und die Theokratie im Iran finanziert. In den Kohle- und Uranminen des sogenannten Globalen Südens herrschen lebensgefährliche Arbeitsbedingungen. Und auch die weltweiten Klimaveränderungen treffen durch den Ausfall der Ernten in der Subsistenzwirtschaft die Ärmsten zuerst. Daran wird auch der neue Vertrag von Paris zur Rettung des Weltklimas nichts ändern.Der Ausbau von riesigen (Offshore-)Windparks zeigt, dass dennoch kein echtes Umdenken stattfindet. Grüner Kapitalismus bleibt Kapitalismus, denn Wachstum ist das oberste Ziel, während der Profit auch hier in den Händen weniger verbleibt. Arbeitsrecht und Gewerkschaften stören in den Windparks und Solarenergieanlagen ebenso wie BürgerInnenbewegungen und Mitbestimmung.Deshalb kann die Lösung nur in dezentraler, kleinteiliger Energieversorgung liegen. Sie muss demokratisch von den NutzerInnen kontrolliert werden. Dass diese Energieversorgung regenerativ und hocheffizient sein muss, versteht sich von selbst. Und ebenso ist die Einsparung von Energie das oberste Ziel. Schließlich ist die sauberste Energie jene, die nicht erzeugt werden muss.Bereits vor einigen Jahren haben sich FAU-GewerkschafterInnen und Interessierte zu einem Workshop in Hannover getroffen, in dem diese Probleme diskutiert wurden. Die Bandbreite der Anwesenden reichte von AktivistInnen aus der Umweltbewegung über interessierte Laien bis hin zu ExpertInnen aus den Ingenieurwissenschaften und ArbeitnehmerInnen, die im Bereich der regenerativen Energieerzeugung arbeiteten und forschten.Betroffen waren alle von ihnen – sowohl als Lohnabhängige als auch als KonsumentInnen. Ziel war es daher, eine konkrete Vorstellung einer sozial gerechten, ökologisch verträglichen und ökonomisch kontrollierbaren Energieversorgung zu entwickeln. Zusammengefasst wurden die Diskussionen am Ende in einem Thesenpapier zur Energieversorgung, auf dem auch dieser Artikel aufbaut. Es wurde von der FAU Hannover als Positionspapier zum Thema Energieversorgung verabschiedet.
Einer der wichtigsten Aspekte einer solidarischen und demokratischen Energieversorgung ist das Problem der Verteilungsgerechtigkeit. Gerade in den Ländern des Globalen Südens ist der Bevölkerung der Zugang zu Rohstoffen verwehrt, da sie überwiegend in den Globalen Norden exportiert werden. Auch die Profite aus diesem Export landen meist in den Taschen von AktionärInnen aus den Industrieländern.
In Bezug auf die sogenannten Biokraftstoffe kommen weitere Probleme hinzu. Wertvolle Lebensmittel, wie Mais oder Soja, landen im Tank oder in der Bio-Gasanlage statt in den Kochtöpfen der Menschen. Zusammen mit dem Futtermittelexport entsteht so ein Teufelskreis, der die Staaten und die lokale Bevölkerung dazu zwingt, immer mehr Wälder und Brachen zu erschließen. Versteppung, unfruchtbare Böden und lokale Klimaveränderungen sind häufig die Folge.Dabei spielt das Gefälle des Lebensstandards und technologischen Fortschritts zwischen Süd und Nord eine zentrale Rolle. Es ist klar, dass der Globale Süden nicht den Lebensstil des Globalen Nordens übernehmen kann, wenn es nicht innerhalb kürzester Zeit zur ökologischen und sozialen Katastrophe kommen soll. Trotzdem können die Industriestaaten dem Globalen Süden nicht den technischen Fortschritt und die Erhöhung des Lebensstandards verwehren. Vielmehr muss der Globale Norden seinen verschwenderischen Lebensstil drastisch reduzieren. Das wird nicht ohne Einschnitte im persönlichen Konsumverhalten funktionieren. Hier sind allerdings besonders die finanziell privilegierteren Teile der Bevölkerung gefordert. Denn wer sich mit Hartz IV oder Minilohn mühsam über Wasser hält, kann gar nicht so viel konsumieren, wie eine Fahrt mit dem SUV zum Biosupermarkt an Energie kostet.
Die Verteilung der Risiken und Kosten der Energieversorgung von Oben nach Unten stellt im Süden wie im Norden ein großes Problem dar. Bereits jetzt werden die Kosten von den Konzernen auf die Allgemeinheit abgewälzt, zum Beispiel für die Entsorgung des Atommülls, die fast ausschließlich von der Bevölkerung getragen werden. Oder wenn HausbesitzerInnen mit staatlicher Absicherung die Kosten für Wärmesanierungen auf die Miete abwälzen. Dieser Entwicklung können wir nur durch kollektiven Druck von unten etwas entgegen setzen.
Dennoch gibt es Bereiche, die wir in unserem Alltag – ganz persönlich – verändern müssen. Wir verschwenden Unmengen an Energie. Das Licht auszumachen, wenn ein Raum verlassen wird, oder den Stand-By-Betrieb elektronischer Geräte auszuschalten, ist so einfach, wie die Heizung herunterzudrehen, wenn niemand zu Hause ist. Trotzdem hauen wir aus Unwissenheit und Bequemlichkeit unser sauer verdientes Geld durch den Schornstein der Kraftwerke wieder heraus. Und einmal im Jahr kommt die Heiz- und Stromkostenabrechnung, über die wir wieder schimpfen. Deshalb sind wir auch individuell in der Verantwortung zu handeln.Auch im öffentlichen Bereich sind große Einsparpotentiale vorhanden. Dabei kollidieren manche Maßnahmen mit anderen Bedürfnissen. Die Beleuchtung von leeren Straßen mitten in der Nacht verbraucht nicht nur Unmengen an Energie. Lichtverschmutzung wird seit einigen Jahren als gesundheitsschädlich erkannt. Trotzdem ist ein rigoroses Abschalten nicht einfach, denn das subjektive Sicherheitsempfinden Einzelner ist hier zu berücksichtigen. Wenn die Abschaltung der Beleuchtung dazu führt, dass Menschen aus Angst ihre Häuser nicht mehr verlassen, läuft etwas falsch. Hier sind gesellschaftliche Diskussionen notwendig, um ein vernünftiges Maß zu finden.Aber ohne eine gesamtgesellschaftliche Wende wird selbst die sparsamste Lebensweise nicht „günstiger“. Die Energiekonzerne wollen ihre Gewinne erhalten und erhöhen bei sinkendem Verbrauch einfach die Preise. Der Energiesektor muss deshalb schnellstmöglich von der Marktwirtschaft entkoppelt und in gemeinwirtschaftliche Modelle überführt werden, die einer direkten demokratischen Kontrolle unterstehen.
Damit die Erzeugung und Nutzung von Energie wieder demokratischer Kontrolle unterliegt und den Bedürfnissen der VerbraucherInnen und nicht den Profitinteressen untergeordnet ist, sind noch ganz andere Schritte notwendig. Hier braucht es Alternativen. Bereits heute schließen sich kleine ErzeugerInnen zu Energiegenossenschaften zusammen. Gerade in kleinen Städten und Dörfern wird so Schritt für Schritt eine Eigenversorgung erreicht, die sogar über eigene Netzstrukturen verfügt. Das „leuchtende“ Beispiel für eine dezentrale Energieerzeugung in BürgerInnenhand sind die Elektrizitäts Werke Schönau (EWS). Nach der Katastrophe von Tschernobyl setzten sich die BürgerInnen in dem Schwarzwaldort für eine atomstromlose und nachhaltige Energieversorgung ein. Durch öffentlichen Druck konnten sie das von einem Atomstromkonzern betriebene Netz schließlich freikaufen und produzieren seitdem nachhaltigen Strom aus Genossenschaftshand für etwa 150.000 Haushalte.
Die Kontrolle über unsere Energieversorgung ist aber nur dann möglich, wenn die Abhängigkeit von kommunalen Politikinteressen oder regionalen Investoren durchbrochen wird. Genossenschaften – von ProduzentInnen und KonsumentInnen – können dabei als Vorbild dienen.Wenn wir die Energieversorgung den großen Konzernen aus den Händen nehmen oder kommunale Versorger (Stadtwerke) „dem Markt“ entziehen wollen, ist aber letztlich ein ganz anderer, gesamtgesellschaftlicher Schritt notwendig: Die Rekommunalisierung und Enteignung der Stromkonzerne!
Ganz konkret gibt es viele Möglichkeiten, bereits jetzt aktiv zu werden. Allerdings müssen wir die meisten Probleme dabei gesellschaftlich oder kollektiv angehen. Zwar ist es notwendig, dass wir als Einzelne auch unser Verhalten ändern, aber nur das Individuum wird die gigantischen Probleme nicht lösen können. Das ist und bleibt neoliberale Propaganda.
Suffizienz, die Beschränkung des Verbrauchs, ist angesichts der Verteilungsgerechtigkeit die grundlegende Handlungsweise. Dabei müssen wir nicht wieder in die vorindustrielle Epoche zurückfallen. Ein Konsumniveau, wie es in den 1950er Jahren gelebt wurde, wäre bereits ein fast ausreichender Schritt.Angebote wie kostenlose Energieberatung oder eine sozial gestaffelte Abwrackprämie für stromfressende Altgeräte können ebenfalls dazu beitragen. Im Produktionsbereich muss ein „race to the top“ angestrebt werden, in dem energiesparende Verfahren und Erfindungen belohnt und zum Standard erklärt werden. Eine Änderung des Mietrechts ist ebenfalls notwendig. So sollten sich die erhöhten Kosten durch Wärmedämmung mit den Einsparungen beim Energieverbrauch die Waage halten, sodass keine Mieterhöhung zu Lasten der MieterInnen unternommen werden kann. Das bedeutet aber auch, dass der Staat Geld bereitstellen muss. Dieses Geld kann und muss durch Umverteilung großer Vermögen und einer echten „Ökosteuer“ erwirtschaftet werden. Zuletzt ist es dabei wichtig, das Gesamtziel nicht aus den Augen zu verlieren – die antikapitalistische Neugestaltung der Gesellschaft, sonst geht das Realpolitikmonster mit uns durch. Denn der Klimawandel lässt sich nur durch einen Systemwandel aufhalten.
Zum Weiterlesen:
Auf der Homepage der FAU Hannover findet sich das Energiepapier: hannover.fau.org
Rolf Cantzen zeigt in Weniger Staat – mehr Gesellschaft. Freiheit – Ökologie – Anarchismus (2. Aufl. Münster: Trotzdem 1995) die Gemeinsamkeiten der dezentralen und basisdemokratischen Konzepte der anarchistischen und ökologischen Bewegung auf. Dabei greift er auch auf Überlegungen Rudolf Rockers zurück.Konkrete Lösungen für ein „Leben nach der Wirtschaft“ bietet der Autor pm in den Büchern Subcoma. Nachhaltig vorsorgen für das Leben nach der Wirtschaft (Paranoia City 2000) und Kartoffeln und Computer. Märkte durch Gemeinschaften ersetzen (Hamburg: Nautilus 2012) an. Mögliche Wege in eine antikapitalistische Gesellschaft kommen dabei nicht zu kurz.
Der von Julia Roth herausgegebene Sammelband Lateinamerikas koloniales Gedächtnis. Vom Ende der Ressourcen, so wie wir sie kennen (Baden-Baden: Nomos 2015) beleuchtet die (post-)koloniale Abhängigkeit des Kontinents vom Export unverarbeiteter Rohstoffe, wie Öl, Gold oder Soja. Es kommen auch AktivistInnen indigener und sozialer Bewegungen zu Wort, die sich dem Extraktivismus und der Umweltzerstörung erfolgreich zur Wehr setzen.
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