Betrieb & Gesellschaft

Der Staat sieht rot – Die autoritäre Wende

„Wer sich nicht bewegt, spürt seine Fesseln nicht“, so lautet eine altbekannte Luxemburg‘sche Parole. Wie wenig Bewegung inzwischen dafür notwendig geworden ist, ist ebenso erstaunlich wie die Tatsache, wie wenige Menschen diese Erfahrung noch teilen.

Ende August 2017: Überraschend erklärt das Innenministerium die Internetplattform linksunten.indymedia für illegal. Weder gab es zuvor politische Anlässe, noch Anzeichen, dass dies bevorstehen könnte. Nicht nur die linksradikale Szene reibt sich verwundert die Augen, auch im bürgerlichen Lager ist man überrascht über diesen Schritt. Die Begründung, so heißt es selbst aus nicht des Linksextremismus verdächtigen Medien, ist politisch motiviert, Straftaten, die Anlass dazu gegeben hätten, sind keine verzeichnet.

März 2018: Der bayrische Innenminister Herrmann präsentiert ein neues Polizeigesetz für Bayern. Bereits seit Sommer 2017 können die Polizeibehörden des Freistaat Menschen, denen sie eine Straftat auch nur zutrauen, unbegrenzt in Haft nehmen. Nicht Gefahr in Verzug, auch nicht der Verdachtsmoment, sollen für eine solche Maßnahme ausschlaggebend sein, es reicht tatsächlich schon, dass die Polizei jemanden für strafbare Handlungen fähig hält. Unbegrenzt, ohne Haftbefehl, ohne Gerichtsurteil, kann man dafür in Haft genommen werden, unter der Bezeichnung „Terrorverdacht“, versteht sich. Zukünftig darf die bayrische Polizei Menschen ohne Verdachtsmomente durchsuchen, überwachen und gar verdeckte Ermittler gegen sie einsetzen. Neben Sachsen, NRW und Niedersachsen arbeiten zurzeit bundesweit Landesregierungen an ähnlichen Polizeigesetzen.

April 2018: Armin Schuster, Obmann der CDU im Innenausschuss des Bundestages, fordert ein Verbot der Roten Hilfe. Es ist der Bundesregierung ein Dorn im Auge, dass auch heute noch juristisch Hilfe bekommen kann, wer Protest artikuliert oder gar Widerstand gegen die herrschenden Zustände leistet. Wer sich der Willkür des Staates, bis hin zur Vernichtung der eigenen bürgerlichen Existenz, nicht teilnahmslos ergibt, sondern sich ihr vielleicht widersetzt, muss, wie zuletzt von der Deportation bedrohter in Ellwangen, mit „aller Härte und Konsequenz“ des Staates rechnen.

Protest, Widerspruch, werden immer weniger geduldet. Zunehmend autoritär entwickelt sich die Gesellschaft, in Deutschland, in ganz Europa. Harmlose Abweichungen von der Norm stehen unter Generalverdacht. Inzwischen reicht es, sich am Bahnhof auf den Fußboden zu setzen, um die Aufmerksamkeit automatischer Überwachungssysteme und schließlich der Sicherheitsorgane auf „Verdächtige“ zu lenken. Diese deutsche Gesellschaft verlangt Uniformität. Wer sich an dieses ungeschriebene deutsche Gesetz nicht hält, zieht Unmut auf sich. Den gesellschaftlichen Druck kann man ignorieren, oder sich dem erwehren. Nicht mehr ignorieren kann man es aber, wenn autoritäre Züge, wie nun vermehrt, in Gesetz gegossen, Menschen polizeilich beobachtet und verfolgt werden. Jede*n kann es treffen, niemand ist davor geschützt, wie auch der Versuch der bayrischen Landesregierung zeigte, Psychiatriepatienten zukünftig wie forensische Straftäter zu behandeln. Menschen, die an Depressionen erkrankt sind, immerhin 5 Millionen Betroffene in Deutschland, sollten nach dem geplanten „Psychisch-Kranken-Hilfe-Gesetz“ in eine polizeiliche Datei aufgenommen, zwangsweise in einer Klinik untergebracht, durchsucht und überwacht werden können. Nach heftigen Protesten scheint dieses Gesetz nun zunächst vom Tisch zu sein.

Februar 2018: Die Polizei verbietet einer Demonstration in Wuppertal, die Farben rot, gelb und grün zu tragen, da es sich hierbei u.a. um die Farben der kurdischen Unabhängigkeitsbewegung handelt. Einige Wochen später untersagt sie den traditionellen autonomen 1. Mai-Demonstrationszug in Wuppertal, weil niemand juristisch für diese Versammlung den Kopf hinhalten möchte und die Versammlung offiziell anmeldet. Zu unberechenbar ist die Staatsgewalt, die an diesem Tag beispielsweise in Berlin androht bei „erwarteten Gewaltausbrüchen“ wie „Fahnen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu zeigen“ gegen „Straftaten sehr konsequent vorzugehen“, „man werde verbotene Fahnen nicht allzu lange tolerieren“. Während in Berlin ohne Anmeldung demonstriert werden durfte, wurden in Wuppertal 25 demonstrierende, vorwiegend aus dem anarchistischen Spektrum, festgenommen, weil sie „die Polizeiabsperrung durchbrochen“ haben sollen. Gegen die Genoss*innen ermittelt nun die Staatsanwaltschaft wegen „tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ aufgrund eines, laut Polizei „leicht verletzten Polizeibeamten“, wofür seit 2017 zwischen 3 Monaten und 5 Jahren Haft drohen.

Wie wenig Widerspruch der Staat noch duldet, zeigt sich auch an ersten Fällen, wo, mangels Straftaten, die man Oppositionellen andichten könnte, Gebührenbescheide für Polizeieinsätze gegen Demonstrierende verhängt werden. Irgendwie muss man die Leute offenbar von der Straße bekommen und zum schweigen bringen. Ein Bedrohungsszenario gegen Oppositionelle wird aufgebaut.

Der Staat beansprucht nun die volle Deutungshoheit und demonstriert zunehmend, dass Widerspruch und Protest nicht länger geduldet werden. Dabei handelt es sich um bürgerliche Regierungen, die für diese Politik verantwortlich zeichnen, was gruselt, wenn man bedenkt, dass mit der rechtsextremen AfD das schlimmste noch bevorstehen könnte. Es ist an uns, dies nicht stillschweigend hinzunehmen und unsere restlichen demokratischen Rechte nicht kampflos aufzugeben, wo es doch täglich mehr Gründe für energischen Protest gibt.

 

 

Beitragsbild: „G20 in Hamburg“ von Konrad Lembcke, 2017. CC BY-ND 2.0

Claudius Berg

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Claudius Berg

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