Maja lebt in Dresden und ist seit fast drei Jahren beim Educat Kollektiv. Sie kommt aus dem Bereich Projektarbeit, hat lange für einen Verein feministische Bildungsarbeit organisiert und hat ihren gewerkschaftlichen Hintergrund in der FAU. Fine lebt in Berlin und ist seit vier Jahren beim Educat Kollektiv. Sie hat Internationale Beziehungen studiert und in einem Jugendverband gearbeitet. Sie wollte mehr selbstbestimmte und hierarchiearme Bildungsarbeit machen und ist so zum Kollektiv gestoßen. Das Gespräch mit den beiden führte Jay Parker für die Direkte Aktion.
DA: Was ist das Educat Kollektiv und wie lange gibt es dieses schon?
Fine: Educat ist ein Bildungskollektiv. Wir sind 6 Leute, die vor allem in Dresden und Berlin tätig sind. Wir haben uns 2019 in Dresden gegründet und machen politische Bildungsarbeit – dieses Jahr feiern wir schon 5 Jahre Kollektivbetrieb! Unsere Kernthemen sind Antidiskriminierungsarbeit, vor allem zu Sexismus. Dazu begleiten wir inzwischen auch längerfristig Gruppen und machen diskriminierungssensible Struktur- & Organisationsentwicklung. Ursprünglich hatten wir einen starken Fokus auf Gedenkwanderungen, die wir in der Sächsischen Schweiz machen, um daran zu erinnern, was in der Region des Elbsandsteingebirges im Nationalsozialismus passiert ist und um Widerstandsgeschichten aufzuzeigen. Im Moment machen wir viel projektbezogene Arbeit, aber daneben auch viele Workshops mit Jugendlichen, politischen Gruppen, Verbänden und Vereinen.
DA: Wie ist das organisiert, wie arbeitet ihr? Wie entsteht zum Beispiel ein Format wie ein Antidiskriminierungs-Workshop?
Maja: Da gibt es bei uns ganz viele Wege, wir haben alle unterschiedliche Arbeitsweisen. Manchmal wird ein Thema von außen gesetzt, d.h. wir werden angefragt, geben das in die Gruppe und fragen, wer darauf Lust hat und dann wird dazu etwas entwickelt. Ein anderer Weg ist zum Beispiel, dass wir im Rahmen unseres Bildungsprogramms Ideen entwickeln und fragen, wer Lust hat, daran mitzuwirken. Es passiert aber auch, dass eine Person merkt, dass sie auf ein Thema Lust hat und dann ein Projekt entwickelt – entweder mit anderen Leuten im Kollektiv oder auch mit externen Kooperationspartner:innen. Wir arbeiten auch mit anderen freien Bildungsreferent:innen zusammen. Dann beantragen wir das und schauen, wenn wir gefördert werden, in welchem Rahmen es umgesetzt wird. Es kann auch sein, dass das mit ganz vielen Kooperationspartner:innen zusammen passiert. Die Bandbreite ist riesig groß.
DA: Ihr habt jetzt schon euer Bildungsprogramm angesprochen, aber wie seid ihr strukturiert, wie organisiert ihr euch sonst?
Fine: Wir treffen uns zwei Mal die Woche und besprechen, was so ansteht. Alle zwei Monate nehmen wir uns zwei Tage Zeit, um uns abwechselnd in Dresden und Berlin zu treffen. Wir nehmen uns viel Zeit für unsere Kollektivprozesse und ich glaube, das ist auch gut und richtig und wichtig.
DA: Ihr beteiligt euch an mehreren Kollektivbetriebsvernetzungstreffen. Was nehmt ihr aus diesen Treffen mit? Was ist euer Verständnis von Kollektiv oder von Kollektivarbeit?
Fine: Wo es keinen Standard gibt, ist der Kollektivbegriff allgemein. Du kannst ein Theaterkollektiv sein und dich zwei Wochen in den Ferien treffen und trotzdem sagen, wir sind ein Theaterkollektiv. Oder du kannst den gleichen kapitalistischen Regeln folgen wie ein gewinnorientiertes Unternehmen auch, aber trotzdem sagen, wir sind ein Kollektiv, weil es cooler klingt.
Maja: Was ein Kollektiv für uns bedeutet und was wir aus den Vernetzungen mitnehmen können, fragen wir uns auch immer wieder. Und ich würde sagen, dass wir sie auch nicht immer gut beantworten können. Ich kann zum Beispiel für die Kollektive-Vernetzung in Dresden sagen, dass wir alle inhaltlich sehr unterschiedliche Sachen machen und damit einher gehen dann natürlich unterschiedliche Fragestellungen. Zum Beispiel, wie machen wir das mit der Rechtsform? Da sind die Synergieeffekte gar nicht so groß an dieser Stelle. Aber wir machen zum Beispiel schon seit 2021 ein bis zwei Mal im Jahr eine kollektive Stadtrundfahrt. Wir haben einen gemeinsamen Flyer über Kollektive in Dresden rausgegeben und wir können gemeinsam die Kollektive, die es in der Stadt gibt, gut sichtbar machen und klarmachen: Wir sind relativ viele sehr vielfältige Kollektive. Dadurch können wir die Idee vom kollektiven Arbeiten besser öffentlich vertreten. Und wir können uns auch mal gegenseitig aushelfen, wenn wir Unterstützung brauchen. Und dann gibt es noch die Bildungskollektive-Vernetzung. Das macht auf einer inhaltlichen und organisatorischen Ebene für uns viel Sinn, denn da vernetzen sich Kollektive oder Kollektivbetriebe, die mit demselben oder einem sehr ähnlichen Markt umgehen müssen, auf dem wir uns ja auch bewegen und uns behaupten müssen, zum Beispiel in Hinblick auf Rechtsformprobleme und -fragen, Zielgruppen, Inhalte, Methoden.
Fine: Und wenn es um die Bildungsarbeit geht: Die ist in der Regel sehr schlecht bezahlt und es ist total wichtig, dass Kollektive und Menschen, die in dem Bereich arbeiten, vernetzt bleiben, um gemeinsam Lohndumping zu umgehen. Denn wie in anderen Bereichen auch: Wenn sich jemand findet, der es für einen sehr niedrigen Stundenlohn macht, dann macht es das für andere Menschen schwieriger, die für faire Stundensätze kämpfen. Da gemeinsam heranzugehen, macht viel mehr Sinn und im Austausch zu sein und eine Perspektive darauf zu bekommen: Was verlangen die anderen? Wo sind die Honorarsätze der anderen? Das macht mega viel Sinn. Und für unsere alltägliche Arbeit muss man auch sagen, dass wir die ganze Zeit kollektive Infrastruktur nutzen. Sowohl was die Berliner Büroräume angeht, aber auch unsere IT-Struktur, genauso wie unsere Lohnbuchhaltungsstruktur. Das sind alles Strukturen, bei denen wir darauf zurückgreifen, dass andere Kollektive diese Arbeit machen. Das ist für uns jetzt so alltäglich geworden, aber ich merke das immer wieder auch in Vernetzungen, dass es für andere Kollektive oder andere Gruppen eine total wertvolle Ressource ist, darauf zurückgreifen zu können. Sowohl die BigBlueButton-Infrastruktur für unsere Online-Workshops, das Datenkollektiv, die unsere ganze IT stellen, das Zahlenkollektiv, die unsere ganze Lohnbuchhaltung machen. Ohne die könnten wir das alles auch nicht machen. Und ich glaube, es macht einen riesen Unterschied, ob wir das mit einem Kollektiv machen, oder mit irgendeinem gewinnorientierten Scheißkonzern.
DA: Ihr habt gerade die Honorarproblematik angesprochen. Gibt es Leitlinien? Wie ist der Stand im Bildungswesen?
Maja: Eindeutig gibt es darauf keine Antwort. Wir versuchen im Rahmen von Vernetzung oder anderen Kollektivbetrieben zu gucken: Was nehmt ihr für Stundensätze? Wir arbeiten auch mit einer Spanne. Das ist auch nochmal eine Besonderheit. Bei kleineren Gruppen, deren Arbeit wir wichtig finden, sind wir auch bereit, einen Solipreis anzubieten. Strukturen, die es sich leisten können, zahlen dann entsprechend mehr. Das heißt, wir sind nicht festgelegt. Ich merke aber auch, wenn wir von Vereinen angefragt werden, dass diese selbst wiederum Förderrichtlinien unterworfen sind. Die sind zum Teil wirklich unterirdisch und stecken in der Preispolitik meist noch in den 90er Jahren. Das ist was, worunter wir oft leiden, dass die Leute sagen, wir dürfen euch aber gar nicht mehr zahlen. Zum Teil steht da 25 Euro die Stunde, was natürlich absurd ist.
In dem Fall sagen wir den Leuten inzwischen, dass wir für diesen Preis nicht arbeiten, denn wir wollen uns selbst Arbeitsbedingungen schaffen, die es uns ermöglichen, unsere Miete zu bezahlen. Wir sagen dann immer, dass sie das weitergeben sollen. Meist liegt es ja gar nicht an den Leuten, die uns einladen, sondern an den Verwaltungsrichtlinien, die dahinter stehen. Und das heißt, das was wir an erster Stelle tun können, ist zu sagen: Tut uns leid, das können wir nicht machen, da wir als Kollektiv draufzahlen würden. Und zum anderen zu sagen: Wenn ihr Formulierungshilfen braucht, um das weiterzugeben, dann können wir euch zuarbeiten. Das setzt aber voraus, dass dann Leute da auch wirklich hinterher sind. Und gleichzeitig ist natürlich auch klar, dass das lange Prozesse sind. Das veränderst du nicht in ein, zwei Jahren. Bis sich da die Richtlinien anpassen, vergehen Jahre bis Jahrzehnte. Deswegen ist das auch relativ schwierig, einen Einheitspreis festzulegen, weil das von sehr vielen Zwängen abhängt, die man auf den ersten Blick gar nicht so auf dem Schirm hat.
DA: Wir sind alle immer wieder, gerade auch auf diesen Förderebenen, mit diesen Zwängen und Grundlagen konfrontiert. Daher die Frage, wie viel Zeit für diese Ebenen drauf geht?
Maja: Das ist schwer pauschal zu sagen. Das was wir ganz klar sagen können, ist: Nur von Honoraren können wir nicht überleben – finanziell. Das passt einfach nicht. Oder wir müssten rund um die Uhr Workshops geben, was auch unrealistisch ist. Deswegen sind wir auch auf Förderungen angewiesen.
DA: Und wie gestaltet ihr diese Rechtsform aus? Ihr seid ein gemeinnütziger Verein und ihr seid eure Angestellten in diesem Konstrukt?
Maja: Ja, wir sind ein gemeinnütziger Verein und stellen alle an, die das wollen. Es kommt da immer darauf an, wer im Kollektiv ist und wer was braucht. Und das, was wir auf einer formalrechtlichen Ebene machen, ist, den Anforderungen des Vereinsrechts zu entsprechen. Das heißt, wir müssen zum Beispiel auch Personen für den Vorstand benennen, die dann entsprechend in der Haftung sind. Diese formalen Kriterien müssen wir erfüllen, das heißt wir erfüllen sie formal. Wie wir inhaltlich unsere Arbeitsabläufe ausgestalten, steht dann noch einmal auf einem anderen Blatt. Also wie verhandeln wir, dass wir gemeinsam Verantwortung übernehmen und nicht nur die zwei Leute, die da in diesem Registerauszug stehen. Und es ist auch so, dass wir im Kollektiv gemeinsam die Entscheidungen treffen, die uns dann auch betreffen. Das sind Entscheidungen, die wir gemeinsam und konsensual treffen. Das ist auch immer in Bewegung, da wir immer wieder prüfen: Passt das noch zu unseren Lebensbedingungen und zu unseren Vorstellungen? Oder wenn neue Leute dazu kommen, dann müssen auch wieder Fragen aufgeworfen werden.
Fine: Aber es ist auch verrückt, dass es keine Rechtsform gibt, die das ermöglicht, was wir wollen, nämlich ohne Chef:in gemeinsam einen Betrieb zu führen. Das mit dem Betrieb führen ist uns gar nicht so wichtig, sondern einfach zu arbeiten und Bildungsarbeit zu machen. Das ist schon verrückt, dass es das nicht gibt. Und jedes Kollektiv je nach Branche findet da seine eigenen Wege. Allein die Frage: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, oder gleiche Löhne für alle aus dem Kollektiv oder Bedarfslohn? Das sind einfach Sachen, die sind in der Praxis rechtlich nicht vorgesehen.
DA: Ihr habt schon verschiedene Formate angesprochen. Was sind denn momentan eure Hauptprojekte? Ist das von Person zu Person unterschiedlich? Oder habt ihr auch als Gruppe gerade ein gemeinsames Projekt?
Fine: Das Kollektiv ist unser Gruppenprojekt! Dann sind wir noch Kooperationspartnerin bei einem anderem internationalen Projekt: Caring Arts. Das beschäftigt sich mit Care im weitesten Sinne anhand von künstlerischen Methoden, insbesondere im Theaterbereich. Das soll Feminist:innen, Crip-Aktivist:innen und Menschen, die sich mit Anti-Ableismus beschäftigen, verknüpfen. Im Deutschen würde man es mit Behindertenfeindlichkeit übersetzen. Aber Ableismus umfasst noch mehr als das. Dazu waren wir je eine Woche in München und in Wien. Das ist eine kleine Gruppe und da lernen wir auch viel voneinander im Sinne von anti-ableistischer Praxis, also sehr viel in Ruhe und alles zu seiner Zeit und Machbarkeit. Das ist auch sehr wertvoll.
Maja: Außerdem haben wir in dem Projekt „Kategorisch konsequent! Diskriminierende Strukturen erkennen, verstehen, verändern“ über anderthalb Jahre zivilgesellschaftliche Organisationen in Sachsen aus den Bereichen Demokratiearbeit und Soziokultur begleitet und mit ihnen diskriminierungssensible Organisationsentwicklung mit den Schwerpunkten Sexismus und Klassismus ausprobiert. Dabei ging es uns nicht nur darum, zu verstehen, wie sich diese Diskrimierungsverhältnisse praktisch auf das Miteinander und die Zusammenarbeit auswirken, wo sie herkommen und welchen Zweck sie erfüllen, sondern auch anzuerkennen, dass diskriminierende Gedanken und Verhaltensweisen zu uns allen gehören, weil wir uns nun mal in einer sexistischen und klassistischen Welt bewegen. Und dann gehen wir einen Schritt weiter und schauen, an welchen Schrauben wir in der Praxis drehen können, damit sich das verändert. Wir schauen uns die jeweiligen Strukturen also sehr genau an: Wie gehen Leute miteinander um, wie ist die Arbeit organisiert, wer sitzt wo, wer macht was und so weiter? Und dann gehen wir den Schritt in die Veränderung, dann üben wir das und wenn es nicht klappt, denken wir uns was Neues aus.
Zu dem Projekt haben wir kürzlich die Broschüre „Wie können wir es wagen? Über Versuche, Diskriminierung in Gruppen abzubauen“ veröffentlicht, auf die sich hoffentlich ganz viele Menschen beziehen können, wenn sie sich selbst in ihren Strukturen damit beschäftigen wollen. Wir teilen darin, was sich durch den Prozess wie verändert hat und wie es den Menschen damit ging und geht. Ihr könnt sie hier runterladen. Daneben gibt es noch die Wanderungen in der Sächsischen Schweiz und ein Projekt in Georgien, an dem wir beteiligt sind.
Fine: Im Herbst fand außerdem eine Bildungsreise nach Georgien zu transnationalem Gedenken statt, in deren Nachgang eine Ausstellung entstanden ist, die im Dezember und Januar im Museum des Kapitalismus in Berlin zu sehen war. Ich selbst mache auch gerade meine Zusatzausbildung zur zertifizierten Erlebnispädagogin. – Kleiner Werbeblock, falls ihr uns buchen wollt: Erlebnispädagogik! Für organisierte Gruppen eine coole Sache. – Selbst im Stadtkontext kann man verschiedene spannende Kooperations- und Kommunikationsübungen und Spiele gemeinsam machen.
Maja: Wir waren auch mit einer Wanderung und Workshops bei den Schwarz-roten Bergtagen vertreten. Außerdem hatten wir ein Wanderwochenende mit Friends und Supporter:innen unseres Kollektivs. Was jetzt zu meinem kleinen Werbeblock überleitet: Wir haben viel über schwierige finanzielle Verhältnisse geredet und ein Weg, wie wir versuchen, uns ein bisschen unabhängiger zu machen, ist, dass wir gerade einen Stamm von Fördermitgliedern aufbauen wollen, die uns regelmäßig mit ein bisschen Kohle unterstützen und ein Goodie davon ist, dass wir einmal im Jahr ein Wanderwochenende in der Sächsischen Schweiz machen.
DA: Das sind viele spannende Projekte und ich hoffe, es werden viele Leute auf diese aufmerksam. Vielen Dank an euch für das Gespräch.
Infos zur Fördermitgliedschaft gibt es hier.
Hier gibt es die nächsten Workshops auf einen Blick.
Beitragsbild: © Findus