Betrieb & Gesellschaft

Dem Jobcenter nicht auf den Leim gehen

Hunderttausende beziehen kein ALGI oder ALGII – obwohl sie Anspruch darauf hätten. Grund sind in der Regel die Schikanen und die Bürokratie, die mit einem Antrag verbunden werden.

Wer „Kunde“ bei der Agentur oder beim Jobcenter ist, holt oft nicht raus, was aus der Struktur rauszuholen wäre. Dieser Umstand zeigt, dass so manches Kalkül der Behörden aufgeht. Hier soll es um ein paar grundlegende Dinge gehen, die beim Umgang mit dem Jobcenter zu beachten sind.

Erwerbslosigkeit? Ein Politikum, mit dem du nicht alleine stehst!

Die Angst vor der Erwerbslosigkeit, vor Sanktionen, Bevormundung und Fremdbestimmung treibt uns immer wieder in lausig bezahlte, aber wenigstens selbstgewählte Dumpingjobs. Die Angst vor dem Jobcenter lässt uns auch stillhalten, wenn es im Betrieb schlecht läuft, wir keinen Respekt erhalten oder gesetzliche Standards unterlaufen werden. Gleichzeitig vermittelt das Jobcenter an Zeitarbeits- und Dumpingfirmen, bei denen sich sonst wohl kaum jemand freiwillig melden würde. Das Sanktionssystem abzuschaffen sollte damit ganz pragmatisch im Interesse aller Lohnabhängigen sein, weil es zur kontinuierlichen Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse maßgeblich beiträgt.

Daneben lehnen wir die Idee, Menschen in bitterster Armut und Sorge zu halten und ihnen gar noch das Existenzminimum zu entziehen, grundsätzlich ab. Es gibt gute Gründe, nicht gegen Lohn arbeiten zu wollen, z. B. weil die Tätigkeiten, die uns wichtig sind, wo wir gebraucht werden, nicht bezahlt werden oder aus der Profitlogik heraus auch gar nicht ausfinanzierbar wären. Beispiele sind hier u. a. im sozialen, pädagogischen und kulturellen Bereich zuhauf zu finden. Vielleicht lehnen wir es auch aus ethischen Gründen ab, uns für die globale Profitlogik zu verschwenden. Ein großer Teil der heute geleisteten Arbeit ist überflüssig, Beschäftigungstherapie, Arbeitssuche aus Prinzip, nicht aus gesellschaftlicher Notwendigkeit heraus. Global gesehen wird ein immer größerer Prozentsatz der Menschheit als Arbeitskraft durch fortschreitende Industrialisierung und Digitalisierung überflüssig. Heute bestimmt der Preis der Ware Arbeitskraft und die Notwendigkeit von Profiten, was, wie und wie haltbar produziert und geleistet wird. Mit der Menge und Art von Tätigkeiten, die eine globale Gesellschaft tatsächlich bräuchte, um gut und nachhaltig zu leben, hat das nicht zu tun.

Wer die Lohnarbeit verweigert ist daher für uns kein Feind der Gesellschaft, sondern lediglich ein Mensch, der den Wert sein Lebenszeit erkennt und eine respektable Konsequenz daraus zieht. Feinde der Gesellschaft sind dagegen diejenigen, die den größten Teil der Weltbevölkerung per Festhalten an einem überkommenen Wirtschaftssystem zu Arbeit zwingen wollen, die niemandem gut tut und uns und den Planeten zerstört.

Erwerbslosigkeit ist auch internationalistisch eine hochpolitische Sache. Die deutsche Wirtschaftsdominanz im globalen Kapitalismus wäre ohne den riesigen Niedriglohnsektor und jahrelange Perioden der stagnierenden oder gar sinkenden Reallöhne kaum denkbar. Dieser Niedriglohnsektor wiederum könnte ohne das System von Erniedrigung, Aufstockerei, Sanktionen kaum aufrecht erhalten werden.

Auch wenn es vielleicht nicht unser erster Gedanke wäre, steht unser Verhalten gegenüber dem Jobcenter damit in einer direkten Verbindung zur deutschen Wirtschaftsdominanz und zu den Kämpfen gegen deutsche Spardiktate in Griechenland, Frankreich, Spanien usw. Halten wir in Deutschland still und lassen uns ins Hamsterrad von Leiharbeit, schlechten Minijobs und prekärer Scheinselbstständigkeit treiben, gestalten wir damit auch Bedingungen, die den wirtschaftlichen Widerstand der Bevölkerung im europäischen Süden ins Leere laufen lassen. Wenn wir uns gegen das Jobcenter wehren, dann wehren wir uns nicht nur für ein paar Kröten und ein wenig persönliche Ruhe. Wir wehren uns auch für die Belange unserer Kolleg*innen weltweit, so sie von der deutschen Wirtschaft betroffen sind.

Gleichzeitig kann eine aktive Arbeit gegen die Willkür des Jobcenters aber auch eine sehr aufmunternde und tolle politische Erfahrung sein: Mit anderen in der Schlange den Aufstand gegen die Security proben, in Gesprächen mit anderen antikapitalistische Einstellungen festigen, systemtreuen Sachbearbeiter*innen die Schweißperlen auf die Stirn treiben – alles keine Seltenheit, wenn mensch es nur richtig angeht.

Kenne deine Rechte BEVOR du zum Amt gehst, geh nicht allein, have fun!

Grundlage, um sich beim Amt gut zu schlagen, ist, sich vorher klar zu machen, was mensch will. Also z. B., ob du dir möglichst lange und entspannt dein bedingungsloses Grundeinkommen abholen willst, ob du von denen tatsächlich eine Jobvermittlung oder eine Weiterbildung wünschst. Zum Teil lässt sich beim Jobcenter enormes rausholen, wie z. B. eine anteilige Finanzierung der Fahrerlaubnis.

Gleichzeitig solltest du dir Gedanken machen, was auf jeden Fall nicht passieren soll, z. B. Vermittlung in einen Job in Hinterpotschappel oder ähnliches. Hast du das für dich klar gezogen, empfiehlt sich eine Beratung über die Strategie, die du anwenden willst, um das gewünschte zu erreichen. Solch eine Beratung erhälst du in Dresden bspw. bei den gewerkschaftlichen Sprechstunden der FAU.

Bei der Beratung geht ihr gemeinsam deinen Fall durch und dir werden verschiedene Gesprächs- und Verhaltenstaktiken aufgezeigt, mit denen du deine Ziele durchsetzen kannst. Je nachdem, was du für ein Charaktertyp bist, z. B. offensiv-streitlustig, schüchtern, verbimmelt etc., kann mensch dann schauen, mit welcher Taktik du dich am wohlsten fühlst.

Bei einer solchen Beratung kannst du außerdem Erfahrungen abstauben, wie sich der Aufenthalt im Jobcenter gestaltet. So gehst du selbstsicherer hin, weil du weißt, was dich erwartet. Willst du deine Zeit gleich nutzen, um anarchistische Einstellungen bei anderen zu entdecken und zu fördern, werden dir außerdem die Erfahrungen von versierten Kolleg*innen helfen, wenn es darum geht, Gespräche anzufangen, bei anmaßendem und rassistischem Verhalten der Securitys zu reagieren etc.

Auf KEINEN FALL solltest du – wenn du es irgendwie vermeiden kannst – erst kommen, wenn du die ersten paar Termine im Jobcenter bereits hinter dir hast und mensch dich gezwungen hat, eine „Eingliederungsvereinbarung“ (EGV) zu unterzeichnen. Die EGV bildet die Grundlage, dass mensch dich überhaupt erst sanktionieren kann. Je nach der Taktik und deinen Wünschen kann es Sinn machen, auf die ein oder andere Weise gegen den Abschluss der EGV Widerstand zu leisten. Jeder Widerstand gegen Eingliederungsvereinbarungen beeinträchtig außerdem die Funktion des Repressionsapparats Jobcenter, weil es Kräfte auf Seiten der Sachbearbeiter*innen bindet.

Noch ein wichtiger Tipp für den Anfang: Geh nicht allein! Zeug*innen sind Gold wert, Sachbearbeiter*innen schüchtert es ein, im Zweifelsfall hast du bei Klagen die besseren Karten. Gerade bei einer offensiven Taktik („Ich verklag euch, bis ihr kein Land mehr seht!“, „Interessant, ich fordere, das mal mit ihrer*m Vorgesetzten zu besprechen!“, „Wollen sie das wirklich in der Zeitung lesen?!“) ist es dabei gut, jemanden dabei haben, der*die sich als Gewerkschaftsmitglied oder Sozialarbeiter*in ausweisen kann und es versteht, mit Paragrafen um sich zu werfen. Letztlich ist es aber besser, eine Begleitung zu haben, die noch nie ein Jobcenter von innen gesehen hat, als alleine zu gehen. Ihr werdet merken, dass ihr auch als Laien schnell vieles lernt und mit jedem Termin kompetenter werdet.

Zusammen sind wir schlauer – teile deine Erfahrungen!

Wenn du mit deinen Teams (auf dem Jobcenter bearbeitet immer mindestens ein Team der „Leistung“ und eines der „Integration“ deinen Fall) schon ein wenig Erfahrung habt, ist es gut, diese weiter zu geben. Schreibt euch dafür bitte bei Briefwechseln und Terminen die Nummer des Teams, am besten auch die Namen der Sachbearbeiter*innen und eure groben Erfahrungen auf. Diese Erfahrungen können sowas sein wie: „Termin verpasst, Klima hat sich sehr verschlechtert“, „Habe meine Situation dargestellt, haben verständnisvoll reagiert, hab nun weniger Termine“, „Keine Bewerbungen abgegeben, wurde mit Maßnahme abgestraft“ usw. usf. Schickt diese Angaben dann bitte an euer nächstliegendes Syndikat. Die FAU Dresden arbeitet an einer Erfahrungssammlung über die verschiedenen Teams und Sachbearbeiter*innen, da die politischen Einstellungen, Taktiken und Reaktionen der Teams z. T. sehr variieren. Mit den Angaben können wir unter Umständen negative Konsequenzen bei zukünftigen Beratungen schneller abwenden und von Anfang an die passende Taktik auswählen.

Die Angst vor den Sanktionen verlieren!

Wenn du doch mal Sanktionen fängst, ist das kein Weltuntergang. Die meisten Sanktionen sind rechtlich angreifbar. Mit einem Anwalt lässt sich in der Regel gut dagegen vorgehen. Nicht selten haben erfahrene Anwält*innen bei Klagen gegen Sanktionen eine Erfolgsquote von über 90%. Als Erwerbslose*r bekommst du die Gerichtskosten dabei meistens vom Staat bezahlt, ansonsten helfen für solche Fälle Rechtsschutzversicherungen, oder, je nach Syndikat i.d.R. auch die FAU-Mitgliedschaft (die allerdings z.T. schon drei Monate vor Antrag von Finanzhilfen bestehen sollte, weil sich Unterstützung sonst nicht finanzieren lässt). Auch sonst finden FAU-Mitglieder untereinander eine Lösung, wenn es durch Sanktionen oder andere Notlagen bei jemanden finanziell knapp aussieht.

Solidarität ist keine Einbahnstraße, wir brauchen dich!

Die Möglichkeit der FAU, aktive Begleitungen und Beratungen vorzunehmen, ist leider begrenzt, denn viele, die diese Arbeit leisten, engagieren sich ebenso in gewerkschaftlichen Branchen-Initiativen, in inhaltlichen FAU-Arbeitskreisen (z.B. zum Thema Nachbarschaftsarbeit, Feminismus) oder beim Aufbau regionaler Initiativen. Ebenso sind die finanziellen Mittel der Gewerkschaften, um Prozesse zu bezahlen oder bei finanziellen Notlagen einzuspringen, von der Anzahl zahlender Mitglieder abhängig.

Völlig klar ist dabei: Nicht alle können alles machen und bei vielen Lohnabhängigen ist das Monatsbudget knapp. Trotzdem kann die themenbezogene Mitarbeit in der FAU oder ein kleiner Mitgliedsbeitrag die Arbeit der Struktur schon entlasten und ihre Möglichkeiten erweitern. Allein die reine Mitgliedschaft stärkt als Bekenntnis der Solidarität den Aktivist*innen den Rücken bei der täglichen Arbeit und ist auch bei rechtlichen Auseinandersetzungen, z. B. um die Tariffähigkeit der Gewerkschaft, ein wichtiger Faktor.

Mehr Hartz, mehr Rente!

Wenn du das nächste mal zum Amt musst, daher Kopf hoch, Freund*innen Bescheid geben, Schokolade einpacken. Du bist nicht allein, es gibt Menschen, die dir helfen, und es gibt Menschen, denen du mit deinem Widerstand hilfst.

Wir sehen uns im Warteberreich!

 

Einzelne Erwerbslosen-Aktivist_innen der FAU Dresden

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