In diesem Jahr fanden die regulären Betriebsratswahlen statt, so wie alle vier Jahre. Viele kritische Köpfe interessieren sich nicht dafür, halten es eher für eine Veranstaltung angepasster Funktionäre, die mit sich selbst und Formalien beschäftigt sind.
Dass die Reaktionen auf das Thema eher negativ sind, verwundert nicht, wenn man sich die Entwicklung etwa in den Auto-Konzernen anschaut. „Einst bekam Bernd Osterloh 750.000 Euro, nun werden es nur noch 96.000 Euro sein“, meldete die Zeit und das Managermagazin titelt zum Betriebsrat „Razzia bei Volkswagen wegen Luxus-Gehalt“. Eine Reihe negativer Beispiele zu finden, dürfte nicht schwer fallen.
Dieser Blick ist aber sehr einseitig. Denn das Gesetz selbst sieht auch (!) Möglichkeiten für eine Mobilisierung der Beschäftigten vor. Dieser Beitrag will Mut machen, das Thema „Betriebsrat“ offensiv anzugehen! [1]Ich verwende die Begriffe „Arbeitnehmer*innen“ und „Arbeitgeber*innen“. Die Arbeitnehmer*innen werden als Beschäftigte verstanden, während die Unternehmer als Arbeitgeber*innen bezeichnet werden. Ich orientiere mich dabei an der Definition des Betriebsverfassungsgesetzes. Diese Begrifflichkeiten verschleiern aber, dass die Arbeit durch die Beschäftigten erbracht wird und sie den Wert im Unternehmen schaffen: Die „Arbeit-nehmenden“ stellen den Kapitaleignern, den „Arbeit-gebenden“ ihre Arbeitskraft zur Verfügung. Die „Arbeitnehmer*innen“ verkaufen ihre Arbeit den „Arbeitger*innen“, die die Produktionsmittel zur Verfügung stellen.
Denn zwei wichtige Faktoren beinhaltet das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG): betriebliche Öffentlichkeitsarbeit und Arbeitszeit für „politische Arbeit“. Das machen Beispiele deutlich: Der Betriebsrat gestaltet selbst den Inhalt einer Betriebsversammlung. Zu dieser werden nach § 42 und § 43 BetrVG alle „ArbeitnehmerInnen“ eingeladen, denn sie haben ein Teilnahmerecht während der Arbeitszeit. In dieser Zeit kann der Betriebsrat über die Situation im Betrieb aus seiner Sicht informieren. Es können Missstände bei der Arbeitszeit, der Schichtplanung oder beim Gesundheitsschutz angesprochen werden. Auch die Beschäftigten können darüber diskutieren, werden dies aber selten tun, da auch die Unternehmensleitung dabei sein darf.
Ein Teilnahmerecht hat aber auch jedes Mitglied einer im Betrieb vertretenen Gewerkschaft. Vertreten ist eine Gewerkschaft, wenn sie mindestens ein Mitglied hat. Und die Gesetzgebung spricht auch nicht von DGB-Gewerkschaft. Es kann also auch die FAU eingeladen werden, § 46 BetrVG spricht von Teilnahme eines „Beauftragten“ der Gewerkschaft. Dies kann jemand von der FAU sein, aber auch eine im Betrieb beschäftigte Person (oder aus dem Betriebsrat) kann diese Rolle übernehmen. Es kann auf die betriebliche Situation eingegangen und verdeutlicht werden, wie gemeinsame gewerkschaftliche Aktionen die Arbeitsbedingungen verbessern können. Es kann auf die Bedeutung eines Tarifvertrages verwiesen werden oder auf Veranstaltungen der Gewerkschaft, die demnächst außerhalb des Betriebs geplant sind.
Und der Faktor „Zeit“ ist auch nicht zu unterschätzen: Nach § 37 Abs. 2 BetrVG findet Betriebsratsarbeit während der Arbeitszeit statt. Wie will das Unternehmen kontrollieren, ob die Vorbereitung auf den FAU-Beitrag bei der Betriebsversammlung während der Arbeitszeit stattfindet. Oder die Vorbereitung gewerkschaftlicher Aktivitäten? Diese „Freistellung von der Arbeit“ kann für Selbstbeschäftigung im Gremium oder Anpassung an die Unternehmensforderungen genutzt werden – sie kann aber auch eingesetzt werden, um die Beschäftigten im FAU-Sinne zu mobilisieren.
Das Engagement für die Beschäftigten hängt stark vom Selbstverständnis der Betriebsratsmitglieder ab. Denn das Betriebsverfassungsgesetz betont einleitend die „vertrauensvolle Zusammenarbeit“ der Betriebsräte mit dem Unternehmen und erklärt „Maßnahmen des Arbeitskampfes zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat sind unzulässig“.
Dabei verkennt die Vorschrift nicht, dass Betriebsrat und Unternehmen unterschiedliche Interessen verfolgen. Im Gegenteil setzt das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit unterschiedliche Interessen von Unternehmen und Belegschaft geradezu voraus. Die Vorgabe steht nicht im Widerspruch zur Verpflichtung des Betriebsrates, alle ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Mittel im Interesse der von ihm vertretenen Belegschaft auszuschöpfen. Denn das Bundesverfassungsgericht hat einmal formuliert: „Wenn Betriebsräte ihre Rechtsposition konsequent, extensiv und möglicherweise in Anlehnung an von den Gewerkschaften entwickelten Vorstellungen wahrnehmen, dann verstoßen sie weder gegen Verfassungsnormen, noch gegen Vorschriften des BetrVG. Dies hat der Arbeitgeber unabhängig davon hinzunehmen, ob es ihm aus seiner Sicht einen Vorteil bringt, oder sich gegen seine Interessen richtet. Die Vorschriften des BetrVG dienen gerade dazu, den vorgegebenen Interessengegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie der betrieblichen Interessenvertretung angemessen zum Ausgleich zu bringen. Sie berücksichtigen, dass der Arbeitgeber – ungeachtet der Organisationsform des Unternehmens – zur Wertschöpfung und zur Erreichung des Unternehmens-zweckes der Mitwirkung der Arbeitnehmer bedarf“ [2]Bundesverfassungsgericht vom 10. Dezember 1985.
Der selbst vom höchsten deutschen Verfassungsgericht benannte „Interessengegensatz“ zwischen abhängig Beschäftigten und Kapitaleignern ermöglicht somit Betriebsräten, ihr Amt als Möglichkeit zur Gegenwehr im Sinne der Belegschaft zu nutzen.
Ein engagierter Betriebsrat kann über Konflikte bei Dienstplanerstellung oder Urlaubsplanung den Beschäftigten verdeutlichen, dass das Unternehmen nicht alles alleine entscheidet. Es kann Mut gemacht werden, gegen das Argument, alles sei „alternativlos“ anzugehen.
Aus dem Einzelhandel gibt es Beispiele, was Beschäftigte und Betriebsrat erreichen können. Um das Problem geringer Stundenzahl bei unfreiwilliger Teilzeit anzugehen, werden zunächst die Beschäftigten über ihre Rechte aufgeklärt. Der Antrag eines Teilzeitbeschäftigten – gemäß § 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz – auf Erhöhung seiner Arbeitszeit ist vom Unternehmen zu genehmigen, wenn es eine freie Stelle gibt und keine „dringende betriebliche Gründe“ dagegen sprechen.
In der Praxis spekulieren die Betriebe oft erfolgreich darauf, dass Arbeitnehmer*innen diese Rechte nicht per Arbeitsgericht durchsetzen. Betriebsräte ermutigen deshalb in Form einer Kampagne, diesen Antrag auf Stundenerhöhung zu stellen. Sollte das Unternehmen Ablehnungen formulieren, widersprechen Betriebsräte Einstellungen von außen – und setzen so gerichtlich Arbeitszeiterhöhungen durch. So werden die Rechte der einzelnen Arbeitnehmer*innen geschickt mit kollektiven Beteiligungsrechten verknüpft. „Indem die Betriebsräte die Probleme der Beschäftigten ernst nehmen und mit ihnen über die alltägliche Arbeit und Interessenvertretung diskutieren, entwickeln sie ein solidarisches WIR“. Sie erzeugen so eine betriebliche Gegenöffentlichkeit, so die ver.di-Fachgruppe Handel Baden-Württemberg in einer Auswertung. „Anstatt Probleme als individuelle Mängel zu sehen, begreifen sie sie als Konsequenzen von krankmachenden Arbeitsbedingungen, Prekarität und Personalmangel. Für sie sind Betriebsräte und Mitbestimmungsrechte nicht bloß institutionelle Werkzeuge, sondern Orte einer lebendigen Diskussion und Verständigung über die Arbeit. Dabei handeln sie nicht für die Beschäftigten, sondern mit ihnen“ [3]www.rosalux.de/news/41612/erneuerung-geht-von-unten-aus.html.
Ein weiteres Beispiel: die „ständige Erreichbarkeit“ kann ein wichtiges Handlungsfeld zur Gegenwehr sein. Für immer mehr Beschäftigte wird die „Verschmelzung von Arbeit und Freizeit“ zur Belastung. Manche sehen eine scheinbare Erleichterung im Arbeiten am Sonntag oder im Urlaub: Hintergrund ist eine zu geringe Personalausstattung in vielen Bereichen. Verbreitet ist das Checken von E-Mails durch Beschäftigte im Urlaub oder Wochenende. Das Motiv ist subjektiv nachvollziehbar. Es wird als Entlastung gesehen, weil den Betroffenen nach dem Urlaub nicht ein E-Mail-Berg erwarte.
Betriebsräte sind so besonders gefordert. Die Belegschaft muss für das Problem sensibilisiert werden – und es muss verdeutlicht werden, dass es kein individuelles Problem ist, sondern durch die Unternehmenssteuerung und Personalplanung bedingt ist. Es wird aber nicht nur das Problem „Erreichbarkeit“ angesprochen, sondern auch Lösungsansätze etwa durch eine Betriebsvereinbarung benannt, so dass der Belegschaft klar wird, kollektiv ist eine Veränderung möglich. In einer Fachzeitschrift wird das beispielhafte Vorgehen eines Betriebsrates geschildert [4]Computer und Arbeit Mai 2015 Nicht ständig auf Standby – Betriebsvereinbarung gegen grenzenloses Arbeiten: Durch Flugblätter, Infos per Email und eine Betriebsversammlung zum Thema wurde verdeutlicht, dass es sich bei den Problemen nicht um Einzelfälle handelt. Ursache seien vielmehr die Arbeitsbedingungen, so die Position, die der Betriebsrat in einer Belegschaftsinfo deutlich machte.
Über Mitbestimmungsrechte ist Gegenwehr möglich – das Unternehmen muss über eine Betriebsvereinbarung verhandeln. Technisch können die Server so eingestellt werden, dass nach Feierabend oder an den Wochenenden keine E-Mails mehr an die persönlichen Postfächer der Beschäftigten weitergeleitet werden. Auch eine Regelung für die Urlaubszeit setzt der Betriebsrat durch. Um den elektronischen Posteingang aller während des Urlaubs zu entlasten, ist es den Arbeitenden nach Abschluss der Betriebsvereinbarung möglich, eingehende E-Mails während der Abwesenheit automatisch löschen zu lassen. Gleichzeitig weist eine Abwesenheitsnotiz den Absender des E-Mails auf den zuständigen Vertreter hin, so dass jedes Anliegen dennoch bearbeitet werden kann.
Die geschilderten Beispiele zeigen, wie Betriebsräte Gegenwehr entwickeln können – gleichzeitig stellen Betriebsräte fest, dass ein Agieren nur auf betrieblicher Ebene allein oftmals nicht ausreicht. „Was als Gründung von Betriebsräten begann, um der Macht des Unternehmens etwas entgegenzusetzen, entwickelte sich zu einem Prozess, in dem Beschäftigte Konflikte eigenständig führen lernten. Sie haben ein hohes gewerkschaftliches Bewusstsein entwickelt und legten so einen Grundstein für die gewerkschaftliche Organisierung im Unternehmen“, beschreiben die Wissenschaftler Michael Fütterer und Markus Rhein die Entwicklung am Beispiel „H&M“-Betriebsräte [5]Analyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung „Erneuerung geht von unten aus“, Seite 49.
Diese Beispiele zeigen: Niemand darf zu viel erwarten, der Betriebsrat ändert nichts an den Eigentumsverhältnissen. Seine Möglichkeiten sind begrenzt. Aber mit dem entsprechenden Bewusstsein kann das Amt genutzt werden, um Beschäftigten deutlich zu machen: „allein machen sie DICH ein“. Kollektive Aktionen können etwas verändern. Und zu mehr führen als nur einem weiteren Amt …
Beitragsbild: CC0 Public Domain
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