Eine Buchbesprechung
Das Tresantis-Kollektiv, laut eigener Beschreibung „Querköpfe die an unterschiedlichen Orten und zu unterschiedlichen Zeiten eng mit dem Widerstand gegen Atomanlagen verbunden waren und sind“, hat ein solides Buch abgeliefert. Die Herausgeber*innen selbst vertreten den Anspruch einer Anti-Atom-Bewegung, die untrennbar mit anti-autoritärer, anti-staatlicher und anti-kapitalistischer Grundhaltung verbunden ist. Über mehrere Jahre hinweg hat das Kollektiv Beiträge von Aktivist*innen gesammelt, deren subjektive Berichte nun in dem über 380 Seiten starken Werk vorliegen. In dem reich bebilderten Buch kommen die unterschiedlichsten Protagonist*innen zu Wort, die mit ihren Beiträgen einen Überblick über 40 Jahre Anti-Atom-Bewegung geben.
Beginnend mit der Beschreibung einer „Fortschrittseuphorie und Technikgläubigkeit im Atomzeitalter“ schildern Augenzeug*innen ihre Erfahrungen Anfang der siebziger Jahre in Wyhl am Kaiserstuhl, dem Geburtsort der deutschen Anti-AKW-Bewegung. Im biografisch-erzählerischen Stil werden Zusammenhänge hergestellt, die Erfahrungen in der Auseinandersetzung mit der Staatsmacht ebenso geschildert wie die Entwicklung einer sozialen Gegenstruktur. Eine Stilistik, die lebendig und subjektiv daherkommt und trotzdem informiert. Das Buch liefert eine Fülle von Eindrücken und Fakten, bleibt jedoch durch eine gute Aufbereitung unterhaltsam und lesbar. Es ist im positiven Sinne kein trocken-analytisches Geschichtsbuch, sondern es erzählt Geschichten: Die Örtlichkeiten des Protestes und des Widerstands – Wyhl, Brokdorf, Grohnde, Kalkar und Wackersdorf – werden ebenso wie das Desaster von Tschernobyl im ersten Teil bearbeitet. Hier finden sich thematisch auch die zivile und militärische Nutzung, beleuchtet am vertuschten Unfall in Gesthacht/Krümmel, und eine kritische Betrachtung der Grünen.Im zweiten Teil des Buchs geht es um die wendländische Protestkultur, Gorleben, die freie Republik, entstanden aus der besetzten Bohrstelle 1004, und eine Fülle von Aktions- und Widerstandsformen. Die Geschichte/n um die Auflehnung gegen das Atommülllager und gegen die Castortransporte nehmen im Buch den weitaus größten Raum und eine zentrale Stellung ein. Die persönlichen Erfahrungen der zahlreichen Autor*innen, die sowohl unter Klarnamen als auch unter Pseudonym firmieren (folgerichtig immer dann, wenn es um die detailreiche Schilderung von Sabotage und anderen kriminalisierbaren Widerstandsaktionen geht), sind das Highlight des Bandes.Im letzten und dritten Teil des Buches geht es um Vermischtes: Fukushima, den sogenannten Atomausstieg, politisches Klettern, Strategien der Repression zu begegnen und die Schwierigkeiten mit nuklearen Hinterlassenschaften umzugehen. Hier, im Schlussteil, zeigt sich eine Schwäche des Buches: Es wird dem starken Titel „Die Anti-Atom-Bewegung – Geschichte und Perspektiven“ so nicht gerecht. Positiv gesehen liegt dies jedoch weniger am Kerngehalt des Produkts, sondern an dem zu ambitionierten Titel. Bei dominierender Retrospektive kommt die Perspektive zu kurz. Zu wenig ist zu lesen bezüglich staatlichem Atommülllagermanagement, Rückbauschwierigkeiten und strategischer Einbindungsversuche wie z.B. der Atomlagersuchkommission, um nur Weniges zu nennen. Auch zur internationalen Situation und dem dort vollzogenen z.T. massiven Ausbau von atomarer Technik findet sich kaum etwas. Auch ist es weniger ein Geschichtsbuch, sondern vielmehr ein Band von Geschichten aus einer ganz bestimmten Widerstandsperspektive. Es wird nicht von außen beschrieben und erklärt, sondern von innen heraus berichtet. Von Menschen, die eben nicht den Schwerpunkt auf Parteiarbeit, Resolutionen und Menschenketten legen, sondern auf selbstbestimmten kreativen Widerstand. Militanz an der richtigen Stelle und zum richtigen Zeitpunkt und in einer Dosis, die ein gesamtsolidarisches Handeln weiter ermöglicht, war und ist ein wichtiges Element. Gut platziert wird sie zum Moment der Freiheit, die aufmacht und Grenzen überschreitet. Aber das ist eben nicht die ganze Anti-Atom-Bewegung. Die war und ist, auch wenn sich viele von den Abschaltungen haben einlullen und beruhigen lassen, größer und wird von weiteren Spektren getragen. Die Anti-Atom-Bewegung war nie eine Monokultur, im Gegenteil, ihre Stärke lag immer darin, dass sie sich aus den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen und den unterschiedlichsten Aktionsformen zusammensetzte. Das zum Teil nervenzerfetzende Ringen um den nächsten Schritt, die richtige Strategie, macht einen Teil dieser Geschichte aus und findet sich auch in dem einen oder anderen Artikel – aber eben nur aus einer Sicht. Die Gewichtung des Buches im beschriebenen Sinne erfolgt nicht nur thematisch, sondern auch geografisch selektiv, lässt so einiges außer Acht und birgt die Gefahr, viele zähe und verschleißende Kämpfe anderenorts zu peripheren Sekundärereignissen werden zu lassen. Das ist schade und wird der Realität nicht gerecht. Die Bewegung, auch die kreativ militante, ist ebenso in Grafenrheinfeld, Asse, Schacht Konrad, Biblis, Neckarwestheim, Ohu und anderswo zu finden und auch diese Liste ist nur eine lückenhafte Auswahl. Trotz der Kritik – eher am zu ambitionierten Titel, als am Inhalt – es ist ein absolut lesenswertes Buch, informativ und berührend.
Das Buch:
Gruppe Tresantis (Hg.): Die Anti-Atom-Bewegung – Geschichte und Perspektiven, ASSOZIATION A, 2015 anti-atom-aktuell.de/Buch
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