Seit drei Jahren betreibe ich nun das Blogprojekt paradox-a.de. Ursprünglich habe ich den Blog gestartet, um einen Ort zu haben, um meine Texte zu veröffentlichen und bei meinen Vorträgen eine Kontaktmöglichkeit zu geben. Mittlerweile habe ich eine überschaubare Leser:innenschaft gewonnen und konnte damit die deutschsprachige Debatte über anarchistische Theorie etwas beeinflussen. Neben Buchbesprechen, Veranstaltungshinweisen und freien Überlegungen, schreibe ich gelegentlich auch Interventionen zum tagesaktuellen Geschehen. Von der Reichweite können Texte und ein Blog natürlich keineswegs mit twitter, facebook, instagram und dergleichen mithalten. Zugleich bringt es wenig für mein Anliegen, mich dort zu beteiligen. Wer sich mit Gesellschaftsanalyse und -kritik beschäftigen möchte, muss schon etwas Zeit aufwenden.
Meine Ansatz ist jener der anarchistischen Synthese und des Anarchismus ohne Adjektive. Damit versuche ich die verschiedenen anarchistischen Strömungen zu verbinden und in einen Dialog miteinander zu bringen. Gerade im deutschsprachigen Raum ist das anarchistische Denken leider noch gering verbreitet. Dies steht in einem merkwürdigen Gegensatz zur Bedeutung, welche anarchistische Praktiken und Organisationsformen in zeitgenössischen sozialen Bewegungen haben. Meine Herangehensweise besteht nicht darin, anderen Gruppen oder Menschen Wahrheiten zu predigen, sondern ihnen Reflexionsmöglichkeiten über ihre eigenen Positionen zu eröffnen, im Vertrauen darauf, dass einige erkennen, dass diese im Wesentlichen bereits anarchistisch sind.
Die theoretischen Debatten in der deutschsprachigen Linken sind dahingehend immer noch von Vorurteilen geprägt. Beanstandet wird, dass es keine ernstzunehmende anarchistische Theorie gäbe, während sowohl eine Beschäftigung mit jüngeren theoretischen Entwicklungen ausbleibt, anarchistische Konzepte stillschweigend, aber ungenannt übernommen werden und Falschdarstellungen über anarchistisches Denken kursieren. Ein Ansatzpunkt, um dem zu begegnen, ist, Menschen in anarchistischen Szenen Selbstbewusstsein zuzusprechen und sie zu theoretischer Beschäftigung zu motivieren. Diese soll aber kein Selbstzweck sein, um Recht zu haben, eine Identität zu entwickeln oder sich zugehörig zu fühlen. Vielmehr dienen die Werkzeuge der anarchistischen Theorie dazu, die bestehende Herrschaftsordnung zu analysieren, zu kritisieren und Möglichkeiten ihrer grundlegenden Transformation aufzuzeigen. Perspektivisch möchte ich engagierte und theoretisch interessierte Anarchist*innen versammeln, um ein Netzwerk für die Verbreitung, Vertiefung und Weiterentwicklung anarchistischer Theorie zu gründen – doch die Personen, welche dafür in Frage kommen, sind nach wie vor wenige und verstreut.
In diesem Sinne sollen meine Aktivitäten dazu beitragen, Bewusstsein zu bilden, zur Organisierung anzuregen und Menschen zu ermächtigen. Theoriearbeit ist ein schwieriges Feld. Leider dient sie häufig dazu, dass vereinzelte Träumer:innen sich die Welt erklären, sich in ideologischen Debatten durchsetzen oder kulturelles Kapital anhäufen können. Statt diesen dogmatischen Verständnissen gilt es ein pragmatisches Theorie-Verständnis zu pflegen und damit Theoriearbeit weder über- noch unterzubewerten. Anarchistische Theorie muss dabei nicht nur dem Inhalt nach, sondern auch der Form und Methode Unterschiede machen – und befindet sich zugleich in den Widersprüchen einer ausdifferenzerten, schnelllebigen, hierarchischen und Konkurrenz-basierten Gesellschaftsform.
Ein Thema, mit welchem ich mich vor allem auch in meiner bisher unveröffentlichten Promotionsarbeit beschäftigt habe, ist der Politikbegriff im Anarchismus, welchen ich als paradox charakterisiere. Meines Erachtens ermöglicht diese Perspektive, dem pluralen Anarchismus eine eigenständige theoretische Grundlage zu geben. Wer darüber nachsinnt, wird auf zahlreiche Paradoxien im Anarchismus stoßen: konkrete Utopie, Zwischenräume, direkte Aktion, libertärer Sozialismus, freiwillige Vereinbarung, soziale Freiheit, Selbstorganisation sind beispielsweise Konzepte, welche paradoxen Gehalt aufweisen. Auch in Debatten über Ziele und Mittel, Gewalt, Individualismus und Kollektivismus, Spiritualität und Technik lässt sich aufzeigen, dass Anarchismus selbst ein permanenter Vermittlungsprozess ist. Dogmatiker lösen diesen in Richtung einer Seite auf. Undogmatische Denker halten sie dagegen offen, beziehungsweise stellen solche Debatten erst her, um Wahrheiten in einem kollektiven Prozess zu finden. Ich denke, es lohnt sich, ein bisschen auf meinem Blog zu stöbern, um eine Vorstellung davon zu erhalten, wie ich das genauer meine …
Die Aufgabe anarchistischer Intellektueller ist es, Brücken zu bauen. Brücken zwischen den verschiedenen anarchistischen Strömungen und zwischen den verschiedenen Flügeln in sozialen Bewegungen. Zu bauen sind sie aber auch zwischen theoretischer Beschäftigung und praktischen Erfahrungen und zwischen Rationalität und Emotionalität, zwischen Vergangenem und Zukünftigen um ein sozial-revolutionäres Handeln im Hier und Jetzt zu inspirieren. Wer möchte, ist eingeladen einen Blick auf meinen Blog zu werfen und mich für einen Austausch über anarchistische Theorie zu kontaktieren.
Titelbild: paradox-a.de
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