Zeitlupe

Ein Rebellenlied von Liebe und Hass

James Connolly und der Syndikalismus in Irland

In ganz Irland sind ungezählte Straßen nach ihm benannt, dazu die bekannte Bahnstation in Dublin, ein Denkmal gibt es ebenfalls in der irischen Hauptstadt, ein weiteres in Belfast, selbst jenseits des Atlantiks in New York und Chicago erinnert sein freundliches, pausbackiges Gesicht in Stein verewigt an den Mann, nach dem auch irische Freiwillige der Internationalen Brigaden im Spanischen Bürgerkrieg (1936–1939) ihre Kolonne benannten. Viele Lieder, darunter das Klagelied von Patrick Galvin, gesungen unter anderem von Christy Moore, oder Larry Kirwans Kampfansage mit seiner Punkband Black 47 bauen klangliche Brücken zu seinen Taten. Briefmarkensammler können ihn zudem auf mindestens vier verschiedenen Motiven der Republik Irland entdecken. Die Rede ist von James Connolly, 1868 im schottischen Edinburgh in eine Arbeiterfamilie hinein geboren. Der selbst legendäre irische Freiheitskämpfer Michael Collins sagte über ihn: „Ich würde ihm überall hin folgen, selbst in die Hölle.“ Nur in Deutschland kennt ihn leider kaum jemand, auch in der Linken nur wenige, dabei gehört er ebenso wie seine Mitstreiter*innen bei den Wobblies, und der Gewerkschaft Irish Transport and General Worker Union (ITGWU) der gleichen revolutionären Epoche an wie Luxemburg, Liebknecht, Landauer oder auch Lenin und Trotzki. Doch in der englischsprachigen Welt blieben die im Zyklus der gewaltigen Klassenkämpfe vor, während und nach dem ersten Weltkrieg kämpfenden Gewerkschafter James Connolly wie auch James Larkin bis heute Vorbilder für einige unabhängig denkende Sozialist*innen. [1]2016 erschien 100 Jahre nach dem Osteraufstand eine Publikation auf Deutsch: „Am Vorabend der Oktoberrevolution: James Connolly– sein Marxismus und der irische Osteraufstand 1916“ von Priscilla und Thomas Metscher Impuls Verlag.

Die deutsche Nationalbibliothek weist noch ein weiteres Werk über ihn aus: „Integrativer Sozialismus und nationale Befreiung“ von Helga Woggon –Vandenhoeck u. Ruprecht, 1990“ Mehr nicht, das war es! Dass es außerhalb Irlands so wenige marxistische Literatur über ihn gibt, ist bereits ein Hinweis: James Connolly passt zu keinem der beiden Jahrzehntelang dominierenden marxistischen Flügeln, Sozialdemokraten auf der einen oder Marxisten-Leninisten auf der anderen Seite. Dabei gaben diese Männer sowohl in Praxis als auch Theorie Gewerkschaften klar den Vorrang vor der ebenfalls betriebenen Parteiarbeit. Sie betrachteten ihre Unions als unmittelbares Mittel um den Sozialismus zu erkämpfen, und nach dem Ende der kapitalistischen Wirtschaft zu verwalten. Zudem sollten dafür alle Beschäftigten eines Wirtschaftszweiges unabhängig von ihrer Tätigkeit in einer einzigen Gewerkschaft, der One Big Union, organisiert sein. Diese Idee heißt Syndikalismus.

Ein Junge aus den Slums schlägt sich durch

Das Viertel in Edinburgh, in dem James Connolly als jüngster von drei Brüdern geboren wurde, Cowgate, war auch als „Litte Irland“ bekannt, da hier ganz überwiegend irische Einwanderer wie seine Eltern lebten. Slums waren damals – und sind es heute noch – gekennzeichnet durch eine katastrophale Überbelegung der Wohnungen, gewöhnlich in äußerst schlechten Zuständen. Seit der durch die Kartoffelfäule ausgelöste Hungersnot durch die etwa eine Millionen Menschen in Irland starben, obwohl sie seitens der englischen Obrigkeit hätten gerettet werden können, und dem besonders katastrophalen Schwarzen Jahr 1847, lebten Hunderttausende ausgewanderte Iren auch in Schottland und England. Sie bildeten also einen großen Teil jenes Proletariats auf den Britischen Inseln über das Zeitgenosse Karl Marx schrieb, es habe nichts zu verlieren als seine Ketten. Tatsächlich hatten diese Menschen zwangsläufig nur eine vorrangige Agenda, nämlich die, zu überleben.

Mit 9 verließ James die Schule, schlug sich als Bäckerjunge und Gelegenheitsarbeiter durch. Bereits mit 14 ging er, ein falsches Alter angebend, wie sein älterer Bruder John zur englischen Armee, seine Einheit wurde in Irland stationiert und gegen die Bewegung der mittellosen Landarbeiter eingesetzt, die sich ihr durch englische Großgrundbesitzer geraubtes Land wieder aneignen wollten. Durch seine Erlebnisse, wo er aus seiner Sicht auf der falschen Seite stand, begann der junge Mann die Armee, der er diente, zu hassen. Als seine Einheit nach Indien versetzt werden sollte, desertierte der mittlerweile 21-jährige. Zurückgekehrt nach Schottland heiratete er die damals noch protestantische Lillie Reynolds aus Wicklow, eine Hausangestellte. Sie sollten sieben Kinder bekommen, sechs Mädchen und einen Sohn. Die älteste Tochter starb auf äußert tragische Weise bei einem Unfall. Trotz harter Arbeit gelang es Connolly nicht, ein regelmäßiges und ausreichendes Einkommen für seine Familie zu erzielen.

Im Mai 1896 wurde er Organisator bei der Dubliner Sozialistischen Gesellschaft, was einen Umzug nach Dublin bedeutete, nach London eine der größten Metropolen auf den britischen Inseln. Aber auch dort waren die wirtschaftlichen Umstände schwierig, 1913 wanderte die Familie nach Amerika aus, wo Connolly schließlich Mitglied der Industrial Workers of the World wurde, einer syndikalistischen Einheitsgewerkschaft, die sich den oft bewaffneten Schlägern der Unternehmer entgegenstellte. Von Troy aus organisierte er im Raum New York Liedermacher und Musiker, aus jener Zeit stammen etliche eigene Liedtexte, so auch die Zeile aus dem Rebellsong der gewählten Überschrift.

Großes Interesse hatte er an der Vermittlung syndikalistischer Gedanken, so gründete er mehrere Zeitschriften wie Die Harfe der Irischen Sozialistischen Föderation in den USA oder später Workers Republic in Dublin. Er sagte dazu: „Wenn Klasseninteressen aus der öffentlichen Debatte verschwinden, ist das ein Sieg für die besitzende, konservative Klasse, deren einzige Hoffnung auf Sicherheit in jenem Verschwinden liegt.“ [2]Die Arbeiterklasse in der irischen Geschichte, 1910

Blutiger Sonntag in Irland

Weltweit kennen viele den bestürzenden Bloody Sunday 1972. Am 30. Januar dieses Jahres erschossen in der nordirischen Stadt Derry britische Elitesoldaten aus reiner Mordlust 13 Teilnehmer einer Bürgerrechtsdemonstration. Ein anderer, aber dennoch ähnlich gelagerter Blutiger Sonntag“ in Irland hingegen ist wenig bekannt. Am Mittag des 31. August 1913 will Gewerkschaftsführer James Larkin zu einer unüberschaubaren Menschenmenge sprechen, die sich trotz Verbots in der O Connell Street versammelt. Vielen tausend Arbeiter*innen sind dazu aus den Slums und vom Hafen in die Innenstadt geströmt. Am Freitag und Samstag war es bereits zu schweren Zusammenstößen zwischen Streikenden und der teilweise berittenen Polizei gekommen, nachdem versucht worden war, Straßenbahnen zu blockieren. Fast zweihundert Arbeiter lagen verletzt im Krankenhaus, viele waren verhaftet worden, wie es hieß unter ihnen auch James Connolly, der 1910 nach Irland zurückgekehrt sich rasch zu Larkins unermüdlichen Gefährten entwickelt hatte. Die Dubliner Polizei, die Königliche Hilfspolizei und auch die englische Armee bringen nun Sonntagvormittag starke Kräfte in die Innenstadt und versuchen James Larkin in der Menge auszumachen. Die außerordentliche Spannung, die auf beiden Seiten in der Luft liegt, ist mit Händen greifbar.

Exkurs: Die Gewerkschaft ITGWU

Der 1876 in Liverpool geborene, wenigstens 1,90 m große Ire James Larkin war eine Gestalt, wie ihn keine Schriftstellerin hätte besser erfinden können. Frauenrechtlerin Constance Markievicz beschrieb ihn 1913 so: „Er war eher eine urtümliche Kraft als ein Mensch, ein Tornado, eine sturmgepeitschte Welle.“ Larkin würde jeden Schmerz und jede Freude in der Masse aufnehmen und ihr klarer wieder zurückgeben. Zunächst arbeitete er für die Hafenarbeitergewerkschaft National Union of Dock Labourers (NUDL) in Liverpool nachdem er sich als Vorarbeiter einem Streik angeschlossen hatte, was nur sehr selten vorkam. Nach Belfast entsandt, gewann er 1907 nicht nur innerhalb von 3 Wochen 400 Hafenarbeiter (und 2700 innerhalb eines Jahres) für die Gewerkschaft, sondern es gelang ihm dort das bis dahin und auch danach Unmögliche, nämlich protestantische und katholische Arbeiter*innen in Streiks und Solidaritätsstreiks zu vereinen. Denn auch in den Betrieben, die von dem Arbeitskampf nicht betroffen waren, streikten Gewerkschaftsmitglieder aus Solidarität. Mit dem Erfolg von Belfast im Rücken verließ er allerdings in Dublin den von der NUDL vorgesehenen Rahmen: Er unterstützte Streikende, die nicht in der NUDL organisiert waren, später verteilte er gar in Cork anders eingeplante Gewerkschaftsgelder an streikende Arbeiter. Die Leitung der NUDL entließ ihn und klagte ihn vor Gericht an. Als Reaktion gründeten Larkin 1909 die Irisch Transport und General Workers Union (ITGWU), zu der in Dublin die meisten Mitglieder der NUDL übertraten.

In den folgenden Jahren 1910–1913 gibt es fast unaufhörlich kleinere Streiks, die oft erfolgreichen Arbeitskämpfe der Bäcker, Tischler, Bauarbeiter lassen bei den Unternehmer die Alarmglocken schrillen und die Gewerkschaft wachsen. Im Januar 1913 sind es bereits 24135 Mitglieder. Bald sind auch Unternehmen des reichten Mannes in Dublin betroffen, William Martin Murphy (1845-1919). Murphy aber ist kein Brite, sondern (gemäßigter) irischer Nationalist – Er besitzt die Dubliner Straßenbahnen und den rasch zur bedeutendsten Zeitung Irlands aufsteigenden Irish Independent, sowie ein halbes Dutzend weiterer Unternehmen. Die neue militante ITGWU verabscheut er. Als sich ihr nun einige Straßenbahnfahrer und die Zeitungsverteiler anschließen, entlässt er die Männer. Daraufhin beginnen Solidaritätsstreiks, der Boykott des Irish Independent und weiterer Unternehmen und die immer wieder versuchte Blockade von Murphys Straßenbahnen.

Die Fahrt zum Hotel

Am Mittag des Sonntags, den 31. August, verstehen die Einsatzleiter der Dublin Metropolitan Police (DMP) nicht, warum sie James Larkin nicht finden, immerhin überragt er die allermeisten Menschen um sich herum deutlich. Aber Larkin hat einen falschen Bart angelegt, sich als halbtauber Geistlicher verkleidet und fährt mit einer Kutsche durch die Menschenmenge und die Polizeigürtel zum Imperial Hotel. Dort gelingt es ihm, zu einem der Balkone zu gelangen und von dort aus seine Rede zu beginnen. Allerdings währt das nur wenige Minuten, dann stürzen sich die ins Hotel eilenden Polizisten auf ihn. Gleichzeit prügeln Hundertschaften von allen Seiten auf die Demonstranten in der O Connell Street ein. Larkin wird also verhaftet, die Dublin Metropolitan Police und die Royal Irish Constabulary verletzen in den folgenden Stunden zwischen 400 und 600 Menschen mit ihren Schlagstöcken schwer, von offizieller Seite wurde ein Toter bestätigt, wahrscheinlich aber waren es weitaus mehr. Aber die Arbeiter wehren sich, auch 200 Polizisten müssen in den Krankenhäusern behandelt werden.

Wenige Tage später schafft es W.M. Murphy ein Bündnis von 400 Unternehmen dazu zu bringen, jeden Vertrag mit der ITGWU zu verweigern und alle Gewerkschaftsmitglieder zu entlassen. Die große Aussperrung beginnt. 20 000 Arbeiter sind davon betroffen. 100 000, eine Zahl, die häufig fälschlicherweise als Streikende angegeben wird, ist die Anzahl der insgesamt Betroffenen, also Ausgesperrten und ihrer Familien zusammen. Dies ist immerhin ein Drittel der Bevölkerung von Dublin City. Bald sind es auch 100 000 Menschen, die hungern.

Streikbrecher werden unmittelbar aus den Gefängnissen oder Slums rekrutiert, auch sie verzweifelte Menschen, die gegen die Streikenden und Ausgesperrten ausgespielt werden. Aber wegen des brutalen Vorgehens der Polizei und Armee sympathisiert nicht nur die irische, sondern auch Teile der englischen Öffentlichkeit mit den Arbeiter*innen. Der Trades Union Congress (TUC) in England organisiert Hilfe im Wert von damals unvorstellbaren 106 000 Pfund.

Die Hilfsbereitschaft der englischen Arbeiter*innen ist also groß, praktisch jede Gewerkschaft sammelt Geld für die Ausgesperrten, Schiffe mit von Genossenschaften gespendeten Lebensmitteln verhinderten eine humanitäre Katastrophe, aber je länger die Aussperrung dauert, desto schwieriger wird die Lage der Betroffenen. Hunderte von Arbeiterfamilien im Norden Englands, viele von ihnen irischer Herkunft, erklären sich bereit, die Kinder der Ausgesperrten für die Dauer des Arbeitskampfes aufzunehmen. Doch dagegen, Gott behüte, protestiert der Katholische Klerus in Irland unter Erzbischof William Walsh: Familien sollen nicht auseinandergerissen werden, um von einer feindlichen und zudem überwiegend protestantischen Nation Hilfe anzunehmen. Priester und Nonnen hindern die Kinder am Hafen von Dublin mit Blockaden daran, auf die Schiffe zu gehen, nur wenige Kinder kommen in die Pflegefamilien.

Nach der Erfahrung des Blutsonntags gründet James Connolly 1913 [sic] die Irish Citizen Army als Selbstschutz der Gewerkschaft, sie umfasst zwar nie mehr als etwa 250 Mitglieder, Waffen gibt es bis 1916 ohnehin nur für 200, ihr entschlossenes Eintreten macht aber Eindruck, sowohl bei den Arbeiter*innen, als auch bei der Polizei, Streikbrechern und Wachleuten der Unternehmer. Entscheidend für den Ausgang des Kampfes wird aber etwas anderes, nämlich die Weigerung der englischen Gewerkschaftsführer der TUC, die von Larkin und Connolly geforderten Solidaritätsstreiks auszurufen. Larkin nennt sie daraufhin so hilfreich wie „Mumien in einem Museum“. So endetet nach 5 Monaten die Aussperrung mit einer Niederlage der ITGWU, die allerdings in den großen gesellschaftlichen Umbrüchen im Zuge des Kriegsbeginns im Sommer 1914 wenige Auswirkungen haben wird. James Larkin geht allerdings nach Amerika, wo er 1920 wegen „kriminellen Anarchismus“ im Hochsicherheitsgefängnis Sing Sing nahe New York inhaftiert wird. Erst 1923 entlassen, kehrt er im April dieses Jahres in ein dann sehr verändertes Irland zurück, in der ein blutiger Krieg zu Ende geht. Seine ITGWU aber ist bereits 1920 mit 120 000 Mitgliedern stärkste Gewerkschaft auf der Insel geworden.

„Vergebt ihnen!“ – Der Osteraufstand 1916

Die sich nach und nach bewaffnenden nationalistischen, bis zu 200 000 Mitglieder starken „Irish Volunteers“, eine Art katholisch-nationalistische Freiwilligenmiliz, waren vor dem Krieg die größte Bedrohung für Englands Herrschaft in Irland. Doch mit dem Beginn des Weltkrieges lässt sich die Mehrheit von ihnen etwas überraschend für das imperialistische Abschlachten einspannen, viele in der Hoffnung, dass ihnen durch den Dienst am Empire endlich die seit Jahren versprochenen Homerule, also Selbstverwaltung, zugesprochen wird. Von 1914–1918 werden insgesamt 49 400 Iren und Irischstämmige aus aller Welt im Krieg vor allem bei den Schlachten in Flandern und Frankreich sterben, darunter zählen auch die probritischen Unionisten aus Nordirland.

Allerdings schreiben sich nicht alle Irish Volunteers in die britische Armee ein. Etwa 11.000 sehen ihren größten Feind weiterhin in England, nicht in Deutschland oder Österreich-Ungarn. Ihr ständiges Exerzieren wird im Übrigen ein Grund sein, warum Ostern 1916 die daran gewöhnte Polizei so spät auf die bewaffneten Kolonnen der Aufständischen reagiert, die die Innenstadt von Dublin einnehmen werden. Doch der Reihe nach:

Connolly, der während Larkins Abwesenheit die Leitung der ITGWU übernommen hat, lehnt die Beteiligung am ersten Weltkrieg strikt ab. Seiner Meinung nach ist einzig ein Befreiungskrieg zur Abschaffung der Herrschaft von Menschen über Menschen gerechtfertigt. Connolly und sein Freundeskreis, unter ihnen das Paar Hanna und Francis Sheehy-Skeffington meinen es zudem auch ernst mit der Emanzipation der Frau, es geht ihnen tatsächlich um das Ende jeder Herrschaft.

Solch ein Ansehen hat der immer wieder für kurze Zeit inhaftierte James Connolly und seine Irish Citizen Army in der irischen Öffentlichkeit, dass die Nationalisten nicht riskieren können, ohne ihn loszuschlagen. Beunruhigt über Connollys steigende Ungeduld, nationaler Freiheitskampf und Klassenkampf sind für ihn untrennbar, entführen ihn die irischen Nationalisten im Januar 1916 von der Straße weg zu einem geheimen Treffen, wo sie ihn offenbaren, dass sie ihren Aufstand für die Unabhängigkeit Irlands auf Ostern legen wollen. Connolly ist einverstanden, er wird nicht nur in den Militärrat aufgenommen, sondern soll auch die eigentliche Aktion am Ostersonntag in Dublin befehligen. Seine 200 Männer und Frauen der Irish Citizen Armee werden im Zentrum des Aufstandes stehen, insgesamt sind es in Dublin 1250 Aufständische, die zur Tat schreiten. In der Hauptstadt selbst gelingt es ihnen unter Connollys Führung viele repräsentative Gebäude und Schlüsselstellungen einzunehmen und die Unabhängigkeit von England zu erklären. Aber in den anderen Städten des Landes läuft schief, was nur schief gehen kann. Deshalb kann man unter militärischen Gesichtspunkten den Aufstand wie so viele vor ihm in der irischen Geschichte nur als Fehlschlag bezeichnen. Wesentlicher Grund ist die mangelnde Beteiligung, alleine in Dublin rechnen die Aufständischen mit einer wenigstens doppelt so großen Zahl an Freiwilligen. Dazu kommen die schlechte logistische Verbindung von Dublin zu anderen Landesteilen, sowie die schlechte Bewaffnung. Denn die von dem Diplomaten Roger Casement organisierten, dringend benötigten 20.000 Gewehre plus Munition aus Deutschland gelangen zwar nach einer abenteuerlichen Fahrt mit dem norwegischen Schiff Aud an die Küste von Kerry, aber wegen fehlerhaften Planungen ist niemand da, der sie in Empfang nimmt. Die Aud muss wieder in See stechen, wird kurz darauf entdeckt und versenkt sich selbst. In Cork warten 1000 Aufständische auf Anweisungen aus Dublin, die Nachrichten und Befehle kommen auch, aber von verschiedenen Kommandanten gleich neunmal hintereinander und sich ständig widersprechend. Die Aufständischen in Cork beschließen abzuwarten. In Dublin selbst besteht die Taktik daran, in den Stellungen auszuharren bis der landesweite Aufstand ausbricht, aber außer einer gesprengten Eisenbahnbrücke und verhältnismäßig vielen Aktionen in Galway geschieht wenig, tatsächlich sind die meisten Iren bis zu jenem Zeitpunkt gegen den Aufstand.

Das englische Imperium aber schlägt gnadenlos zurück, die der Londons nachempfundene repräsentative Innenstadt Dublins wird zum Kriegsschauplatz. Die Stellungen der Aufständischen, die sich unter anderem im Postgebäude verschanzt haben, werden mit einem Kanonenboot von dem Fluss Liffy aus beschossen, halbe Straßenzüge werden so in Schutt und Asche gelegt. Insgesamt sterben 485 Menschen, 2600 werden verwundet. Nach sechs Tagen erbarmungsloser Kämpfe bricht der Aufstand am 29. April zusammen. Aber nun begehen die Engländer einen aus ihrer Sicht verhängnisvollen Fehler, 16 Anführer darunter alle sieben Unterzeichner der irischen Unabhängigkeitserklärung werden abgeurteilt und über zwei Wochen hinweg nach und nach erschossen. Nur Constanze Markievicz wird verschont, weil sie eine Frau ist, wogegen sie energisch aber vergeblich protestiert. Als letzter wird am 12. Mai auch der schwerverletzte James Connolly auf einer Trage zu seiner Hinrichtung getragen. Als das Erschießungskommando ihn an die Lehne eines Stuhles bindet, weil er nicht mehr aufrecht sitzen kann, und die Soldaten mit angelegten Gewehren vor ihm stehen, sind seine letzten Worte: „Vergebt ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“

Ausblick und Ziele

Syndikalisten organisierten gerade die ungelernten und am schlechten bezahltesten Arbeiter*innen, die Schutz am nötigsten brauchten. Vor allem die Wobblies der IWW, die besonders in den USA und Australien aktiv waren, nahmen Mitglieder über ethnische Zugehörigkeit hinweg auf. Larkin und Connolly gelang es in Belfast protestantisch-unionistische wie katholisch-irische Arbeiterinnen für ihr Ziel zu einen: Nicht Sozialpartnerschaft, sondern das Ende der Klassengesellschaft. Aus dem Syndikalismus kam mit der Irish Citizen Army auch der Funke, der zum Osteraufstand und zum Unabhängigkeitskrieg Irlands (Januar 1919–Juli 1921) führte. Aber für James Connolly konnten Aufstand und Unabhängigkeitskrieg nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig die Klassengesellschaft aufgehoben, der Sozialismus erkämpft würde. „Selbst wenn morgen die englische Armee abziehen und die grüne Fahne über dem Dubliner Schloss wehen würde, wären alle Anstrengungen vergeblich, solange nicht die Sozialistische Republik organisiert werden würde. Immer noch würde England herrschen. Es würde durch seine Kapitalisten, durch seine Großgrundbesitzer, durch seine Geldgeber, durch alle wirtschaftlichen, durch jede einzelne Institution herrschen, die es in dieses Land eingepflanzt und mit den Tränen unserer Mütter und dem Blut unserer Märtyrer gegossen hat.“ [3]Im Januar 1897 in P. Beresford Ellis (ed.), James Connolly – Selected Writings, p. 124.

Larkins und Connollys Taktik war die der direkten Aktion, konkret etwa die Konfrontation mit Streikbrechern in Belfast und Dublin oder der Boykotts der Unternehmen von WM Murphy. Und diese Taktik war dieselbe wie die der 1910 gegründeten anarcho-syndikalistischen CNT in Spanien. Connolly meinte auch „Regierungen einer kapitalistischen Gesellschaft sind nichts anderes als ein Komitee der Reichen um die Angelegenheiten der kapitalistischen Klasse zu regeln.“ [4]„The Irish Worker, 29 August, 1915

Connolly setzte neben seiner Arbeit als Koordinator der Gewerkschaften auch auf Parteien, um die Forderungen der Arbeiterklasse in die Parlamente zu bringen. Er gründete die Irish Socialist Republican Party 1896 und die Irish Labour Party 1912 und war zudem Mitglied sozialistischer Parteien in Schottland und den USA. Doch stand das für ihn und James Larkin deutlich an zweiter Stelle: „Der Kampf um die Eroberung der politischen Macht ist nicht die eigentliche Schlacht. Er ist nur das Echo der Schlacht. Die wirkliche Schlacht ist diejenige, die jeden Tag um die Kontrolle der Industrie ausgefochten wird. Und der Gradmesser des Erfolges dieses Kampfes ist nicht die Zahl der Kreuze unter dem Symbol einer politischen Partei, sondern ist die Anzahl der Menschen, die sich in eine Industriegewerkschaft mit dem bewussten Ziel einschreiben, sich alle industriellen Mittel der Gesellschaft anzueignen. […] Es ist notwendig daran zu erinnern, dass die parlamentarische Arbeit im gegenwärtigen Stadium der Entwicklung nur Vorab-Scharmützel oder bewusstseinsbildende Kampagnen sein können und dass die Eroberung der politischen Macht durch die arbeitende Klasse von der Eroberung der wirtschaftlichen Macht abhängt und durch die wirtschaftliche Organisation umgesetzt werden muss.“ [5]Aus „Die Zukunft der Arbeit“ Flugblatt Chicago 1909

Auch wenn andere Begrifflichkeiten benutzt werden, so stand Connolly abgesehen von seinem Faible für Parteien dem Anarcho-Syndikalismus nahe. „Im Sozialismus werden Staaten, Gebiete und Provinzen nur als geographische Bezeichnung weiterexistieren, aber nicht als Gebiet einer Regierungsgewalt, vielleicht aber als Verwaltungseinheiten.“ [6]Aus James Connolly: Socialism Made Easy, Industrial Unionism and Constructive Socialism 1908 Als sich 1908 die IWW spaltete, wandte Connolly sich gegen den Flügel des Marxisten Daniel De Leon, der autoritäre Züge zeigte. [7]Siehe bei Oisin Mac Giollamoir: The Ideas of James Connolly – The Single Most Important Figure in the History of the Irish Left Mit Captain Jack White, Ausbilder der ICA, entwickelte sich einer von James Connollys Gefährten von 1913 unmittelbar zum Anarcho-Syndikalisten (Und Anhänger Tolstois – er wurde unter anderem Sanitäter im spanischen Bürgerkrieg) [8]Siehe Leo Keohane, Captain Jack White: Imperialism, Anarchism and the Irish Citizen Army. Dublin: Merrion Press, September 2014 Sozialismus von unten, nicht durch diktatorische Gesetzte von oben, ist das Ziel. Ähnlich findet sich das auch heute noch zum Beispiel im Konzept Eire Nua der Republican Sinn Féin [9]Das Programm ist hier veröffentlicht, einer Abspaltung der in den letzten Jahrzehnten wieder erstarkten linksnationalistischen Partei Sinn Féin.

Nach dem Osteraufstand und den anschließenden Hinrichtungen der Anführer hatte sich die Stimmung in Irland komplett gedreht. Bei der nächsten britischen Wahl 1918 für das Westminster Parlament in London erreichte die Partei Sinn Féin 73 der 105 für ganz Irland vorgesehenen Sitze. Zwar waren 36 der für Sinn Féin gewählten Frauen und Männer inhaftiert (darunter als einzige Frau Markievicz). Doch die anderen weigerten sich, ihre Sitze im Londoner Parlament einzunehmen, trafen sich in Dublin und nahmen dort einstimmig die Unabhängigkeitserklärung an, die Patrick Pearse Ostersonntag 1916 vor dem Postamt vorgetragen hatte. Dies ist der Auftakt zum irischen Unabhängigkeitskrieg gegen England, der nach der Teilung Irlands in den inneririschen Bürgerkrieg (1921–1923) übergeht.

Vorrangiges Ziel von Connolly war also gleichermaßen die Selbstbestimmung Irlands durch eine Arbeiterrepublik und dazu die Bildung der klassenkämpferischen One Big Union als Voraussetzung.

„Der Tag ist vorbei, um das kapitalistische System zu flicken, es muss verschwinden! Und in der Anstrengung es abzuschaffen werden Katholik und Protestant, Katholik und Jude, Katholik und Freidenker, Katholik und Muslim zusammenarbeiten, keinerlei Rivalität mehr kennend als diejenige rascher zum Ende zu streben, von dem alle etwas haben. Weil, wie wir am anderen Ort gesagt haben, der Sozialismus weder katholisch noch protestantisch ist, weder christlich noch freidenkerisch, muslimisch oder jüdisch, er ist nur menschlich. Wir aus der sozialistischen Arbeiterklasse weisen die Brandfackel der kapitalistischen Kriege zurück und bieten euch den Olivenzweig der Solidarität und Gerechtigkeit von und für alle.“ [10]Aus „Arbeit, Nation und Gerechtigkeit“ Dublin 1910

Verwendete Literatur (Auswahl)

Andrew Boyd The rise oft the Irish Trade Unions (1729-1970) Anvil Book 1971,1976
Tim Pat Coogan 1916 – The Easter Rising W&N; Cassell co 2001
Tim Pat Coogan The IRA: A History Roberts Rinehart 1993
Gary Granville Dublin 1913: Lockout & Legacy O’Brien Press 2013
T.A. Jackson Ireland Her Own Lawrence and Wishart 1976

Beitragsbild ist von Keith Ruffles [CC BY 3.0], via Wikimedia Commons / Bearbeitet durch die DA-Redaktion

Oliver Steinke

Share
Veröffentlicht von
Oliver Steinke

Recent Posts

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert II

Interview mit Torsten Bewernitz und Gabriel Kuhn.

13. November 2024

Syndikalismus für das 21. Jahrhundert

Der revolutionäre Syndikalismus, wie wir ihn kennen, gehört vielleicht der Vergangenheit an. Damit er überleben…

23. Oktober 2024

Aber es braucht viele.

Rezension zum Buch der Sanktionsfrei e.V. Gründerinnen über Bürgergeld, Armut und Reichtum.

9. Oktober 2024

Arbeiter:innen für die Zukunft des Planeten

Arbeits- und Klimakämpfe verbinden - zum neuen Buch von Simon Schaupp und dem Film Verkehrswendestadt…

2. Oktober 2024

Back to Agenda 2010?!?

Alter Chauvinismus oder die Kehrtwende in eine neue Fürsorglichkeit.

31. August 2024

Marxunterhaltung und linker Lesespaß

Rezension zu „Die kleinen Holzdiebe und das Rätsel des Juggernaut“

24. August 2024