Vom 18. bis zum 29. August fand in Erkelenz, einer kleinen Stadt im Kreis Heinsberg im Rheinland, das Klimacamp 2017 statt. Wie bereits in den Vorjahren, richtete sich das Protestcamp gegen die örtlichen Tagebauanlagen Inden, Hambach und Garzweiler.
Ich habe mich am 24. August in einen Bus der Grünen Jugend Niedersachsen gesetzt, um mich dem Camp und den Ende Gelände Aktionstagen anzuschließen.
Zu den Hintergründen:
Das Rheinische Braunkohlerevier ist mit über 900 km² das größte der drei Braunkohlereviere in Deutschland und das größte Tagebaurevier in Europa. Auch mit ihrer Gesamt-CO2 Emission stehen die drei Gruben Inden, Garzweiler und Hambach und die Kraftwerke Niederaussem, Neurath und Frimmersdorf unangefochten an der Spitze der europäischen Luftverschmutzenden.
Es werden über 1000 Menschen umgesiedelt, mehr als 50 Ortschaften „rückgebaut“ und 5.000 Hektar Wald abgeholzt. Der Tagebau wird hier bis mindestens 2045 andauern.
Mit Fahrrad, Rucksack, Zelt, Isomatte und allem drum und dran mache ich mich auf den Weg.
Ich sitze im Bus am Göttinger ZOB. Hinten Gepäck, vorne Mitreisende. Der nächste Halt ist Kassel. 4 Stunden soll die Fahrt zum Lahey Park bei Erkelenz dauern – wegen Stau im Ruhrgebiet, sagt unser Busfahrer. Unser Organisator schlägt uns kurz einen Plan für die Rückfahrt vor. Abstimmung, Hände schütteln – Rückfahrt geplant. Wir beschließen kollektiv, uns im Falle einer Kontrolle in angemessenem Maße kooperativ zu verhalten, um schnellstmöglich das Camp zu erreichen.
Um 19:30 Uhr ist Abendplenum. Knapp 500 Menschen finden sich im großen Zirkuszelt ein. Es wird Grundlegendes geklärt und die verschiedenen Ende Gelände Aktionsgruppen, sogenannte Finger, die jeweils eine Farbe haben, stellen sich vor. Wir entscheiden uns für den orangenen Finger, der niedrigschwellige Blockaden auf die Infrastruktur des Reviers durchführen will. Man soll sich auf Übernachtungen einstellen.
Wir sind für eine Übernachtung ausgerüstet, wissen dennoch aber nicht, was wir heute genau tun werden.
Der orangene Finger besteht aus circa 300 Menschen. Das Thema ist „Mobilität in einem post-fossilen Zeitalter“. Wir steigen alle in Busse und fahren, unterbrochen durch eine langwierige Polizeikontrolle zur Entfernung von „Passivbewaffnung“ (in unserem Fall waren das Strohsäcke), zu einer Wiese in Sinsteden. Keine 20 Minuten später sitzen wir, umringt von einer behelmten Hundertschaft aus Recklinghausen, auf den Schienen der Nord-Süd Kohlebahn. Von hier aus fahren alle 10-20 Minuten voll beladene Kohlezüge ins Kraftwerk Neurath, das schädlichste aller Kohlekraftwerke in Deutschland.
Es wird gesungen, gegessen, gelacht und immer wieder gerufen. Währenddessen erreicht uns die Nachricht, dass eine „Zucker im Tank“-Kleingruppe mit einer Kletteraktion die Hambachbahn blockiert. Die Freude ist riesig. RWE drosselt die Leistung des Kraftwerks Neurath später um über 40%. Die Drosselung hält 20 Stunden an.
Nach 3 Stunden beginnt schließlich die Räumung. Mit einer gewohnt unangebrachten Härte gehen die Polizeikräfte gegen uns vor. Menschen, die sich weigern von selbst aufzustehen, werden am Kopf von je zwei Beamt*innen hochgezogen und ins Gleisbett gestoßen, um dann den steilen Hang zum Feld raufgeschleift zu werden. Immer wieder bekommen wir abfällige Kommentare der Ordnungsmacht zu hören. „Wer sitzen kann, kann auch liegen“, „Ne Dusche würd‘ dir auch mal gut tun“ oder „Strafe muss wehtun“. Nach 2 Stunden ist die Räumung abgeschlossen und wir werden alle einzeln fotografiert, kontrolliert und in einen provisorischen Trichter aus Polizeiwannen gesperrt, da nahezu alle 300 Menschen ihre Personalien verweigern. Immer wieder werden Menschen aus dem Trichter geholt und in einen der zwei bereitstehenden Linienbusse geführt, die uns in die Gefangenensammelstelle fahren sollen. Es dauert knapp zwei Stunden, bis die Busse mit insgesamt 170 Menschen, darunter die Hälfte unserer Bezugsgruppe, vom RWE Gelände gefahren werden – wohin wissen wir nicht. Der Rest von uns, immerhin noch knapp 130 Menschen, verbleibt unter strenger Aufsicht im Trichter. Erneut vergehen zwei Stunden, dann sagt man uns, wir würden in 10er Gruppen unsere Taschen nehmen können und zur B59 geführt werden. Da würde man uns entlassen.
Wir treffen einen kleinen Teil des pinken Fingers in Sinsteden. Hier befindet sich eine angemeldete Mahnwache. Mahnwachen sind Pavillons mit Verpflegung für zurückkehrende Gruppen. Für diese Gruppen gilt auf dem Weg zu einer Mahnwache das Versammlungsrecht. Das heißt, dass die Polizei die Gruppen weder festhalten noch Personalien kontrollieren darf. Die Menschen des pinken Fingers waren direkt nach der Räumung unserer Blockade einen Kilometer weiter nördlich auf die Schienen gegangen. Man hatte sie ebenfalls in zwei Gruppen aufgeteilt und Teile der Blockierenden in die Gesa gefahren. Der pink-schwarze Queer-Finger war noch auf dem Weg zum Blockadeort von der Polizei gekesselt und aufgelöst worden. Dann beginnt der chaotische Rückweg ins Camp. Wir kommen um 2:30 Uhr an und beschließen schlafen zu gehen. Am Zelt hängt ein Brief von unserer Bezugsgruppe, in dem sie uns schreiben, dass es ihnen gut geht.
Beim Frühstück erzählen uns Neo, Hermine und Hans von ihren Erlebnissen nach der Trennung im Trichter. Die Busse wurden zur Gesa nach Aachen gefahren. Auf dem Hof angekommen, standen die Busse eine Zeit lang, bis die Polizei – einige Lieder und einen Poetry Slam später – den Insassen mitteilte, sie würden vom Hof gefahren und ebenfalls entlassen. Wir waren alle noch ein wenig erschöpft vom Vortag und beschlossen uns einem Ablenkungsmanöver des neuen weißen Fingers anzuschließen. Um halb vier ging es mit über 100 Menschen los in Richtung Grube. Der Plan war, so nah wie möglich an den Skywalk zu kommen und notfalls die Mahnwache in Hochneukirch anzusteuern. Mit dieser Strategie wollten wir die Polizei von den Aktionen des bunten Fingers, einem Zusammenschluss aller Finger mit 1000 Aktivist*innen, die sich in der Grube befanden, und der Aktion „Kohle erSETZEN“, die mit 300 Menschen die Zufahrtswege der Kraftwerke Neurath und Niederaußem blockierten, abziehen.
Pro Kilometer und Ortschaft, die wir hinter uns ließen, kam ein Einsatzfahrzeug dazu. In Immerath wurden wir schließlich von 14 Polizeifahrzeugen und der kompletten Bochumer Einsatzhundertschaft aufgehalten. Wir beschlossen die Polizei, welche uns ohne Nennung der Gründe nicht weiter lassen wollte, in der fast verlassenen Stadt zu halten. Das Ablenkungsmanöver wirkt.
Laser und ich stehen am Action Ticker. Um 5:45 Uhr war eine Kleingruppe in den Tagebau Hambach eingedrungen und hatte sich an das Förderband gekettet. Um 7.30 Uhr waren zwei Aktivist*innen dem Haftrichter vorgeführt worden. Es scheint, als sei Ende Gelände 2017 ein Wechselspiel aus Erfolgen und Niederlagen. Im Laufe des Morgens kommen immer wieder Shuttles mit Menschen aus der Gesa ins Camp. Um 14 Uhr sind alle Gefangenen frei. Dobby, Hans, Laser und ich – der Rest unserer Bezugsgruppe war am Morgen abgereist – kriegen spontan die Gelegenheit, in den Hambacher Forst mitzufahren. Wer würde da nein sagen? Den Namen unseres Fahrers haben wir bis zum Schluss nicht erfahren. Er war nett und konnte uns einiges über den Wald und die Besetzungen erzählen. Um 17 Uhr kommen wir am Wiesencamp an. Bis auf zwei Menschen mit Hund ist hier alles verlassen.
Wir gehen an den gebauten Hütten und Bauwagen vorbei in den Wald. Nach einem 5 minütigen Fußmarsch kommen wir zum sogenannten „Jesus Point“. Man hatte das Kruzifix entfernt und durch ein einfaches Holzkreuz ausgetauscht. „Der Ironie zuliebe“ erklärt uns unser Fahrer. Am Jesus Point steht ein Wegweiser. Das eine Schild trägt die Aufschrift „Mordor“ und zeigt in Richtung einer circa 500 Meter entfernten Lichtung – die Rodungskante. Das andere, ‚Auenland‘, zeigt in den Wald. „Da geht es zu den Dörfern“, klärt uns unser Guide auf. Wir erreichen „Oaktown“. Es herrscht ein buntes Treiben, dennoch begrüßt man uns mit offenen Armen. Hier wird gerade gebaut. Im Oktober beginnt die Rodungssaison und jede Hilfe wird benötigt. Wir werden gefragt, ob wir uns das neue Baumhaus angucken wollen. Der „Trump Tower“ hängt in knapp 15 Metern Höhe und umfasst 3 Etagen. Der Einfachheit halber ist an der Außenseite noch eine Holzleiter installiert, über welche man das Innere erreicht. Unten, so erklärt uns ein Besetzer, entsteht ein Vorratslager – „Spenden an Essen sind immer Willkommen“ – darüber gibt es bald eine Gemeinschaftsküche und oben einen Schlafraum mit Terrasse.
Oben angekommen treffen wir eine Aktivistin aus Bayern. Sie ist erst vor vier Tagen in den Forst gezogen. Sie erklärt uns, dass sie schon lange vor hatte diesen Schritt zu wagen, sich aber nie getraut hat. Sie hat Höhenangst so wie ich. Während wir auf der oberen Plattform sitzen, merke ich, dass ich mich bereits an die Höhe gewöhnt habe. Der Gedanke an die Traversen und den augenscheinlich ungesicherten Aufstieg bereiten mir allerdings immer noch Schwindelgefühle.
Wir verabschieden uns und kehren wieder ins Camp zurück. Es ist der letzte gemeinsame Abend für mich und meine Bezugsgruppe. Nur die Kleingruppenaktionen von „Zucker im Tank“ sollen noch für die nächsten Tage andauern.
Bei einem abschließenden Plenum werden die Ereignisse der letzten Tage noch einmal reflektiert. Wir haben zwar nicht, wie letztes Jahr in der Lausitz, über drei Tage die komplette Infrastruktur des Reviers lahmgelegt und somit für einen totalen Einbruch der Kraftwerkleistungen erwirkt, dennoch haben wir das Revier und RWE aufgemischt. Wir haben immer und immer wieder für den Stillstand der Bagger in allen drei Gruben gesorgt und bei den Kohlebahnen für eine beachtliche Menge an Ausfällen und Verspätung gesorgt. Wir haben viele Menschen an die Gesa verloren und jede*n einzelne*n von ihnen wieder im Camp begrüßen können. Wir sind RWE und der Polizei ordentlich auf der Nase herumgetanzt und wir hatten alle Spaß dabei. Und auch wenn das Auseinandergehen schwer fällt: Wir sehen uns alle im November wieder.
„Auf geht’s, ab geht’s – Ende Gelände!“
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