Bericht aus der alltäglichen Chronik der Human Resources
Wieder mal klingelt das Telefon. Heute ausnahmsweise als richtiger Anruf – ein wenig persönlicher Kontakt zwischen meinem Arbeitgeber und mir – dem Leiharbeiter. Die letzten beiden Nachrichten wurden bereits von mir ignoriert und meine Kolleg*innen machen wohl das Gleiche. Ich hebe also ab, sonst hört es nie auf. Heute Nacht, 2 Uhr, irgendein für mich unbekannter Veranstaltungsort, in einem komplett anderen Stadtteil. Was zu tun ist, frage ich noch nicht einmal. Oft will ich gar nicht wissen, dass ich 6-10 Stunden Sachen schleppen werde, oder nur eine halbe Stunde Kabel rollen darf. Ganz abgesehen davon, dass Informationen meines Arbeitgebers, beispielsweise über die Arbeitszeit, aus einer anderen Realität zu kommen scheinen. Wahrscheinlich war damals, als er noch Arbeiter war, alles anders.
Das Geld ist sowieso wieder knapp und die Muskeln schmerzen nicht mehr so stark. Ich sage also zu. Ein paar Stunden später kommt dann die Nachricht. Natürlich hat sich, ohne erneuten Anruf, die zugesagte Anfangszeit verändert: 2.30 Uhr, Adresse des Veranstaltungsortes, Name und Telefonnummer des dort zuständigen richtigen Arbeiters, einer komplett anderen, mir unbekannten Firma, ist Inhalt dieser immer wiederkehrenden Erinnerungsnachrichten. Ich komme also zur neuen Zeit an, nachdem ich eine halbe Stunde den Ort mit meinem halb zerbrochenen Smartphone suchen musste. Manchmal hat man Glück und die Adresse der Nachricht stimmt, oftmals muss man zum versteckten Hintereingang und niemand weiß etwas über dich. Zu spät da sein, darf man natürlich nicht. Die Veranstaltungsbranche lebt von punktgenauer Zeitplanung.
Mindestens 3 Stunden Arbeit müssen mir gezahlt werden, so sagt es das Gesetz zur Leiharbeit. Das ist gut und ich bekomme sogar immer 4 bezahlt. Wenn man darauf hofft, an einem Tag mindestens 8 Stunden zu arbeiten, hört man jedoch auf, für die Arbeitstage etwas anderes zu planen.
Der halbe freie Tag ist also oft mehr verloren als gewonnen. Planungssicherheit ist wohl das größte Problem als Leiharbeiter in dieser Branche. Ich kann nicht davon ausgehen, dass ich mein Soll für diesen Monat mit einer spezifischen Anzahl an Jobs erledigen kann. Ich bekomme auch gar nicht so viele Jobangebote am Anfang des Monats. Immer nur für maximal 1-2 Wochen in der Zukunft. Dieses Privileg haben nur die alteingesessenen Leiharbeiter*innen.
Die Arbeit beginnt also. Wie so oft ohne ordentliche Einführung in die Aufgaben. Ich bin ein unqualifizierter Arbeiter und habe die meisten Dinge noch nie gemacht. Deswegen bekomme ich auch nur den Mindestlohn. Die Kunden meines Bosses erwarten jedoch mehr. Diese Diskrepanz ist entscheidend für das Funktionieren der Leiharbeit. Der Plan meines Arbeitgebers ist es, bei großer Auswahl an potentiell Arbeitenden die paar qualifizierten oder autodidaktisch begabten Arbeiter*innen, welche dann trotzdem noch für einen Mindestlohn arbeiten, zu identifizieren und möglichst lange in der Firma zu halten. Der Rest wird entlassen oder bekommt nur noch unbeliebte Jobangebote, welche neben körperlicher Kraft keine Fähigkeiten benötigen. Ich bin also schon in der besseren Position, insbesondere, weil ich Deutsch spreche.
Während der Arbeit ist die Stimmung für mich und meine Kolleg*innen sehr schlecht. Dies hat seinen Ursprung in einem weiteren entscheidenden Effekt der Leiharbeit. Ich werde nach Stunden bezahlt, die angestellt Arbeitenden pauschal für das geforderte Arbeitsvolumen. Wenn wir also ein paar Stunden weniger brauchen, können sie früher nach Hause. Ich hab weniger Geld. Und diese Art von Arbeitszeitspannung zwischen richtig angestellten Arbeitenden und Leiharbeiter*innen überträgt den Druck auf die Kolleg*innen. Der Boss ist also fein raus, muss nicht selbst Druck ausüben und alle arbeiten trotzdem so schnell es geht. Darüber hinaus muss er nur für seine Arbeitenden und nicht für mich und meine Leiharbeits–Kollegen*innen für gute Arbeitsbedingungen sorgen. Wir haben nie eine Kaffeemaschine oder ein Schließfach. Wir sind immer abhängig vom gutem Willen der richtigen Arbeiter*innen.
Dieses gegeneinander ausspielen der unterschiedlichen Arbeitsformen ist eine widerwärtige, moderne Errungenschaft des Abbaus der Arbeitsrechte. Die Leiharbeit, wie auch die Zeitarbeit, sind Formen der Arbeit, welche bereits vor mehr als hundert Jahren bekämpft und damals besiegt wurden. Diese Jobs sind keine guten Jobs und werden es auch in Zukunft nicht sein. Wir als Arbeiter*innen müssen dies erkennen und dürfen uns nicht spalten lassen.
Titelbild: „Workers“ von Jaimebisbal, 2009, CC BY-NC-ND 2.0.
Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.
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Kommentare
Soeben erreicht mich die E-Mail eines Erwerbslosen, der sich um eine Tätigkeit als Gabelstaplerfahrer im 3 Schichtbetrieb bei einem Zeitarbeitsunternehmen bewarb. Daraufhin ereignete sich folgendes Telefongespräch:
Personaldisponent : „Guten Tag Herr Meier. Sie hatten sich bei uns als Gabelstaplerfahrer beworben.“
Bewerber : „Ja das ist richtig.“
Personaldisponent : „Wir würden Sie sehr gerne zum Vorstellungsgespräch einladen.“
Bewerber : „Sehr gern. Könnten Sie mir die Einladung bitte schriftlich per Post zukommen lassen?“
Personaldisponent : „Warum das denn?“
Bewerber : „Ich benötige die Einladung zur Vorlage für das Jobcenter, um die Fahrtkosten als Vorschuss zu erhalten.“
Personaldisponent : „Sie verfügen über keinen PKW?“
Bewerber : „Nein leider nicht“
Personaldisponent : „Wieso haben Sie sich dann bei uns beworben?“
Bewerber : „Weil ich gerne Gabelstaplerfahrer werden möchte.“
Personaldisponent : „Einen Gabelstaplerschein haben Sie auch nicht?“
Bewerber : „Nein. Kann ich bei Ihnen einen Gabelstaplerschein und einen Firmenwagen bekommen?“
Personaldisponent : „Also nun hören Sie mal zu. Wenn sie bei uns fünf Jahre lang jeden morgen schön pünktlich zur Arbeit gekommen sind und Gabelstapler gefahren sind, dann können wir vielleicht mal für Sie über einen Firmenwagen nachdenken.“
Bewerber : „Das hilft mir jetzt auch nicht weiter. Ich benötige jetzt einen Firmenwagen und nicht in fünf Jahren. Wie soll ich denn frühmorgens um 04:00 Uhr von der Arbeit nach Hause kommen?
Personaldisponent : „Schluß jetzt damit! Bei uns bekommen Sie weder Firmenwagen noch Gabelstaplerführerschein“
Bewerber : „Können Sie mir das bitte schriftlich bestätigen?“
Personaldisponent : „Wieso das denn jetzt? Ist doch total sinnlos.“
Bewerber : „Die Bescheinigung ist auch eher für das Jobcenter gedacht.“
Personaldisponent : „Lecken Sie mich am A…“, und legte auf.
Erwerbsloser schockt Personaldienstleistung durch Anfrage nach Firmenwagen für 3 Schichtbetrieb
https://aufgewachter.wordpress.com/2014/02/04/erwerbsloser-schockt-personaldienstleistung-durch-anfrage-nach-firmenwagen-fur-3-schichtbetrieb/