Rezension von McAleveys „Macht. Gemeinsame Sache“
Das neuste Buch der amerikanischen Organizerin Jane McAlevey erinnert an ein Liebesgedicht für Gewerkschaften. Und wenn ich diese Rezension mit persönlichen Eindrücken beginnen würde, müsste ich meinen Notizen nach zu urteilen an diese Stelle auch eins setzen. Doch ich beginne lieber mit einer eindrücklicheren Schilderung der aktuellen Arbeits- und Lebensbedingungen in den USA: „Immer mehr Beschäftigte müssen in ihren Autos leben. Ja, es ist zum viel zu wenig skandalisierten Normfall geworden, dass immer mehr Arbeiter:innen in den USA in ihren Autos leben. So viel zum Amerikanischen Traum.“ [1]McAlevey, Macht. Gemeinsame Sache, S. 189.
Die Statistiken darüber, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft – in den letzten beiden Jahren durch die Corona-Situation so sehr und kaum noch fassbar verstärkt – dürften als Zahlen bekannt sein und können in McAleveys Essay nachgelesen werden. Doch die große Stärke des Werks liegt in seinem Fassbar-machen der statistischen Umstände und Ursachen. So geht leider auch das Zitat über die in Autos schlafenden Arbeiter:innen noch weiter: „Das ist schon schlimm genug, aber es kommt noch schlimmer. Dieselbe Deregulierung der Banken und Finanzinstitute, die dazu führte, dass Familien ihre Häuser verloren, führt nun dazu, dass diese Menschen auch noch ihre Autos verlieren“ [2]Ebd., S. 190. – was eine existenziellen Not herbeiführt, wenn das Auto notwendiges Fortbewegungsmittel ist, um zur Arbeit zu kommen und im schlimmsten Fall in ihm zu übernachten.
Die Gründe für diese prekären Umstände sind in Macht. Gemeinsame Sache klar ausformuliert. McAlevey umreißt im zweiten Teil des Essaybands übersichtlich die historische Entwicklung von Gewerkschaftsbewegungen in den USA seit den 1930er Jahren mit ihren Höhen (wie dem Wagner Act von 1935 unter Roosevelt) und Tiefen seit den 1950er Jahren mit der Gründung von Union-Busting-Firmen. Scharfsinnig begreift sie in der Gegenwart die Globalisierung mit neuen Möglichkeiten der Standortverlagerungen als neue Möglichkeit des Union Bustings:
„Solch ausbeuterische Arbeitsbedingungen sind nicht einfach verschwunden. Sie wurden nur verlagert – und zwar in Länder, in denen solche Sweatshops aufgrund von Vereinbarungen zwischen US-amerikanischen Milliardären und repressiven Regimes geradezu aufblühen. Vorteile aus den niedrigen Arbeitskosten und nicht vorhandenen Umweltstandards in China, Myanmar, Bangladesch und den damals gnadenlos repressiven Regimes in El Salvador und Honduras zog allein der Hightech-Sektor, nicht die Menschen dort. Daher flüchten aus vielen dieser Länder Menschen wegen der von US-Firmen mitbeförderten Ungleichheit und Gewalt – unter anderem in die USA. Das ist Globalisierung.“ [3]Ebd., S. 112
Von vormals Umweltaktivistin zur Organizerin wurde McAlevey in den 90er Jahren während des Höhepunkts des Finanzbooms. Mit Entsetzen betrachtete sie, wie Bill Clinton und Tony Blair Gewerkschaften demontierten und Freihandelsabkommen abschlossen. Damit legt sie den Finger auf die Wunde und entlarvt das Gebaren vieler – wie sie sie nennt – Mainstream-Demokrat:innen mit dem Sich-schmücken von wenigen, aus Publicity-Zwecken hochbeförderten Frauen und Persons of Color, während der größte Teil der (weiblichen, farbigen) Bevölkerung unter den neuen Gesetzen litt. Immer wieder wird in ihrem Band dabei das Silicon Valley erwähnt, das Arbeiter:innen durch vermutlich nicht Gewerkschaft-gründende Roboter ersetzen möchte; versucht Charter Schools zu errichten und Politiker:innen und Wahlkämpfe finanziert.
Doch nicht immer wurden die Wahlkampagnen der Politiker:innen in den USA durch den Lobbyismus finanziert. 1936 sammelten die Arbeiter:innen, vor allem der profitstarken Stahl- und Autoindustrie Rekordsummen an Wahlkampfspenden, die zusammen mit einer großen Mobilisierung von Helfer:innen die Wiederwahl von Roosevelt zum Gouverneur ermöglichten. Dadurch entstand in den 1940er und 1950er Jahren ein regelrechter Boom an Gewerkschaftsgründungen. An dieser Stelle der Berichterstattung des Essays ist eine Statistik eingefügt, die mich noch mehr als schon davor hat umdenken lassen: Der Graph der Anzahl der Gewerkschaftsmitglieder und der Graph, der das Einkommen der oberen zehn Prozent zeigt, sind so gut wie identisch gespiegelt.
Auch zum Thema Umweltpolitik hat der Essay eine hohe Relevanz. McAlevey sieht in der Rettung des Klimas ebenfalls die Gewerkschaften als zentrales Kampfmittel und ist damit in einer Tradition der Kritik an der Konsumkritik zu lesen. Sie umreißt bisherige aktivistische Vorgehensweisen, die es nicht schafften, die Massen zu mobilisieren. Wobei jedoch auch und vor allem der Lobbyismus eine entscheidende Rolle spielt, der es schafft, Arbeiter:innen und Umweltaktivist:innen durch den Irrglauben zu entzweien, dass sich Umweltschutz und mehr Arbeitsplätze widersprechen würden. Dem kann jedoch nach McAlevey folgendermaßen entgegengewirkt werden:
„die Umweltaktivist:innen [müssen sich] bewegen: nicht nur von grünen Arbeitsplätzen sprechen, sondern auch Seite an Seite mit den Beschäftigten kämpfen und deren Streikrecht schützen. Um an die gigantischen Vermögen heranzukommen, ist vor allem eine Erhöhung der Steuern für Vermögende erforderlich. Nur mit entsprechenden Organizing-Methoden und dem Aufbau echter Beschäftigtenmacht wird es gelingen, die Vermögen zu besteuern und sie in eine sichere und nachhaltige Wirtschaft zu lenken, die den Menschen und unserem Planeten zugutekommt.“ [4]Ebd., S. 94.
Ich habe nicht mitgezählt, wie oft ich auf Demos irgendwas mit Solidarität gerufen habe. Doch was bedeutet dieses Wort ausgelebt im Arbeitskampf? Gerade die persönliche Schilderung von erfolgreichen Streiks sind es, die die mitreißende Kraft des Buches ausmachen und ein Gefühl dafür auslösen, was Zusammenhalt erreichen kann. McAlevey durchzieht den Band mit mehreren Beispielen von Arbeitskämpfen, an denen sie als Organizerin in den letzten Jahren mitgewirkt hat. Sie beschreibt das Funkeln in den Augen, wenn ihr Menschen von ihren Streikerfahrungen berichten; das Feuer der Belegschaft, das auch nach 18-stündigen Tarifverhandlungen nicht klein zu bekommen ist; wie eine zweifache Mutter nach dem Streikschichtwechsel ihren Posten nicht verlassen möchte und schließlich ihre gesamte Familie und ihre Söhne dazu bewegt zum Streik zu kommen mit Schildern, auf denen steht: „Jamie ist unsere Mutter – und sie hat mehr verdient“.
[5]Ebd., S. 44.
In diesen Schilderungen baut der Essay eine Spannung auf, die berührend wirkt und motivierend, für die eigenen Rechte einzustehen. Ich selbst habe mehrere prekäre Arbeitsverhältnisse durchprobiert und protestlos wieder gekündigt. Doch als ich mich am letzten Arbeitstag meiner letzten Anstellung dazu entschlossen habe, wild zu streiken, an die gesamte Belegschaft und das Management meine Streikforderungen zu senden und mich mit anderen FAU-Kolleg:innen und einem Streikschild vor das Bürogebäude meiner Firma zu setzen, hatte ich Macht. Gemeinsame Sache in meinem Rucksack mit dabei.
Denn nach der Lektüre – in den Zeiten der sich ausbreitenden Gig-Economy und der Prekarisierung, in Zeiten der Gorillas-Aufstände und dem striketober in den USA – ist klar, dass wir endlich für unsere Recht kämpfen müssen. Denn kein:e Arbeiter:in sollte im Auto schlafen müssen.
Im August 2021 brachte die Rosa-Luxemburg-Stiftung zusammen mit der IG Metall Jugend und dem VSA Verlag die deutsche Übersetzung von McAleveys A Collective Bargain. Unions, Organazing, and the Fight for Demoracy heraus. Den Essay findet ihr kostenfrei als Download hier oder zum Kauf als Papierversion hier. |
Beitragsbild: © Direkte Aktion (CC0), Buchcover und Statistik: Rechte beim VSA Verlag
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