In unserem dreiteiligen Artikel ging Steff Brenner in Teil I der Frage nach, inwieweit sich syndikalistische Gewerkschaften auf die neue Situation eingestellt haben. In diesem Teil werden die Ereignisse und Aktionen der IKA-Gewerkschaften [1]Internationale Konföderation der Arbeiter*innen https://www.icl-cit.org/, Gewerkschaftsinternationale in der auch die FAU organisiert ist und ihrer Freund*innen in Griechenland, Polen, Argentinien, Kanada, den USA, Italien, Spanien, Sri Lanka, Myan Mar und Syrien skizziert.
Seit spätestens Mitte März hält die Corona-Pandemie Deutschland und viele andere Länder der Welt in Atem. Zeit für uns, eine Zwischenbilanz zu ziehen, um uns einen Überblick zu verschaffen.
Mit der Corona-Krise ist die Welt schlagartig in eine neue Phase intensiver Klassenauseinandersetzungen eingetreten. Eindrucksvoll belegt wird dies durch eine Karte meist wilder Streiks in Zusammenhang mit Corona. Die IKA, als recht junge und sehr radikale Gewerkschaftsinternationale, muss sich dabei nicht verstecken. Gleichzeitig sehen wir, dass unser organisatorisches Netz noch viele Lücken aufweist, gewaltige Streiks oft entfernt von unseren Strukturen und ohne gewerkschaftliche Rückendeckung auskommen müssen. All diesen entschlossenen Kolleg*innen seien an dieser Stelle solidarische Grüße gesendet.
Eure Kämpfe zeigen, dass wir noch schneller werden müssen, um eure Kämpfe zu unterstützen und dass auf alle syndikalistischen Gewerkschafter*innen weltweit in den nächsten Monaten eine Menge Arbeit wartet. In den folgenden Kapiteln sollen Aktionen der IKA-Föderationen und ihrer Freund*innen in den letzten Wochen dargestellt werden.
Griechenland hat in den letzten Jahren, ähnlich wie Italien, beispiellose Privatisierungen und Kürzungen im öffentlichen Sektor ertragen müssen. Die Situation der armen Bevölkerung wird noch verschärft durch das Festsetzen tausender geflüchteter Kolleg*innen durch den EU-Türkei-Deal. Das Land ist stark polarisiert; einer starken, aber zersplitterten anarchistischen Bewegung, stehen eine starke stalinistische und eine starke rechte Bewegung gegenüber. Angriffe auf Geflüchteten-Helfer*innen wie auf Lesbos und politische Morde sind leider keine Seltenheit.
Die griechische IKA-Schwesternföderation ESE bemühte sich in den letzten Wochen, v.a. die Kämpfe von Krankenhaus-Mitarbeiter*innen zu unterstützen und eine Brücke zwischen den Kämpfen im Gesundheitssektor und den Kämpfen um eine dezentrale Unterbringung von geflüchteten Menschen zu schlagen. [2] Griechisches Statement Im Regionalbezirk Ioannina entschied sich die Gewerkschaftsföderation dabei noch Mitte März für Straßenpoteste und gegen die Lagerunterbringung. In der Begründung weißt die ESE darauf hin, wie gefährlich es ist, sich jetzt den politischen Ausdruck verbieten zu lassen, angesichts des bevorstehenden Massensterbens im von Sparauflagen demontierten Gesundheitssystem und dem Inkaufnehmen von tausenden Toten in den Lagern. Auch im Bezirk Rethymno, auf Kreta, griff die ESE unter den gegebenen Sicherheitsmaßnahmen zu Straßenprotest, das Motto hier: „Alle Leben sind gleich wert, egal ob wir obdachlos, inhaftiert, missbraucht, geflüchtet, arbeitslos oder prekär beschäftigte Arbeiter*innen sind.“ Daneben richtete die ESE zwei landesweite Kommissionen ein, die aktuelle Änderungen des Arbeitsrechts und internationale Klassenkämpfe im Auge behalten und die Föderation darüber auf dem Laufenden halten.
Vio.Me, eine selbstverwaltete Fabrik, die u.a. Seife (!) herstellt, wurde in Griechenland mit Hilfe der Polizei der Strom abgestellt. Syndikate aus Deutschland haben Beschwerdekampagnen bei Konsulaten und Botschaften angeschoben. Die Arbeiter*innen setzen ihre Arbeit aktuell notdürftig mit Notstrom-Aggregaten fort.
In Polen wurde sehr schnell eine zentrale Seite der Schwesternorganisation OZZ IP zur rechtlichen Situation der Arbeiter*innen in der Corona-Krise erstellt und in russisch und ukrainisch übersetzt. [3]Daneben erstellte sie auch zeitnah ein Informations-Video Mittlerweile hat die Gewerkschaft sechs rechtliche Leitfäden zu Einzelfragen veröffentlicht. Daneben begleitete die Gewerkschaft die Situation v.a. in den Werken von VW und Amazon (hier ist sie die größte Gewerkschaft). Die IP versucht, als erste in der Gewerkschafts-Internationalen einen umfassenden Überblick über die Situation bei ihren Schwesterngewerkschaften zu entwickeln und schickte allen Internationalen Sekretariaten einen detaillierten Fragenkatalog.
In einem Statement kritisiert die OZZ IP ausführlich den Umgang der polnischen Regierung mit der Corona-Krise. Hilfen für Selbstständige und Gelegenheitsarbeit bezeichnet sie als völlig unzureichend (in Polen gibt es nur ein zeitlich befristetes, sehr geringes Arbeitslosengeld). Die Gewerkschaft beklagt weiterhin, dass der mangelnde Zugang zu Krankenversicherungen und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mindestens 2,5 Millionen Arbeiter*innen dazu zwingt, auch krank auf Arbeit zu erscheinen. Daneben beklagt sie einen Abbau von Arbeiter*innenrechten, eine Umverteilung von Steuergeldern an die Unternehmen, das Ausbleiben von Maßnahmen zur Unterstützung der Erwerbslosen, Rentner*innen, Mieter*innen.
Als Alternative zum sogenannten „Krisen-Schutzschild“ wurde unter anderem Folgendes gefordert:
Das volle Statement gibt es auch auf Englisch.
Bei Volkswagen und Danfoss bemühte sich die IP darum, die Werke bei 100% Lohnausgleich zu schließen um die Kolleg*innen zu schützen. Im Volkswagen-Werk in Poznan mit rund 11.000 Mitarbeiter*innen konnte diese Forderungen zeitnah umgesetzt werden. Beim Wärme- und Kältetechnik-Hersteller Danfoss wurde, auf Druck zwar, die Arbeitsorganisation geringfügig geändert, ein wirklicher Erfolg steht allerdings noch aus.
Kleinere Erfolge gab es in den Logistik-Unternehmen Amazon und Avon. Auch hier übte die IP Druck aus, v.a. durch geheime Videos aus dem Werksalltag, oder grafischen Darstellungen, wie eng die Kolleg*innen dort miteinander arbeiten müssen. Begleitet wurden die Enthüllungen, die den öffentlichen Statements der Unternehmen teils fundamental widersprachen, von groß angelegten Social-Media Kampagnen. Die Unternehmen reagierten nun v.a. mit Bonuszahlungen an die Beschäftigten. Die IP kämpft allerdings weiterhin für die Schließung der Werke.
In den Hochschulen setzte sich die IP v.a. für die Sicherheit der Service-Beschäftigten ein, u.a. konnten hier verschiedentlich eine Reduzierung von Öffnungszeiten und Personal durchgesetzt werden.
In Argentinien sind Kündigungen, Mieterhöhungen und Zwangsräumungen auf einige Monate ausgesetzt worden. Auf Druck verschiedener Gewerkschaften wurden auch hochklassige Hotels zu Quarantäne-Stationen umfunktioniert. Die Kehrseite ist eine große Zahl an Festnahmen, Polizei- und v.a. Militär-Übergriffen in Zusammenhang mit den verhängten Ausgangsbeschränkungen.
Die IKA-Gewerkschaft FORA bot ebenfalls recht schnell eine Arbeitsrechteseite an, ansonsten begleitete sie v.a. Busfahrer*innen bei ihren Kämpfen um hygienischere Arbeitsbedingungen und machte Öffentlichkeitsarbeit zu Polizeiübergriffen, in Zusammenhang mit der Umsetzung des Quarantäne-Zustands.
In einem Schreiben weisen FORA-Gewerkschafter*innen aus dem Gesundheitssektor zunächst darauf hin, dass es aktuell auch eine Epidemie des Dengue-Fiebers und der Masern in Argentinien gibt und das Gesundheitssystem dadurch doppelt belastet ist. Aus diesem Grund bitte sie zunächst alle, die Notaufnahmen nur im wirklichen Notfall zu benutzen und betreiben nochmals hygienische Aufklärung. Sie fordern schließlich eine weitreichende Unterstützung der Arbeiter*innen, Vorgehen gegen alle illegalen Beschäftigungsverhältnisse zu Gunsten der Arbeiter*innen (ca. die Hälfte der Bevölkerung arbeitet informell), Unterstützung des medizinischen Personals und eine Umverteilung von Unternehmenssubventionen an die lohnabhängige Klasse.
Die IWW Montreal spricht aktuell von einem Aufstieg der Gewerkschaftsbewegung in Kanada und den USA. „Nach der Krise werden sie versuchen, uns dafür zahlen zu lassen – bereiten wir uns jetzt darauf vor!“
Eine der Bewegungen mit der größten sozialen Sprengkraft ist, wie auch in Spanien, aktuell die Mietstreik-Bewegung. In einem ausführlichen Interview werden Details zu der Mietstreik-Organisation in Montreal (an der sich auch die IWW kritisch beteiligt) genannt. Ende März wollten von 3500 Mitgliedern 20% in jedem Fall streiken, weitere 55% hatten noch offene Fragen, wollten aber ebenfalls mitmachen. Tim, ein langjähriger Aktivist der Mietstreikbewegung in den USA, kritisiert dabei, dass viele Linke aktuell in Kampagnen-Mentalität zum Mietstreik aufrufen, ohne sich tatsächlich mit den notwendigen Grundlagen zu befassen, oder sich selbst in Mieter*innengewerkschaften zu organisieren. Gleichzeitig hält er den Mietstreik für ein Faktum, weil Tausende schlicht und ergreifend nicht die finanziellen Mittel haben, ihre Miete zu bezahlen. „Die Tatsache, dass es in vielen Städten Moratorien für Zwangsräumungen gibt, zeigt uns, dass wir das politische Momentum haben, große Zugeständnisse von der herrschenden Klasse zu verlangen.“
Zwei IWW-Aktivist*innen zeichnen ein gemischtes Bild von der Haltung der IWW zur Mietstreik-Bewegung. Einerseits durchaus nötig, andererseits ein hohes Risiko bei allen Beteiligten und immer noch lediglich marginaler Organisations-Grad und Unterstützungsstrukturen.
Aus diesem Grund fordert die IWW Montreal zunächst eine Aussetzung der Miet- und Hypotheken-Zahlungen, stellt die Teilnahme am Streik frei und fordert alle von Repression Betroffenen auf, sich bei der Gewerkschaft zu melden. [4] https://sitt.iww.org/2020/03/30/covid-19-liww-montreal-demande-la-suspension-des-paiements-de-loyers-et-dhypotheques/
In Toronto haben derweil Hunderte die Miete einbehalten. [5] https://springmag.ca/scarborough-rent-strike Grundlage waren dabei offenbar die schlichte Alternativlosigkeit und langfristig organisierte Communities.
In Hamilton organisiert die IWW Nachbarschaftsinitiativen und Lebensmittelverteilung. Sie spricht sich für einen Mietstreik aus, fordert die Schließung von Geflüchtetenlagern, die Öffnung der Knäste und unterstützt die aus den USA kommende Forderung nach einem Generalstreik am 1. Mai.
Die IWW in Hamilton und Toronto unterstützten mit dem Sex-Workers-Action Programm Sex-Arbeiter*innen, die mit erheblichen Ausfällen zu kämpfen haben. Die IWW Toronto unterstützte erfolgreich Mitarbeiter von Dominos Pizza, die sich weigerten, unter den aktuell getroffenen Schutzmaßnahmen zu arbeiten.
In den USA kam es bis jetzt schon zu einer ganzen Reihe wilder Streiks gegen unverantwortliche Arbeitsbedingungen (siehe Streik-Karte, weitere gute Infos auch auf Labournet). Auch hier sind Mietstreiks in der Diskussion. Kommentator*innen rechnen in den nächsten Monaten mit einem Anstieg der Erwerbslosigkeit auf bis zu 25% und einem gleichzeitigen Zulauf zu radikaleren Gewerkschaften. Auch die IKA-Gewerkschaft IWW unterstreicht, dass sie sich auf ein schnelles Mitgliederwachstum und harte Auseinandersetzungen gefasst macht. Logische Reaktion der Kapitalseite: Am 1. April wurde das Gewerkschaftsrecht verschärft. [6]https://ucommblog.com/section/union/trump-permits-decertification-45-days?fbclid=IwAR3VC8ibS9KF21WOrQv0sdiqNKRLJw8k4reaWxmVqtQjubKkruR7SH6KPkY
Die IWW-Gewerkschaften haben allen Mitgliedern schnell eine Übersicht über ihre Rechte und diverse Handlungsempfehlungen für Arbeiter*innen in verschiedenen Sektoren zu Verfügung gestellt, auch verschiedene Webinare wurden bereits angeboten. Das IWW-Umweltkomitee der USA schlug Ende März die Bildung von eigenen Hilfsfonds für Mitglieder vor, die durch die aktuelle Krise vor Probleme gestellt sind. Es erarbeitet aktuell eine Umfrage, um die Auswirkungen auf die Mitgliederbasis besser abschätzen zu können. Das Komitee sprach sich auch für eine Unterstützung der Mietstreikbewegung aus.
In Portland haben nach angekündigten Massenentlassungen Beschäftigte einer Doughnut-Kette eine eigene IWW-Betriebsgewerkschaft [7]https://www.portlandmercury.com/blogtown/2020/03/20/28172797/voodoo-doughnuts-employees-unionize-amid-covid-19-layoffs gegründet, um sich zu wehren. Erste Kundgebungen fanden trotz Ausgangsbeschränkungen statt. Ebenfalls in Portland konnten studentische Hilfskräfte mit Hilfe der IWW Abfindungen, für die durch Campus-Schließungen entfallenen Schichten, erstreiten. In Chicago reichte es, dass sich IWW-Mitglieder in einem Lebensmittelgeschäft [8]https://organizing.work/2020/04/grocery-workers-win-hazard-pay/ organisierten, um eine Gefahrenzulage von 2$ pro Stunde zu erreichen.
IWW-Mitglieder der CapTel Workers Union in Wisconsin konnten in einem Callcenter Bonuszahlungen durch massenhaften Sick-Out [9]Englischer Begriff für massenhaftes Krankmachen als Arbeitskampfform. erreichen. Die Arbeiter*innen sind in der aktuellen Pandemie als unverzichtbar eingestuft, erhalten jedoch nur einen Bruchteil des Lohnes im Vergleich zu anderen Beschäftigten dieser Stufe.
Das IWW Komitee für inhaftierte Arbeiter*innen Oakland IWOC berichtet aktuell intensiv über die Lage in verschiedenen Gefängnissen und führte u.a. Telekommunikationsblockaden [10]Heißt: Flutung aller Telekommunikationskanäle mit Beschwerden bis reguläre Kontakte nicht mehr bearbeitet werden können. gegen einzelne Gefängnisleitungen durch, in denen Bewacher*innen positiv auf Covid-19 getestet wurden. Die Forderung: #LetThemGo
Die IWW Oklahoma ruft dazu auf, jeden Morgen ein paar örtliche Restaurants anzurufen und bei den Chef*innen zu fragen, ob dem Personal Krankentage bezahlt werden, weil ein Besuch von diesem Fall abhängig wäre. In verschiedensten Städten führte die IWW daneben Spendensammlungen für Arbeiter*innen durch, oder startete Petitionen für Gefahrenzulagen für die Beschäftigten beliebter gastronomischer Betriebe oder anderer notwendiger Dienste.
Die IWW Mid-Valley rief am 3. April mit befreundeten Organisationen zu einer Auto-Demo unter dem Titel „Horrible Bosses, Terrible Landlords Beware!“ („Vorsicht, Schreckliche Bosse, fürchterliche Vermieter*innen!“) auf und ließ sich auf diese Weise die Straße nicht nehmen.
Die IWW-Ortsgruppen Fairbanks, Phoenix, Connecticut, Burlington, Providence, North Texas informieren aktuell über die Möglichkeiten eines Mietstreiks, oder rufen direkt dazu auf.
In der linken schwarzen Community wird über Generalstreik am 1. Mai unter den Bedingungen eines Shutdown diskutiert [11]https://www.blackagendareport.com/call-general-strike-beginning-may-1st – die IWW verfolgt diese Entwicklungen.
In Detroit und Chicago geben „Woobly Kitchens“ Essen an verarmte Kolleg*innen im Park aus. Die IWW Southern Maine unterstützt Obdachlose gegen Polizeiübergriffe. Aktiv in die verschiedenen Nachbarschaftsnetzwerken bringen sich u.a. die IWWs in Albuquerque und dem gebeutelten New York ein.
In Italien rief die Schwesterngewerkschaft USI zu mehreren Streiks gegen Unternehmen auf, die ihre Arbeiter*innen weiterhin auf Arbeit schickten, obwohl deren Arbeit für die Gesellschaft aktuell entbehrlich wäre. So kam es u.a. zu einem Streikaufruf beim Autobauer Ferrari [12]https://www.icl-cit.org/italy-strike-in-ferrari/ – zwei Tage nach dem Streikaufruf entschloss sich das Unternehmen zur Schließung der Werke.
Ansonsten kämpft die USI aktuell v.a. mit diversen Krankenhausbelegschaften um bessere Versorgung mit Desinfektionsmittel und Schutzkleidung und thematisiert die Gründe für die Verfasstheit des Gesundheitssystems, d.h. die Gesundheit der Bevölkerung unter kapitalistischen Verhältnissen im allgemeinen und unter denen der Austeritätspolitik im Besonderen. [13]Austerität bedeutet „Disziplin“, „Entbehrung“ oder „Sparsamkeit“. Als Austeritätspolitik werden die harten Spar- und Privatisierungsmaßnahmen benannt, die u.a. den südeuropäischen Ländern Griechenland, Spanien, Italien während der letzten Wirtschaftskrise von ihren Kreditgeber*innen aufgezwungen wurden. Die USI Parma verurteilte die Pflicht, für Beschäftigte im Gesundheitssektor weiter zu arbeiten.
Die USI Regigio Emilia beteiligt sich an Lebensmittelverteilaktionen durch die selbstverwaltete Nachbarschaft.
Am Rande sei noch auf Zahlungsverweigerungen in Supermärkten in Bari, Napoli und Palermo hingewiesen. Diese hätten, Berichten von Labournet zu Folge, die Einführung eines Grundeinkommens für die arme Bevölkerung Süditaliens erheblich beschleunigt. „Proletarisch einkaufen“ lohnt also doppelt.
Spanien verfügt über eine sehr breite syndikalistische Landschaft, deren zahlreiche Aktivitäten hier nur in Schlaglichtern beleuchtet werden können. Kaum eingegangen wird hier deshalb auf die Aktivitäten befreundeter Gewerkschaften wie der SAT Andalucía und der Solidaridad Obrera.
Die IKA-Schwesterngewerkschaft CNT behält in ihren Stellungnahmen nicht nur die Arbeitsrechte, sondern auch immer die Wahrung der Grund- und Versammlungsrechte im Auge und thematisiert diese in sehr regelmäßigen Kommuniqués. In Spanien kam es zu mehr als 2.800 Verhaftungen und 330.000 Sanktionen wegen Verletzungen des Ausnahmezustandes. Neben einem zentralen Dokument mit 15 Forderungen veröffentlichen v.a. die Regionalföderationen der CNT eine Vielzahl weiterer Lageeinschätzungen.
Dazu gehörte auch die Erstellung einer ganze Reihe von Leitfäden für verschiedene Branchen. Daneben reichten die Syndikate der CNT eine ganze Reihe von Beschwerden wegen fehlender Schutzmaßnahmen bei Gesundheitsämtern und Gewerbeaufsichten ein, die beklagten Betriebe waren in sehr vielen Fällen Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, siehe z.B. mehrere Beschwerden der CNT Commercal Sur Madrid.
Aufrufe an die Beschäftigten lauten dabei immer wieder: Wer noch arbeitet, soll Desinfektionsmittel und Seife fordern, wessen Branche nicht unmittelbar überlebenswichtig ist, soll darum kämpfen, zu Hause zu bleiben. Die Sektion für darstellende Künste der CNT Madrid forderte die auf März rückwirkende Einführung eines Grundeinkommens. [14]https://madrid.cnt.es/2020/04/06/yo-me-quedo-sin-trabajo-yo-me-quedo-sin-paro/ Genoss*innen der CNT Valladolid, die in einer Einrichtung für geistig behinderte Menschen arbeiten, klagten das völlige Fehlen von Schutzmaßnahmen für die 140 Bewohner*innen und das Personal an. Sie veröffentlichten Fotos von sich in aus Müllsäcken improvisierter Schutzkleidung. Beim Unternehmen Rivamadrid konnte die dortige CNT-Betriebsgruppe mit anderen Betriebsgruppen die Umsetzung eines Maßnahmenkatalogs zum Schutz der Beschäftigten erzwingen.
Besonders hart trifft es die scheinselbstständig Beschäftigten in einer Fleischfabrik, die vor Corona teilweise in Lagern lebten und mit der CNT Valencia mittlerweile seit 40 Tagen im Streik sind. [15]https://valencia.cnt.es/2020/04/la-huelga-indefinida-de-cnt-alcanza-los-40-dias-en-productos-florida/ Das CNT-Regional-Komitee Levante hat jedoch bereits angekündigt, auch die Zeit des Ausnahmezustandes durchzuhalten und danach mit einer Welle neuer Aktionen wieder Fahrt aufzunehmen. Hier wird in den nächsten Wochen Unterstützung für die Streikkassen nötig sein.
Die Sozialsektionen verschiedener CNT-Syndikate u.a. in Vallès Oriental, Terassa, L‘Hospitalet, Sabadell richteten sich gegen die mangelnden Maßnahmen in den spanischen „Wohnbildungs-Aktionszentren“ (Centros residenciales de acción educativa (CRAE)) für Jugendliche. Die dort arbeitenden Sozialpädagog*innen der CNT erarbeiteten in wenigen Tagen einen Handlungsleitfaden, eine intensive Medienkampagne gegen das zuständige Ministerium inklusive Fotoprotesten und dem Hashtag #EmergenciaCRAE.
An einigen Orten nutzten die Chef*innen die aktuelle Krise auch schon, um Gewerkschaftsmitglieder los zu werden: Bei der Construcciones Maygar S.L in Pedrera Andalusien wurde bspw. im November gestreikt, nun wurde die gesamte ehemalige CNT-Streikleitung unter Verweis auf die wirtschaftlichen Probleme durch die Corona-Krise gekündigt. Wie in Pedrera muss sich die CNT aktuell vielerorts gegen solche antigewerkschaftlichen Angriffe zur Wehr setzen.
Wie auch in den USA und Kanada, gibt es noch keine einheitliche Linie in der Einschätzung bzgl. der Durchführbarkeit von Mietstreiks. Die CNT Gewerkschaften Lanzarote, Comarcal Sur Madrid, Cordoba und Gijón unterstützen ihn jedoch bereits. Außerhalb der IKA mobilisieren u.a. die abgespaltene Gewerkschaft CNT-AIT Granada für den Mietstreik, ebenso die Gewerkschaft SAT Andalucía, für die es in Deutschland schon mehrfach Solidaritätsaktionen gab.
Auf der Website des Mietstreik-Kartells werden dabei historische Anwendungen dieses Instrumentes in der spanischen Geschichte aufgezählt: Asturien (1921), Barcelona (1931) oder Santa Cruz de Tenerife (1933). Mieter*innen werden aufgefordert, ein Formular auszufüllen, um sich dem Streik anzuschließen, alle Mieter*innen erhalten dann eine individuelle Betreuung und sollen ihren Streik öffentlich ankündigen. Auf diese Weise kann das Gewerkschaftsbündnis heraus finden, ob und wann eine kritische Masse für den Streik erreicht ist. Getragen wird das Bündnis dabei v.a. von über 20 radikalen Mieter*innenbünden und – gewerkschaften.
Das Streikbündnis wird dabei laut eigener Aussage von über 200 Organisationen unterstützt. Es fordert u.a. die Aussetzung von Miet- und Hypothekenzahlungen, die Aussetzungen für Strom, Wasser und Gas, Wohnungen für die 35000 Obdachlosen Spaniens, dauerhaftes Recht auf Zahlungsaussetzung für Prekäre, dauerhafter Stopp von Zwangsräumungen, Sanktionsfreiheit für den Mietstreik, dauerhafte Kopplung der Mietpreise an die Einkommen, und die Enteignung diverser Immobilienspekulant*innen.
Die Streikbewegung scheint sich dabei zu nutzte zu machen, dass die Zurückhaltung der Miete, ähnlich wie in Deutschland, aktuell legal, Zwangsräumungen verboten sind. Wie in Deutschland gibt es kein Recht auf, aber auch kein Verbot von, Mietstreik. Es wird also offensichtlich versucht, sich „ranzutasten“ und Masse aufzubauen, die Vermieter*innen gleichzeitig durch legalen, massenhaften Entzug der Miete schon jetzt in eine schwächere Position zu bringen.
Mit anderen Mitteln kämpfen aktuell viele Kulturbeschäftigte: Die Sección Sector Musical CNT Madrid hat mit anderen Musiker*innengewerkschaften anlässlich der Corona-Krise ein Gewerkschaftskartell gebildet, gemeinsam haben sie für den 10. und 11. April einen Kulturstreik im Internet angekündigt:
„Wir schlagen vor, den gesamten Sektor so zu mobilisieren, dass alle kulturellen Online-Kanäle vorübergehend geschlossen werden, dass keine kulturellen Inhalte im Streaming, über Netzwerke oder Websites ausgestrahlt werden, dass die Kultur in einen totalen digitalen Blackout gerät.“
Vielerorts beteiligen sich syndikalistische Gewerkschaften daneben am Nähen von Masken, Nachbarschaftsnetzwerken, Lebensmittelspenden.
Das CNT-nahe Institut für Wirtschaftswissenschaften der Selbstverwaltung veröffentlichte eine Reihe von Analysen zur Situation. Die Biblioteca Libertaria Bilbao der CNT hat eine große Anzahl von Filmen, Hörbüchern, Podcasts und Ebooks zusammen gestellt, um die Zeit der Ausgangsbeschränkungen sinnvoll nutzen zu können.
Festgesetzt und Pleite: Die befreundete feministische Textilarbeiter*nnenorganisation Dabindu Collective wandte sich Ende März an die IKA. In Katunayake mussten zunächst 20.000 Textilarbeiter*innen (sie produzieren u.a. für Zara, H&M) bis zum 19. März weiter arbeiten. Ab dem 20. März herrschte für sie Ausgangssperre, so dass sie fern ihrer Dörfer und Städte teilweise mit hundert Kolleg*innen ausharren mussten. Mittlerweile konnten sie Katunayake verlassen, viele stehen jedoch vor dem wirtschaftlichen Ruin und brauchen weiter weltweite Solidarität. Informationen und Kontakt entnehmt ihr der Website der IKA.
Auf der Straße – aus Verzweiflung: Im Irak kommt es, trotz Ausgangssperre, immer wieder zu Demonstrationen von verzweifelten entlassenen Arbeiter*innen, die teilweise mit Gewalt niedergeschlagen werden. Auch hier wird internationale Berichterstattung und Solidarität notwendig bleiben.
Streik gegen Union Busting: In Myan Mar streiken aktuell über 500 Beschäftigte. [16]https://www.icl-cit.org/actions-in-support-of-fgwm-myanmar-solidarity-cant-be-quarantined/in der Myan Mode Factory, die wegen ihrer gewerkschaftlichen Aktivität im Zuge der Corona-Krise entlassen werden sollen. Ihre Gewerkschaft, die Federation of Garment Workers Union-Myanmar (FGWM), steht in engen Kontakt mit der IKA, die bereits Solidaritätsaktionen in verschiedenen Ländern organisierte. Diese Fabrik beliefert u.a. die Marken Zara, Mango und C&A. Auch hier wird es in den nächsten Wochen wichtig sein, Druck auf die Profiteure dieser Ausbeutungspraktiken zu machen.
Zwischen Krieg, Corona und Embargo: In der Demokratischen Föderation Nord- und Ostsyrien bleibt die Lage prekär: Die basisdemokratisch verwaltete Region, die auch als Rojava bekannt ist (und von der IKA unterstützt wird), ist immer noch mit einem internationalen Embargo und einem andauernden, wenn auch verlangsamten Angriffskrieg der Türkei gegen ihr Territorium konfrontiert. Weiterhin kommt es zu großflächigen Bombardements gegen die Zivilbevölkerung durch die Türkei und regelmäßigen Bombenattentaten durch den sogenannten Islamischen Staat (Daesh). Daneben befinden sich tausende Kriegsgefangene des Daesh und mehr als hunderttausende Geflüchtete aus ganz Syrien in verschieden Lagern innerhalb der kleinen Region. Vor diesem Hintergrund ist das Gesundheitssystem auf freiwillige Helfer*innen und Spenden angewiesen. Interessierte wenden sich bitte an den Kurdischen Roten Halbmond.
1. Allgemeine Einführung der Fernarbeit/ Homeoffice in allen Betrieben, in denen dies technisch möglich ist.
2. Sofortige Einstellung der ganzen Produktion mit Ausnahme der zwingend relevanten Tätigkeiten für jene Bereiche, in denen kein Homeoffice möglich ist.
3. Außerordentliche Bildungs-Maßnahmen von Seiten der Betriebe bei Lohnfortzahlung.
4. Außerordentliche Maßnahmen bei der Arbeit für Vereinbarkeit von Arbeit und Familie, neue Arbeitszeitmodelle, Schichtarbeit, Arbeitsbörse etc..
5. Intensivierung der privaten Produktionssysteme für Sanitärmaterial: MNS-Masken der Schneiderei, 3d-Drucker für Schutzbrillen. Zudem Umstellung der lokalen Unternehmen für die Produktion für eben dieses notwendige Material.
6. Eine Personalaufstockung im sozialen Bereich.
7. Erhöhung der Schutzmaßnahmen der Arbeitenden in zwingend relevanten Bereichen: neue Schutz-Vorkehrungen, dessen Einhaltung von staatlichen Seite kontrolliert werden soll.
8. Entwicklung neuer Regelungen zur Vereinbarkeit von Arbeit und Familie: insb. Lohnfortzahlung, wenn die Arbeit wegen Kinderbetreuung ausgesetzt werden muss.
9. Nichtigkeit aller Kündigungen während des Ausnahmezustands (mit Ausnahme derer, die auf höhere Gewalt zurückgehen und durch die Arbeitsagentur bestätigt wurden): Regelung gelten 180 Tage nach dem Ausnahmezustand fort.
10. Innerhalb des gesellschaftlich relevanten Tätigkeiten werden alle Arbeitenden mit Risikofaktoren temporär arbeitsunfähig erklärt, unter vollständiger Lohnfortzahlung.
11. Die selben Maßnahmen auch für häusliche Angestellte, Selbstständige.
12. Außerordentliche Steuererhebung auf großes Kapital/ Eigentum, um die Kosten dieser speziellen Situation zu tragen.
13. Außerkraftsetzung der Zahlungspflicht für Mieten, Hypoteken für Erstwohnungen und der Grundversorgung (Strom, Gas, Wasser und Telekommunikation): Aufschiebung der Zahlungspflicht.
14. Verstärkung von öffentlichen/ staatlichen Mittel im Gesundheits- und Sozialwesen: Eingreifen in privates Gesundheitswesen ohne wirtschaftliche Wiedergutmachung; Übergabe der Altenheime in öffentl. Verw.
15. Soziale Maßnahmen und Menschenrechte: Freilassung der Gefangenen über 65 und jener, die schwere Krankheiten haben und keine Schwerverbrechen begangen haben, wie Vergewaltigungen oder sexistische Morde. Schließung aller Zentren für Abschiebehaft und Stop der Abschiebungen.
In einem letzten Artikel wird über die möglichen Entwicklungen, Handlungs- und Bündnismöglichkeiten für die sozialen Bewegungen Deutschlands in den nächsten Wochen spekuliert.
Beitragsbild: Alexey Hulsov CC0 1.0 2020
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