Nicht nur ältere Menschen sind in der Corona-Krise besonders gefährdet. Auch Menschen mit Handicap gehören dazu. Daran soll die Kampagne #Risikopatient*innen etwas ändern. Peter Nowak sprach mit Sophie Krüger, die zu den Betroffenen gehört, über die Frage, wie sich ihr Alltag aktuell geändert hat.
Welche Forderungen hat die #Risikopatient-Kampagne auch an die Politik?
S.K.: Barrierefreier Zugang zu allen Informationen zum Corona-Virus, welche derzeit laufend aktualisiert werden, müssen für ALLE Menschen zugänglich sein. Es gibt ein Recht auf Gebärdensprache. Noch immer fehlen Gebärdendolmetscherinnen und -dolmetscher in der Tagesschau und in allen Ansprachen der Bundesregierung im Fernsehen. Es fehlen Informationen in einfacher Sprache. Übersetzungen in andere Sprachen werden meistens von freiwillig Unterstützenden zeitnah angeboten, jedoch nicht von der Bundesregierung. Somit werden gezielt Menschen, welche die deutsche Sprache nicht beherrschen und anders-fähige Menschen diskriminiert.
Gibt es weitere konkrete Forderungen, die schnell umgesetzt werden können?
S.K.: Es gibt jetzt eine Petition von Katja Fischer, Sabine Heinecke und Julia Probst, welche sich für die Umsetzung des Rechts auf Gebärdensprache einsetzt. „Wir sind gehörlos und auch unser Leben ist durch die Corona-Pandemie in Gefahr! Die Pressekonferenzen und TV-Sendungen der Bundesregierung zum Corona-Virus sind aber ohne Gebärdensprache, obwohl die Bundesregierung nach der UN-Behindertenrechtskonvention gesetzlich dazu verpflichtet ist. Das ist skandalös!
Welche besondere Belastungen hat die Corona-Krise für Frauen?
S.K.: Besonders gefährdet sind außerdem Frauen und Kinder, die sehr viel weniger Raum zum Schutz vor Gewalt, welche von Männern ausgeht, haben. Es braucht dringend Mittel und Räume, um Frauen und Kindern Schutz vor Gewalt zu garantieren. Der Fokus rückt nun auch auf ungewollte Schwangerschaften, deren Abbruch noch immer nicht selbstbestimmt und unkompliziert durchgeführt werden darf. Wer ungewollt schwanger ist, kann nicht warten, bis die Pandemie vorbei ist.
In diesen Tagen wird darüber diskutiert, ob die Beschränkungen des Alltags wie die Kontakteinschränkungen verhältnismäßig sind. Wie beurteilen Sie die Diskussion?
S.K.: Um die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, erscheint es mir sinnvoll, möglichst wenig Kontakte mit anderen Menschen zu haben. Es geht ja niemals um einzelne, welche in ihren Freiheiten, aufgrund einer Ausgangssperre, eingeschränkt werden. Es geht darum, möglichst viele Menschenleben zu retten. Dieser Zustand ist sehr ausschlaggebend für die möglichst schnelle Bekämpfung der Pandemie. Wenn möglichst viele sich an die Kontakteinschränkungen halten, umso schneller können vielleicht alle wieder uneingeschränkt leben.
Empfinden Sie persönlich es als unsolidarisch, wenn sich Menschen nicht an die Beschränkungen halten und beispielsweise in Gruppen draußen aufhalten?
S.K.: Mich macht es wütend, dass es für manche Menschen nicht möglich scheint, für einige Zeit einfach zu Hause zu bleiben. Die allermeisten haben eine beheizbare Wohnung, sauberes Wasser und einen Internetzugang. Diesen „Luxus“ haben ja nicht alle Menschen. Ich denke oft, wie grausam es ist, dass die Lager auf Lesbos und in Syrien nicht aufgelöst werden und somit das sterben Tausender in Kauf genommen wird. Wir hier müssen also einfach die neue und starke Solidarität als Waffe nutzen und die Chance, als Gesellschaft mit Distanz zusammenzurücken, umsetzen. Allein aus Rücksicht zu all denjenigen, welche Tag für Tag den Supermarktbetrieb stemmen, in Krankenhäusern/Pflegeeinrichtungen arbeiten, für Wasser/Strom sorgen, unseren Müll abholen… Widerstand und Kampf gegen das Virus kann also auch sein, zu Hause auf der Couch zu liegen und Zeit mit Filmen oder Büchern zu verbringen
Welche Auswirkungen hat die Corona-Krise auf Ihren Alltag?
S.K.: Es fallen sehr viele, für mich bisher selbstverständliche Dinge weg. Grundlegendes, wie das Ausüben meiner Tätigkeit als Zahntechnikerin, um meinen Lebensunterhalt zu finanzieren, Teilnahme am öffentlichen Leben, Treffen von Freundinnen, sind vorerst nicht möglich. Auch das Wegfallen von geplanten Unternehmungen, Reisen, Veranstaltungen, ist sehr belastend. Nun richtet sich der Fokus ganz auf mich selbst und mein direktes Umfeld.
Wie empfinden Sie diese Appelle, auf Rücksicht mit den besonders bedrohten Menschen in der Corona-Krise zu Hause zu bleiben?
S.K.: Für mich ist es ganz klar, persönliche Kontakte einzuschränken, um andere zu schützen. Appelle sind ja keine Verbote. Ich sehe noch immer Menschen, welche in Gruppen draußen sitzen oder spazieren gehen. Ich sehe aber auch eine große solidarische Verbundenheit sehr vieler Menschen, welche sich organisieren, um die zu unterstützen, welche z.B. keine Wohnung haben, oder Ideen sammeln, wie Menschen, welche zur Risikogruppe gehören, nicht in Vergessenheit geraten.
Haben Sie persönlich Unterstützung von Freundinnen und Freunden oder aus der Nachbarschaft, beispielsweise bei der Besorgung von Lebensmittel?
S.K.: Ich wohne in einem Mietshaus und vor einer Woche haben wir mit allen Nachbar*innen eine WhatsApp-Gruppe gegründet, um uns bei Bedarf gegenseitig zu unterstützen. Ansonsten habe ich noch eine Mitbewohnerin, welche für mich einkaufen gehen könnte. Hilfreich sind auch die sozialen Netzwerke wie Facebook und Twitter. Dort bin ich mit vielen Menschen in Kontakt, welche ich nun nicht persönlich treffen kann.
Erfahren Sie momentan konkrete Beschränkungen?
S.K.: In erster Linie, wäre es schwer, noch mehr im selbstbestimmten Handeln eingeschränkt zu sein. Insbesondere dadurch, weil die Hotline für Informationen rund um die Erkrankung und der Erstkontakt mit Ärztinnen und Ärzten hauptsächlich per Telefon erfolgt. Für taube Menschen ist dies ein großes Problem. Ich kann nicht telefonieren und bin somit im selbstbestimmten handeln eingeschränkt. Auch die aktuellen Infos von der Bundesregierung, sind nicht barrierefrei zugänglich. Es fehlen Gebärdendolmetscherinnen und -dolschmetscher und Untertitelung. Die Kommunikation ist erheblich erschwert und es kann zu vermeidlichen Missverständnissen kommen.
Wie gestaltet sich Ihr Kontakt zu Ärzt*innen?
S.K.: Vor einigen Tagen musste ich aufgrund einer Vorerkrankung zum Arzt, welcher in einem Krankenhaus seine Räume hat. Um hinein zu kommen, mussten Fragen zum Gesundheitszustand und Aufenthaltsorte der vergangenen Tage beantwortet werden. Für mich war es unmöglich, die aktuellen und notwendigen Vorsichtsmaßnahmen akustisch zu verstehen, denn die Kommunikation fand mit Mundschutz statt. Mundschutz verhindert, das für mich so wichtige Ablesen von den Lippen. Es geht also viel Information verloren. Mir wurde dann eine Liste auf Papier mit aktuellen Informationen mitgegeben. Problematisch ist also die Situation im Krankenhaus speziell für taube und anders-fähige Menschen, welche vielleicht aufgrund des Corona-Virus dort behandelt werden müssen.
Sophie Krüger ist 32, arbeitet als Zahntechnikerin und ist feministische Aktivistin.
Titelbild: FAU Magdeburg
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