Ein trüber Novembertag in Berlin: Am Umsteigebahnhof Warschauer Straße in Friedrichshain hetzen die Menschen zu Bahnen und Bussen. Doch manche bleiben stehen und hören den Reden zu. Am 25. November hat am Warschauer Bahnhof ein außerparlamentarisches Bündnis zu einer Solidaritätskundgebung mit den Beschäftigten des Amazon-Konzerns aufgerufen. Warum an diesen Tag und an diesen Ort, darüber klärten die Redner:innen interessierte Leute gerne auf. Denn in diesem Jahr fiel der Black Friday auf den 25. November.
Der letzte Freitag im November läutet in den USA seit den 1950er Jahren das Weihnachtsgeschäft ein. Mittlerweile nutzen Lieferkonzerne wie Amazon und Co. diesen Tag, um mit großen Schnäppchenwerbungen ihren Profit anzukurbeln. Der besondere Kund:innenandrang ist mit besonderen Belastungen der Amazon-Beschäftigten verbunden. Aber sie haben natürlich erkannt, dass dem Konzern an diesen Tag Streiks besonders schmerzen, weil dadurch die Lieferkette unterbrochen wird. Daher traten auch 2022 wie schon in den letzten Jahren rund um den Schwarzen Freitag die Beschäftigten in den Amazon-Filialen verschiedener Länder in den Streik. Wie in den vergangenen Jahren wurden sie von außerbetrieblichen Solidaritätsinitiativen unterstützt.
In Berlin organisierten verschiedene Gruppen der außerparlamentarischen Linken die Kundgebung an der Warschauer Brücke, weil sich dort die Baustelle des sogenannten Amazon-Tower, auch Edge-Tower genannt, befindet, der 140 Meter hoch werden soll. Die Baustelle ist seit Jahren ein Ort von Protesten verschiedener Stadtteilinitiativen, die Amazon als Treiber von Verdrängung armer Menschen im Stadtteil kritisieren. Bereits vor drei Jahren hatte sich unter dem Motto „Amazon ist kein guter Nachbar“ ein Bündnis mit dem erklärten Ziel gegründet, den Amazon-Tower zu verhindern. Doch die Corona-Pandemie bremste deren Aktivitäten aus. Erst in diesem Jahr gab es wieder kleinere Proteste vor dem in die Höhe wachsenden Turm.
Dabei ging es den Kritiker:innen immer auch um die Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten, was sie in Reden und Parolen betonten. Dafür hatte die Initiative „Make Amazon-Pay“ gute Vorarbeit geleistet, die seit 2016 auch in Berlin außerbetriebliche Solidarität mit den Amazon-Beschäftigten in Form von Veranstaltungen und Straßenprotesten organisierte.
Am 25. November waren auf der Berliner Kundgebung keine streikenden Beschäftigten anwesend, was ein großes Manko war. Nur ein Passant erklärte, er habe vor einigen Jahren mal für Amazon gearbeitet und könne die Kritiker:innen daher völlig unterstützen. Zu den Redner:innen auf der Kundgebung gehörten zwei Berliner Verdi-Gewerkschaftler:innen, die die Bedeutung außerbetrieblicher Solidarität betonten. Danach kamen Aktivist:innen von Stadtteilinitiativen zu Wort, die in ihrer Kritik betonten, dass Amazon weder ein guter Nachbar noch ein guter Boss sei.
Während der Konzern im Jahr 2022 Rekordgewinne zu verzeichnen hatte, gehen die gewerkschaftsfeindlichen Taktiken im Betrieb weiter. Zudem trägt der Konzern nicht nur zur Verdrängung von einkommensarmen Menschen bei. Er betreibt eine aktive Politik der Steuervermeidung, indem er in Europa keine Einkommenssteuer zahlt. Klimaaktivist*innen von „Ende Gelände“ und „Sand im Getriebe“, die auch am Protestbündnis beteiligt waren, verwiesen darauf, dass Amazon zur Vermehrung der CO2-Emissionen beitragt. In einer Rede wurde betont, dass Amazon nur einer von vielen Großkonzernen ist, die im Kapitalismus ihr Geschäft machen. Langfristiges Ziel müsse es sein, dass die Beschäftigten dort wie in allen Betrieben ohne Bosse selber über die Produktion entscheiden.
Die Kundgebung sorgte für Aufmerksamkeit, immer wieder blieben Menschen stehen, um die Reden zu hören. Es gab überwiegend positive Reaktionen der Passant:innen. Besonders gut kam die eingeblendete Leuchtschrift mit den Parolen „Make Amazon Pay“ und „Amazon ist kein guter Nachbar“ an, die direkt auf den Tower projiziert wurden.
Es gab von einigen Passant:innen die berechtigte Frage, ob es angesichts der Fortschritte an der Baustelle nicht zu spät für Proteste sei. Dem wurde entgegengehalten, dass zwar vielleicht der Amazon-Tower nicht mehr verhindert werden könne, aber es an uns allen liege, dass er zum Ort des Protestes und der Solidarität mit den Beschäftigten werde. Damit könnte bereits zur im Laufe des nächsten Jahres geplanten Eröffnung ein Zeichen gesetzt werden.
Aber dann sollten auch Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen Standorten dabei sein. Dafür gibt es in Berlin ein Vorbild: Die Preisverleihung des Springer-Konzerns an Amazon-Boss Bezos war am 24. April 2018 von lautstarken Protesten überschattet, an denen sich Amazon-Beschäftigte aus verschiedenen Standorten in Deutschland, aber auch aus dem westpolnischen Poznan beteiligten.
Beitragsbild: © Felix Schlosser
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