Daria Bogdańska (1988) ist Comicroman-Autorin und gewerkschaftlich aktiv im Syndikat Malmö LS der SAC Syndikalisterna. Ihr Debüt »Wage Slaves« (auf Deutsch: Von Unten) handelt von Ausbeutung in der Gastronomie aber auch darum Widerstand zu leisten, mit oder ohne Gewerkschaft. Der Comicroman ist 2016 erstveröffentlicht und in mehrere Sprachen übersetzt worden, 2019 erschien die deutsche Version.
Warum, glaubst du, wurde es ein solcher Erfolg?
Einer der Gründe, warum ich »Von Unten« geschrieben habe, war, dass mir die Darstellung der immer prekärer werdenden wirtschaftlichen Situation meiner Generation in der Populärkultur fehlte. Natürlich gibt es viele Geschichten über »städtische Jugendliche und Erwachsene mit schlechten Lebensperspektiven«, aber so wie ich das sehe, konzentrieren sich diese Darstellungen immer auf den individuellen Aspekt des Erlebens. Als ob es eine eigene Schuld oder eine Entscheidung wäre. In Wirklichkeit glaube ich, dass es sich hier um ein kollektives Problem handelt, das die Menschen nicht nur in Schweden, sondern in der ganzen Welt gerade jetzt betrifft und mit der extremen freien Marktwirtschaft und den Deregulierungen zu tun hat, die sie durchführt.
Ist das Schreiben eines Comics der beste Weg, diese Dinge zu erklären?
Ich denke, echte Geschichten haben immer eine emotionalere Wirkung auf die Leser:innen als trockene Theorie. Als Teenager, als ich Comics gelesen oder Fernsehserien gesehen habe, erinnere ich mich daran, dass die Figuren sich immer über ihre beschissenen Jobs beschwerten oder Ironie als Waffe gegen ihre nutzlosen Chefs einsetzten, aber nie wirklich etwas taten, um ihre Situation zu verbessern. Ich wollte, dass meine Geschichte einen Schritt nach vorne macht und auch Lösungen anspricht. Meine Geschichte wurde zu einer Art »Knowhow« der gewerkschaftlichen Organisierung. Die Kultur, die wir konsumieren, lehrt uns auch etwas über die Welt, in der wir leben. Wir brauchen mehr Aufklärung über unsere Rechte als Arbeitnehmer:innen im Allgemeinen, und auch die Popkultur kann dabei eine wichtige Rolle spielen. Da die Prekarität des Alltagslebens überall verbreitet ist, konnten sich die Menschen wohl mit der Geschichte identifizieren, und zweitens sehnten sie sich vielleicht genau wie ich danach, tatsächlich darüber zu sprechen, wie wir Widerstand leisten können.
Deine Geschichte zeigt verschiedene Arten von Ausbeutern. Einer von ihnen ist der linke Militante, der seine Arbeiter:innen ausnutzt.
Ich habe gelernt, dass Bosse, die versuchen, dein:e Freund:innen zu sein, die schlimmsten sind oder mit denen man zumindest am schwersten streiten kann. Das ist auch eine sehr beliebte Taktik unter ihnen. Aber die Gleichung ist ganz einfach. Die Bosse verdienen Geld an Ihrer Arbeit, je weniger wir verdienen, desto mehr Gewinn haben sie und umgekehrt. Es ist eine Konfliktsituation, niemand kann diese Dynamik vergessen. Aber Bosse sowohl in großen als auch in kleinen Unternehmen haben es geschafft, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie es sind, die es so schwer haben. »Oh, ich kann Ihre Versicherung nicht bezahlen, das können wir uns nicht leisten« – dieses Argument des Selbstmitleids habe ich schon so oft gehört. Meine Antwort lautet – Sie können es sich nicht leisten, eine:m Arbeiter:innen ein Minimum an Sicherheit und einen existenzsichernden Lohn zu geben? Stellen Sie sie nicht ein, sondern erledigen Sie die verdammte Arbeit selbst. Ich habe es so satt, dass die Leute einer Gehirnwäsche unterzogen werden, um immer auf der Seite der Bosse zu stehen. Wenn sie einfach immer reicher und reicher werden.
In »Von Unten« schreibst du, dass du Gewerkschaften schon immer als irgendwie antiquiert betrachtet hast. Warum, glaubst du, war die Arbeitspolitik für dich so lange Zeit nicht interessant und wie hat sich das geändert?
Im Allgemeinen habe ich den Eindruck, dass die jungen Leute heute (mich eingeschlossen) im Allgemeinen vom politischen Establishment desillusioniert sind. Genau wie die großen politischen Parteien basieren die Gewerkschaften heute nicht auf einer Volksbewegung, sondern sind bürokratische (und sogar korrupte) Institutionen, die von karrieresuchenden Funktionären geführt werden, statt von Menschen, denen die Ideen und der Wandel wirklich am Herzen liegen. Wir erwarten nicht, dass sie in der Lage sein werden, irgendetwas zu ändern. Und zumal viele neuartige »flexible« Beschäftigungsmodelle nicht einmal mehr Grundrechte für die Arbeitnehmer:innen garantieren (Gig economy, Selbstkontrahierung, Freiberufler, befristete Anstellungen), sehen wir oft nicht, wie die Gewerkschaften uns überhaupt helfen könnten. Viele junge Menschen sind auch in diesem System, dem Spätkapitalismus, aufgewachsen, so dass wir uns nicht daran erinnern, dass es auch anders sein könnte. Die Bosse haben jetzt die totale Macht und sind daran gewöhnt. Wenn die Dinge bei der Arbeit also nicht so sind, wie wir sie gerne hätten, wählen wir oft einen individuellen Ansatz, anstatt zu versuchen, Probleme kollektiv zu lösen, oder wir wechseln den Arbeitsplatz.
Also sollen wir die Hände dreckig machen wo wir sind?
Genau. Wenn wir weiterhin beschissene Jobs kündigen, ohne zu versuchen, Probleme zu lösen, die wir, die dort arbeiten, kollektiv haben, und einfach hoffen, dass der nächste besser sein wird, wird es bald keine besseren Jobs mehr geben. Alles wird scheiße sein. Wir sind es, die dort oft ohne Versicherung, mit schlechten Löhnen und niedrigen oder gar keinen Renten gelassen werden. Und vielleicht sind wir sogar schon jetzt dort, da unsere Rechte als Arbeitnehmer:innen im letzten Jahrzehnt drastisch beschnitten wurden und die Gewerkschaften immer schwächer wurden. Ich denke, es ist an der Zeit, über diese Probleme nachzudenken, aufzuhören, die Scheiße zu akzeptieren und mit der Organisierung zu beginnen. Dazu brauchen wir Strukturen. Die Gewerkschaften sind eine davon. Sie mögen realitätsfremd sein und förmlich erscheinen, aber das bedeutet nicht, dass wir sie nicht ändern und sie als Instrument einsetzen können, um unser Leben und unsere Zukunft zu verbessern.
Bist du gerade in bestimmten Kämpfen aktiv?
Im Allgemeinen habe ich in den letzten Jahren nur mit der Organisierung von Migrant:innen gearbeitet. Zum Beispiel eine große Gruppe rumänischer Fabrikarbeiter:innen außerhalb von Malmö, sie lebten prekär auf dem Bauernhof ihrer Chefs unter sehr schlechten Bedingungen. Abgesehen davon organisiere ich meist zusammen mit Frauen aus dem Reinigungs- und Dienstleistungssektor. Ich bin freiwillige Organisatorin und Verhandlungsführerin in meiner Gewerkschaft Malmö LS, SAC, das heißt ich helfe anderen, sich zu organisieren, helfe ihnen herauszufinden, welche Rechte sie haben, betrachte die juristischen Aspekte ihres Konflikts und verhandle mit den Chefs. Dieser Teil meines Lebens ist extrem wichtig für mich, und es ist ein sehr gebender Aktivismus. Und wenn wir gewinnen, ist es ein fantastisches Gefühl. Es ist erstaunlich, gemeinsam mit Menschen zu kämpfen, die wie ich ausgebeutet und nicht respektiert wurden und nicht wussten, was sie tun sollten. Ich möchte für sie da sein, denn ich wünschte, jemand wäre für mich da gewesen, als ich ausgebeutet wurde.
Im Deutschlandradio findet sich unter dem Titel „Von unten“: Die Comiczeichnerin Daria Bogdanska ein Kurzbeitrag zu Daria Bogdańska.
Titelbild: © Johanna Bolin
Tut schon weh ein Wortkonstrukt wie »Arbeitnehmer:innen« in einer syndikalistischen Zeitung zu lesen – zeigt aber auch viel über den aktuellen Zustand einer – selbst sich auf den Klassenkampf beziehenden – Linken. Ideologische Kampfbegriffe der Gegenseite kritiklos übernehmen, aber dafür schön, nach letztem Schrei gegendert…