Künstliche Intelligenzen, die Streiks vorhersagen (sollen); digitale Überwachung und Plattformarbeit: Wie kann heutzutage gegen diese Machtinstrumente vorgegangen werden und welches können die neuen(?) Strategien zu einer gewerkschaftliche Organisierung sein?
Netzwerkstreiks, digitale Kommunikation und Singularisierung
Mit diesen Fragen beschäftigt sich der Transkript-Sammelband „Digitalisierung von Gegenmacht. Gewerkschaftliche Konfliktfähigkeit und Arbeitskampf heute“, in dem sieben wissenschaftliche Analysen zu dem Thema veröffentlicht sind. Herausgeber des Bandes sind der IG-Metaller Falko Blumenthal und Martin Oppelt, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für politische Theorie an der Universität Augsburg. Der Großteil der elf Autor:innen des Sammelbandes weisen einen akademischen Hintergrund auf und legen in ihren Texten einen Schwerpunkt auf theoretische Begriffsbestimmungen und Einordnungen in aktuelle Forschungsstände. Es werden rechtliche Fragen darüber diskutiert, ob Netzwerkstreiks unter das Recht um Versammlungsfreiheit fallen, Chancen und Risiken der digitalen Kommunikation beleuchtet und öffentlichkeitswirksame Arbeitskämpfe im Spannungsfeld einer singularisierten Gesellschaft untersucht.
Kritischer Exit-Punkt bei Start-up-Unternehmen
Eine große Stärke des Werkes ist der konkrete Bezug zu aktuellen Arbeitskämpfen wie den Aufständen des Gorillas Workers Collective oder die Kampagne im Jahr 2021 von der Basisgewerktschaft IWGB (Independent Workers‘ Union of Great Britain) gegen Deliveroo. Aufschlussreich und lesenswert für alle gewerkschaftlich interessierten Menschen analysieren Franziska Cooiman und Valentin Niebler die Strukturen von Start-up-Unternehmen, die sich vor allem durch Risikokapital finanzieren, das Potential von Hyperwachstum aufweisen und das Ziel eines erfolgreichen Exists verfolgen (meist durch einen lukrativen Börsengang oder durch die Übernahme eines größeren Unternehmens). Ein Geschäftsmodell, wie es nur zu häufig in der Plattformarbeit und Lieferdienstbranche zu finden ist und sich deswegen die Notwendigkeit auftut, die Unternehmensstrukturen zu begreifen und kritische Punkte in der Unternehmensgeschichte festzustellen. So konnte durch die öffentlichkeitswirksame IWGB-Kampagne 2021 genau zum Börsengang von Deliveroo der Wert der Aktie beträchtlich gesenkt werden.[1]Wer an dem Thema der Start-up-Unternehmensstrukturen in der Lieferbranche interessiert ist, sei auch auf die Veröffentlichung „Riders unite!“ von Robin de Greef vom Buchmacherei Verlag hingewiesen.
Besonders empfehlenswert ist weiterhin der Artikel von Tim Laumann (ver.di-Mitglied und Briefzusteller bei der Deutschen Post), der sich mit Möglichkeiten der Streikvorhersage durch das Datensammeln und Künstliche Intelligenzen (Predictive Risk Intelligence) beschäftigt. In seinem 22-seitigen Beitrag schildert er weiterhin die Mechanismen der Arbeitsverdichtung bei der Deutschen Post, die Durchsetzungsstrategien durch digitale Überwachung sowie einem Stabliniensystem und führt aus, wie gegen neue Methoden auch alte Arbeitskampfmittel wie der Dienst nach Vorschrift wirken können.
„Digitalisierung von Gegenmacht“ ist der fünfte Band der Reihe „Politik der digitalen Gesellschaft“ vom Transcript Verlag. Durch die Finanzierung durch den Informationsdienst Politikwissenschaft (POLLUX) und zahlreicher Universitätsbibliotheken steht der Sammelband hier in digitaler Version kostenfrei zur Verfügung oder/und kann für 35 Euro in gedruckter Form erworben werden.
Martin Oppelt und Falko Blumenthal (Hrsg.): Digitalisierung von Gegenmacht. Gewerkschaftliche Konfliktfähigkeit und Arbeitskampf heute. Bielefeld: Transcript. 2023.
Bildnachweis: Copyright des Buchcovers beim Transcript Verlag, Bildzusammenstellung durch die DA
Ein Kommentar zu «Digitalisierung und Macht»