SARS-CoV-2

Corona im Betrieb

Zu Betriebsräten gab es in der FAU bereits eine intensive Diskussion.[1]Interview: Betriebsräte als basisgewerkschaftliches Mittel und Aktivitäten von rechts (DA vom 5. Februar 2018)[3]Betriebsräte auf Abwegen? (DA 225 September/Oktober 2014) Die Positionen reichen von gereneller Ablehnung[2]Etwas Besseres als einen Betriebsrat… (DA 186 März/April 2008) wegen der Entfremdung von der Basis bis hin zur Nutzung als strategisches Werkzeug, um die Schutz- und Gestaltungsrechte in Anspruch zu nehmen.[4]Wer sich nicht in Gefahr begibt, der kommt drin um (DA 185 Januar/Februar 2008) Als Redaktion finden wir es dennoch wichtig, wenn über die Rechte und Möglichkeiten, nicht nur in Zusammenhang mit dem BetrVG, informiert wird. Deswegen wollen wir euch die Einschätzung von Marcus Schwarzbach nicht vorenthalten. Er ist Autor beim isw – sozial-ökologische Wirtschaftsforschung e. V. mit Schwerpunkt auf Betriebsratsabeit und die DA hat bereits einen Artikel zu diesem Thema von ihm veröffentlicht.[5]Betriebsrat – es lebe der Funktionär? Oder geht mehr? (DA 22. August 2018) (Anm. d. Red.)

Je länger die Corona-Pandemie dauert, desto schwieriger wird die Situation für viele, desto irrationaler reagieren manche. Solidarische Antworten darauf können die Situation der Beschäftigten nicht ignorieren, sie müssen sich mit der Lage in den Betrieben auseinandersetzen. Das fängt damit an, Fragen zu stellen und Widersprüche zu benennen, z.B.:

Warum wird von einem „Lockdown„, einer Ausgangssperre gesprochen, während in Betrieben durchgehend weiter gearbeitet wird? Arbeitsverträge müssen nicht nur in Einzelhandel, Pflege oder Krankenhaus erfüllt werden, sondern auch in exportorientierten Metallbetrieben, der Chemieindustrie, Banken, Versicherungen oder der Logistikbranche – diese stellten keineswegs das Arbeiten ein, schickten auch nicht alle Beschäftigten ins Homeoffice oder in Kurzarbeit. Der Weg zur Arbeit erfolgt häufig in überfüllten Bussen oder Straßenbahnen. „Was der Gesundheit dient, dient auch dem wirtschaftlichen Ablauf“, betont Bundeskanzlerin Merkel.[6]Angela Merkel: „Wir können uns auch ökonomisch eine zweite Welle nicht leisten“ (Handelsblatt vom 14.10.2020)

Hektisch mussten ab März viele Beschäftigte das Arbeiten in der eigenen Wohnung organisieren. Pandemiepläne gab es in den Unternehmen kaum. „36 Prozent der abhängig Beschäftigten in Deutschland arbeiteten in diesem Stadium des Pandemieverlaufs im Homeoffice“, meldet das Bundesarbeitsministerium. „Generell haben hochqualifizierte Erwerbstätige in Branchen wie Erziehung und Unterricht, Wissenschaft und Forschung, IT und Kommunikation überdurchschnittlich stark im Zuge der Krise ihren Tätigkeitsschwerpunkt ins Homeoffice verlegt.“[7]BMAS, FORSCHUNGSBERICHT 549, Verbreitung und Auswirkungen von mobiler Arbeit und Homeoffice

Einen Anspruch auf Arbeitsmittel etwa Schreibtisch oder PC zuhause, Entschädigungszahlungen der Unternehmen an die Beschäftigten für die Raumnutzung im Homeoffice gibt es kaum. Eine gesetzliche Regelung zum „Homeoffice“ gibt es nicht, die Beschäftigten mussten die Betriebe im „Ausnahmezustand Corona“ am Laufen halten.

Die Gesundheit der Beschäftigten wird eher zweitrangig behandelt. Vollmundig verkündete Bundesarbeitsminister im April den „SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard“: „Wer in diesen besonderen Zeiten arbeitet, braucht auch besonderen Schutz. Wichtig ist, dass wir bundesweit klare und verbindliche Standards haben.“[8]Einheitlicher Arbeitsschutz gegen das Coronavirus – Bundesarbeitsminister Heil stellt Arbeitsschutzstandard COVID 19 vor (16. April 2020) Schon im Mai zeigte eine gerichtliche Prüfung, wie unverbindlich diese Pressemitteilung ist. Das Arbeitsgericht Hamm entschied, dass der SARS-CoV-2 Arbeitsschutzstandard keine wirksame Rechtsnorm sei.[9]ArbG Hamm vom 04.05.2020, Aktenzeichen 2 BVGa 2/20[10]Corona: Maßnahmen zum Arbeitsschutz im Betrieb (DGB vom 22.12.2020) Erst im August wurde daraufhin die „SARS-CoV-2 Arbeitsschutzregel“ beschlossen. Diese soll rechtlich verbindlicher sein, beinhaltet aber etwa zur Mund-Nasen-Bedeckung ( „MNB“) folgende Vorgabe unter 4.1: „Soweit arbeitsbedingt die Abstandsregel nicht eingehalten werden kann und technische Maßnahmen wie Abtrennungen zwischen den Arbeitsplätzen nicht umsetzbar sind, müssen die Beschäftigten mindestens MNB zum gegenseitigen Schutz tragen.“

Schwammig geht es weiter im Text. So sollen nach 4.2.1 „zur Einhaltung der Abstandsregel Arbeitsplätze in Arbeitsstätten so angeordnet werden, dass zwischen den für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe anwesenden Beschäftigten ein Abstand von mindestens 1,5 m eingehalten werden kann. Hierzu können insbesondere die folgenden Maßnahmen umgesetzt werden: 1. Änderung des Mobiliars oder seiner Anordnung, 2. Nutzung weiterer für die Tätigkeit geeigneter Flächen und Räume.“ Eine Reihe von Weichmachern in dieser Vorgabe, denn „Können“ Maßnahmen dazu gehören, bedeutet diese im konkreten Einzelfall Streit mit den Unternehmensentscheidern, darüber, was der Kapitalseite zumutbar ist. Der gerade vom Kanzleramt immer wieder beschworene Gesundheitsschutz in Corona-Zeiten spielt für die Betriebe also keine besondere Rolle.

Bei 75 Prozent der Ansteckungen wisse man nicht mehr, woher sie kämen, erklärt die Bundesregierung. Daher könne man nicht mehr sagen, dass bestimmte Bereiche wie Restaurants nicht (!) zur Ausbreitung des Virus beitrügen – mit der derselben Begründung können auch die Betriebe geschlossen werden, was aber zu keiner Zeit Diskussionsthema zwischen Bundesregierung und Ministerpräsidenten war.[11]Merkel und die magische 75 (Süddeutsche Zeitung vom 29. Oktober 2020)

Selbst das Offenhalten von Schulen und Kitas dient nicht dem Wohl der jungen Menschen, vielmehr soll ein weiterer Ausfall von abhängig Beschäftigten, die stattdessen mit „Homeschooling“ gebunden sind, vermieden werden. Die Arbeitskraft muss verwertet, die Gewinne gesteigert werden, findet wohl auch Bayerns Ministerpräsident Söder: „Schule und Kita hat ja den Zweck auch, um die Wirtschaft laufen zu lassen.“[12]Gipfel mit Kanzlerin: Schulen sollen offen bleiben – der Wirtschaft zuliebe (News4teachers – Das Bildungsmagazin vom 27. Oktober 2020)

Kollektive Aktionen in den Betrieben

Diese Fragen betreffen Beschäftige, die in den Betrieben auch in Corona-Zeiten weiter arbeiten. Aber wie können Widersprüche oder offene Punkte durch kollektive Aktionen angegangen werden? Über einige Ideen sollten die Beschäftigten diskutieren, z.B.:

  • Der Betriebsrat kann eine Sitzung des Arbeitsschutzausschusses (ASA) beantragen. Im ASA muss das Unternehmen darlegen, welche Maßnahmen des Gesundheitsschutzes ergriffen werden. Der Betriebsrat kann fehlende Maßnahmen dort einfordern, die Belegschaft sollte über den Verlauf der Veranstaltung informiert werden.
  • Das Arbeitsschutzgesetz schreibt Gefährdungsbeurteilungen vor. Dabei ist zu ermitteln, welche Maßnahmen des Arbeitsschutzes erforderlich sind. Dies können fehlende Maßnahmen gegen Corona sein. Nur 58 Prozent der Betriebe haben seit März die Reinigungsintervalle für gemeinsam genutzte Räume und Arbeitsmittel verkürzt, ergab eine repräsentative Befragung von über 1.500 Betrieben im August 2020, die das Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) und die BAUA gemeinsam durchgeführt haben.[13]Betriebe ergreifen umfangreiche Maßnahmen gegen CoViD-19 (Neuer BAuA-Bericht zu betrieblichem Arbeitsschutz in der Corona-Krise vom 28.10.2020) Der Einsatz von „Masken“ kann auch Gegenstand der Gefährdungsbeurteilung sein, das fordert selbst die Gesetzliche Unfallversicherung und überträgt das Problem so auf die Belegschaften.[14]Gesetzliche Unfallversicherung: Fakten zu Mund-Nase-Bedeckungen (DGUV vom 10.11.2020) Mund-Nase-Masken sind auch im Betrieb zu nutzen, wenn Schutzabstände nicht eingehalten werden können. KOBAS, der Koordinierungskreis für Biologische Arbeitsstoffe der gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), empfiehlt eine maximale Tragedauer von zwei Stunden mit anschließender 30-minütiger Erholungsunterbrechung.[15]Fakten zu Mund-Nase-Bedeckungen (DGUV-Pressemitteilung vom 10.11.2020) Konkrete Regelungen dazu können Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung sein, vor allem damit die Erholungszeiten ohne Maske nicht von Lohn abgezogen werden. Der Betriebsrat kann eine Gefährdungsbeurteilung durchsetzen. Auch Arbeiter oder Angestellte können eine solche Beurteilung fordern. Gemäß § 5 Abs. 1 ArbSchG i.V.m. § 618 Abs. 1 Satz 1 BGB hat der Einzelne einen Anspruch darauf, dass das Unternehmen eine Gefährdungsbeurteilung durchführt.[16]BAG vom 12.08.2008 – 9 AZR 1117/06 Eine Gruppe von Beschäftigten kann also gemeinsam aktiv werden, auch ohne Betriebsrat.
  • Spätestens jetzt ist es an der Zeit, Betriebsvereinbarungen zu Homeoffice abzuschließen, um Technikausstattung und Aufwandsentschädigungen für Miete, Energie etc. durchzusetzen.[17]wirtschaftsinfo 56 „Homeoffice: Vom Traum zum Alptraum“
  • Kollektive Krankmeldungen aufgrund der belastenden Situation im Betrieb werden derzeit durch die Krankschreibung per Telefon erleichtert.
  • Technische Überwachung vermeiden – das sollte die Maxime des Betriebsrates sein. „Es piept, wenn sich ein Kollege nähert“ wird die Technik „Secure Distance Vest“ von Linde Material Handling beworben.[18]Infektionsschutz: Software und Tools für mehr Sicherheit (Haufe.de vom 22.09.2020) Die Wearables sollen dazu beitragen, dass Arbeiter „sich auf ihre Tätigkeit konzentrieren können, ohne ständig abschätzen zu müssen, ob sie den vorgeschriebenen Abstand einhalten“. Wird der Abstand von 1,50 Meter nicht eingehalten, macht das Gerät Lärm: „akustisch, visuell und sensorisch“ wird der Arbeiter gerügt, Verstöße können dokumentiert werden. Ideal für die Unternehmen, um die Verantwortung bei den Belegschaften abzuladen.

Gemeinsam kämpfen, betriebliche Kämpfe vernetzen, das muss das Motto sein. Forderungen in Tarifverhandlungen nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich sind passende Forderungen zum Schutz vor Corona. Welche Bedeutung der Arbeitsschutz auf Regierungsebene hat, zeigt die Landesregierung Niedersachsens mit einer Entscheidung im November:[19]Malochen wie früher (junge Welt vom 04.11.2020) In Krankenhäusern wird der 12-Stundentag per Verordnung eingeführt – ignoriert werden dabei Untersuchungen, die hohe Infektionszahlen des medizinisches Personals in China oder Italien auf längere Arbeitszeiten zurückführen.[20]Zwölf Stunden töten (analyse & kritik vom 21.04.2020)

Auch bei Corona gilt: Es ist an der Zeit, gemeinsame Aktivitäten in den Betrieben zu entwickeln – das Virus verschwindet nicht so schnell.

 

Beitragsbild: CDC/ Alissa Eckert, MSMI; Dan Higgins, MAMS, #23312

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2 Kommentare zu «Corona im Betrieb»

  1. Ich konzentriere mich jetzt einmal auf das positive:

    1) Die Gefährdungsbeurteilung
    Sie ist ein Ideales Mittel (auch an bestehenden BR vorbei) um kollektiv handeln zu können. So ist die erste Handlung in diesem Rahmen, das Gespräch mit den Kolleg:innen, das die Idee streut, das man jetzt mal eine aktuelle Gefährdungsbeurteilung bräuchte. Darauf baut dann auf, das man sich kollektiv und selbst darum kümmert, das so eine Beurteilung durchgeführt wird. Aber damit ist der kollektive Prozess natürlich nicht am Ende. Jetzt gilt es kollektiv zu formulieren welche Maßnahmen im Betrieb ergriffen werden müssen und dem Boss kollektiv mit zu teilen was bis wann erledigt sein muss!

    2) Die Betriebsvereinbarung
    Auch die kann ohne BR oder auch unter Umgehung des BR abgeschlossen werden. Grundsätzlich ist es so wie unter Punkt (1) schon beschrieben. Nur das am Ende ein Text mit der entsprechenden Überschrift stehen muss. Von Seiten der Arbeiter:innen muss die Betriebsgruppe oder die Ad-Hoc-Koalition die Vereinbarung unterzeichnen. Es braucht also ein paar Mutige (im Idealfall Arbeiter:innen, die nicht einfach ersetzt werden können) die Gesicht zeigen.

    3) Technische Überwachung vermeiden
    Auch hier, kann die Belegschaft ganz ohne BR und/oder am BR vorbei, ja sogar gegen den BR agieren. Sie muss dafür „nur“ geschlossen und kollektiv auftreten und entsprechende Maßnahmen kompromislos ablehnen.

    4) Neben der aktuellen Möglichkeit, sich einfacher AU schreiben zu lassen, können natürlich auch alle weiteren Methoden des inoffiziellen Arbeitskampfes angewandt werden. Insbesondere der „Dienst nach Vorschrift“, bei dem man sich penibel alle Vorschriften hält, langsam arbeiten u.v.a.m.

    über die gemachten Erfahrungen, wird man sich auch über die Pandemie hinaus eine Basis geschaffen haben, auf der mit den Kolleg:innen auch zukünftig noch mehr gehen wird.

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