Evolution einer revolutionären Organisation

Im Naturfreundehaus Hannover tagte der FAU-Bundeskongress 2018.
Im Naturfreundehaus Hannover tagte der FAU-Bundeskongress 2018.

Schon vor elf Jahren, als Neumitglied, erlebte ich einen FAU-Kongress in der Nähe von Hannover – aber ein besonderer Kongress war der im Jahre 2007. Die FAU verfügte nur über ein Drittel der heutigen Mitgliederzahl. Interne Konflikte und persönliche Fehden prägten oft die Diskussionen – aktuell sind es Arbeitskämpfe, welche mit viel Leidenschaft oft zum Erfolg führten. Dennoch möchte ich nicht alles schön reden und alles von damals schlecht – es waren eben andere Zeiten und die FAU hat lange gebraucht, um sich zu finden und zu strukturieren.

Die internationale Frage

Was mir auf dem diesjährigen Kongress im Naturfreundehaus in der niedersächsischen Landeshauptstadt auffiel: 2007 gab es etliche internationale Gäste, die ausführlich über die sozialen Bewegungen in ihren jeweiligen Ländern redeten – sogar ein Besucher aus Afrika sprach über den Kampf gegen eine Bahnprivatisierung in Mali. Es kam sogar zu einem kleinen Eklat mit dem Sekretariat der damaligen Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation. Insgesamt war die Debatte über den Verbleib in der IAA sehr präsent. Der Sekretär aus der serbischen Sektion ging andere Gäste als Feinde der IAA an, worauf nach kurzem Wortgefecht die meisten Delegierten den Saal verließen. Das Ende der Beziehung zwischen FAU und IAA sollte sich bekanntlich noch etwa zehn Jahre hinziehen. (Näheres zum Thema Kleinstsektionen und dogmatische Positionen findet sich im Artikel von Holger Marks in der iz3w Ausgabe 367 „Transnational ist besser – Stand und Perspektiven des Syndikalismus„).

2018 war es anderes. Die internationale Frage war schon vor dem Bundeskongress an Pfingsten ausgiebig erörtert worden und mit der Gründung der Internationalen Arbeiter*innen Konföderation (IAK) in Parma (Weitere Informationen dazu findet ihr hier). Aber dass nicht einmal ein Vertreter der spanischen CNT auf einem FAU-Kongress anwesend war, überraschte mich und ich habe die meisten dieser bundesweiten Treffen miterlebt. Eine Grußbotschaft hatte ein Sekretär einer Schwesterorgansiation spontan bei Whatsapp verfasst. Die Gäste aus Frankreich, Brasilien, Österreich und dem Reisesyndikat (bisher nur eine bundesweite Sektion für freireisende Bauhandwerksgesell*innen) hielten ihre Bekundungen sowie Bericht ebenso relativ kurz. Es gab entgegen vorhergehender Kongresse auch keine eigene Abendveranstaltung. Dafür bot ein Genosse einen Rundgang im Stadtbezirk Linden an, wo sich ebenso das FAU-Lokal befindet. Wir hörten zeitgeschichtliches sowie aktuelles zur Stadtentwicklung mit verhinderten Zwangsräumungen und bestehenden Freiräumen.

Innerorganisatorische Demokratie im Wandel?

Neu war auch für mich das Verfahren, Anträge abzustimmen. Gab es noch vor der letzten wichtigen Satzungsänderung aus dem Jahre 2015 auf dem Kongress intensive Diskussionen sowie langwieriges Vortragen der Abstimmungsergebnisse aus den jeweiligen Syndikaten (früher wurde die lokalen Verwaltungseinheiten Ortsgruppen genannt), wird seit zwei Jahren im Vorfeld abgestimmt. Anträge, welchen nicht die notwendigen 75 % der Zustimmung bekommen haben, können auf dem Kongress in Arbeitsgruppen diskutiert werden und in überarbeiteter Form danach wieder zur schriftlichen Abstimmung gegeben werden.

Ich persönlich habe meine Zweifel, ob diese doch sehr technokratische Lösung die Debattenkultur im Real Life nicht ausgesprochen beeinträchtigt hat. Klar, die Entscheidung liegt jetzt noch mehr in den Händen der Gruppen vor Ort, aber so ein Kongress lebt gerade davon, dass möglichst viele Vertreter*innen aus der gesamten Föderation von Angesicht zu Angesicht im großen Plenum ins Gespräch kommen. Wie dem auch sei, 2018 wurden wieder wegweisende Anträge beschlossen, etwa über die konkrete Stellung des Internationalen Komitees. In der Satzung wurde der Punkt Medien der FAU aktualisiert, es werden mehr Gelder für die regionalen Fonds für Öffentlichkeitsarbeit bereitgestellt sowie die bundesweite Arbeitsgruppe fem*fau eingerichtet.

Feminismus und Syndikalismus

Die AG fem*fau verdeutlicht ganz gut, dass Feminismus in der anarchosyndikalistischen Bewegung an Bedeutung gewinnt. Nach meinem Eindruck waren auch deutlich mehr Frauen (wohl etwa ein Drittel) auf dem Kongress. Das AG-Treffen lud zur breiten Diskussion über feministische Fragestellungen ein. Ein Konzeptpapier behandelte die Punkte (Selbst-)Bildung, Beratung, Aktionen sowie Öffentlichkeitsarbeit. Fragen, welche sich die Beteiligten stellten, waren des Weiteren: „Wie können wir mehr Frauen für die FAU gewinnen?“, „Wie gehen wir mit Sexismus am Arbeitsplatz (und auch in der Schule) um?“ und „Gibt es auch in FAU-Plena strukturelle Probleme mit dominanten Redeverhalten?“. Im Gespräch mit der gewählten Koordinatorin (ein neues Mandat in der Bundes-FAU), teilte mir eine Vertreterin mit, dass die Einrichtung der AG fem*fau „ein extrem wichtiger Schritt sei, um das Thema Feminismus in den gewerkschaftlichen Arbeitsalltag einzubinden“. Inhaltlich fokussieren will sich die Arbeitsgruppe auf folgende Themen: unbezahlte Reproduktionsarbeit, Einbindung von prekär beschäftigten Frauen in die gewerkschaftliche Arbeit und Beratung Betroffener bei sexistischen Vorfällen. Die neue Internationale (IAK) plant passenderweise am 8. März 2019 einen Aktionstag, um feministische Kämpfe in den Mittelpunkt zustellen.

Themen am Zahn der Zeit

Ich konnte zwar nicht jede Arbeitsgruppe besuchen, schließlich hatte ich von meiner lokalen Gruppe Instruktionen bekommen, welche Workshops für uns Priorität hatten, aber dennoch gab es eine Fülle von aktuellen Fragestellungen, welche die Delegierten in lebendigen Diskussionen erörterten. Die AG Stadtteilarbeit und community–building war ein Vernetzungs- bzw. Austauschtreffen, welche Aktivitäten vor Ort laufen und welche Erfahrungen gesammelt wurden. Insbesondere in Dresden (im Elbsandsteingebirge) und Hannover wird die lokale Vernetzungsarbeit nicht ganz ohne Erfolg intensiv betrieben. Ferner spielen in manchen FAU-Gruppen Mietkämpfe eine gewisse Rolle. In der FAU Frankfurt am Main beschäftigten sich einige Aktive mit der Zukunft der Arbeitswelt. Eine Delegierte referierte im Workshop zum Thema Industrie 4.0. Präsentiert wurden einige Impulse zu den potentiellen Folgen der Transformation der Arbeitswelt (insbesondere unter dem Stichwort Digitalisierung betrachtet). Über Auswirkung kann nur spekuliert werden. So gibt es etwa in der Fachliteratur verschiedene Meinungen, ob Arbeitsplätze wegfallen und in welchen Branchen das der Fall sein könnte. Die anschließende Diskussion fokussierte vordergründig auf Arbeitskämpfe im Bereich Crowdsourcing, oder, wie Clickworker wirkmächtig organisiert werden können. In einem weiteren Arbeitskreis beratschlagten sich geneigte Genossinnen und Genossen zu Solidarität mit der Föderation Nordsyrien.

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3 Kommentare zu «Evolution einer revolutionären Organisation»

  1. „Ich persönlich habe meine Zweifel, ob diese doch sehr technokratische Lösung die Debattenkultur im Real Life nicht ausgesprochen beeinträchtigt hat. Klar, die Entscheidung liegt jetzt noch mehr in den Händen der Gruppen vor Ort, aber so ein Kongress lebt gerade davon, dass möglichst viele Vertreter*innen aus der gesamten Föderation von Angesicht zu Angesicht im großen Plenum ins Gespräch kommen.“

    Dieser Ansicht kann ich gar nicht zustimmen. Es gab vor der Reform (so gut wie) keine Debatten, sondern nur langweiliges Verlesen der Abstimmungsergebnisse. Und wenn es Diskussionen gab, waren sie irrelevant, weil sie auf das Abstimmungsergebnis keinen Einfluss mehr hatten.

    Im Gegenteil besteht jetzt die Möglichkeit, Anträge, die das nötige Quorum nicht erreicht haben, zu diskutieren – und zwar von den Leuten, die das überhaupt interessiert.

    Es müssen ja nicht alle über alles reden, es sei denn, sie wollen das.

    1. Der neue Modus ist sicher nicht ganz unberechtigt, wie ich im vorhergehenden Absatz ausgeführt habe.
      Früher hatten die Leute doch manchmal ein Mandat manche Begrifflichkeiten noch zu verhandeln (etwa bei der Statuten-Debatte um 2008).

      Abgelehnte Anträge werden nur noch in Workshops diskutiert. Da es aber oft zeitgleiche Workshops gibt und ein Delegierter manchmal von seiner lokalen Gruppe den Auftrag bekommen hat, eine andere Arbeitsgruppe zu besuchen, wird es schwierig mit der Teilnahme an den Antragsworkshops für die meisten Delegierten.

      Es muss zwar nicht alles im Plenum verhandelt werden, aber bei diesem Kongress wurde über fast gar nichts mehr in der großen Versammlung diskutiert und die Organisation ist vielleicht wieder an so einem Punkt, wo über die strategische Ausrichtung auch mal ein breiter Diskussionsprozess sinnvoll wäre. Irgendwie schon etwas seltsam für eine basisdemokratische Organisation – da stellt sich schon etwas die Frage, warum sich Delegierte überhaupt an einem Ort treffen müssen.

  2. Stimme Markus da voll und ganz zu, vor der Reform war ein übelster Druck da, in der Zeit zwischen vorläufigen und endgültigen Anträgen noch per schriftlichen Syndikatsstatements auf einen Kompromiss zu kommen. Dabei schrieb mensch auch gern mal aneinander vorbei und schaukelte Kontroversen unnötig hoch. Das Verlesen der Abstimmungsergebnisse war eine reine Farce und Zeitverschwendung. Die Diskussionen im Plenum am Ende auch, da es keine sinnvolle Möglichkeit gab Delegierten ein flexibles Mandat mit auf den Weg zu geben, welcher nicht einem individuellen Freifahrtsschein gleich käme.

    Und klar sollten alle Syndikate in den einzelnen Diskussionsrunden vertreten sein, die Lösung heißt hier: Ausreichend Leute delegieren.

    Und was die breite Diskussion über Ausrichtung angeht, die müsste erstmal in anderen Ebenen, Region, Debatte etc. vorbereitet werden, denke ich. Ein Kongress, im alten, wie im neuen Modus, erntet eigentlich immer nur die inhaltliche Vorarbeit des letzten Jahres.

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