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Hände weg von Vio.Me

In Griechenland ist die Zwangsversteigerung der besetzten Fabrik Vio.Me erneut gescheitert. Ein Bericht von Ralf Dreis aus Vólos.

Der seit 2011 von den Arbeiter*innen besetzten und seit 2013 in Selbstverwaltung betriebenen Fabrik Vio.Me (Viomichanikí Metallevtikí) in Thessaloníki droht seit längerer Zeit die Zwangsversteigerung. In den vergangenen zwei Jahren gelang es mehrmals, mit Blockaden und Kundgebungen im Gerichtsgebäude die Versteigerungstermine zum Scheitern zu bringen. Seit dem 25. Oktober 2018 ging es nun erneut um das Firmengelände der bankrotten Unternehmensgruppe Filkeram&Johnson, zu der auch Vio.Me gehörte. Wie in den Jahren zuvor standen sich die Vio.Me Arbeiter*innen mit ihren Unterstützer*innen und Polizeitruppen vor dem Gerichtsgebäude gegenüber.

„Die Fabriken denen die dort arbeiten“ ©Vio.Me

Das Mindestgebot, das 2017 bei 22 Mio. Euro gelegen hatte, wurde inzwischen auf 15 Mio. Euro gesenkt. Der ursprünglich festgesetzte Preis für die Zwangsliquidierung des Firmenensembles hatte sich auf 31 Mio. Euro belaufen. Trotz des um mehr als die Hälfte verringerten Preises, erschien weder am 25. Oktober, noch an den folgenden Terminen am 1., am 8. und am 15. November ein Kaufinteressent. Der vorerst letzte Versteigerungstermin ist auf den 13. Dezember festgesetzt. Sollte auch der ohne Gebot verstreichen, wird der Mindestpreis im nächsten Jahr erneut gesenkt werden, wodurch die Gefahr eines Verkaufs und in der Folge einer polizeilichen Räumung von Vio.Me weiter steigen wird.

Solibanner aus der nordgriechischen Stadt Kabála. „Die Fabriken denen die dort arbeiten. Hände weg von der selbstverwalteten Vio.Me.“ ©indymedia athens

Die inzwischen fünfeinhalbjährige Produktion in Selbstverwaltung beruht nicht zuletzt auf der Entschlossenheit der Belegschaft und der Unterstützer*innenbewegung, die besetzte Fabrik mit allen Mitteln verteidigen zu wollen. Womit die Kauflust potentieller Investor*innen nicht allein vom Kaufpreis, sondern auch von ihrer Bereitschaft abhängt, sich mit dem Erwerb garantiert jede Menge Ärger einzuhandeln.

Nicht zuletzt deshalb haben die Kolleg*innen von Vio.Me in den Wochen vor und während der Versteigerungen erneut eine Widerstandstandskampangne mit Konzerten, Veranstaltungen und Demonstrationen organisiert. So fand u.a. vom 12. – 14. Oktober das internationale CoOpenAir Festival des Kooperativismus mit Genoss*innen anderer Projekte und Kooperativen aus ganz Europa auf dem besetzten Fabrikgelände in Thessaloniki statt.

Scheckbuchtrickserei der Justizbehörden

Am 22. Oktober, drei Tage vor dem ersten Versteigerungstermin, erfolgte von Seiten der Justizbehörden Thessaloníkis ein überraschender Schachzug. Mit einer amtlichen Bekanntmachung wurde allen nicht befugten Personen der Zugang zum zweiten Stockwerk des Gerichtsgebäudes untersagt. Auf dieser Etage wird die Zwangsabwicklung von Filkeram&Johnson verhandelt. Als „befugt“ wurden nur diejenigen Personen zugelassen, die über einen Ausweis und „ein Scheckbuch oder eine Scheckkarte“ verfügen, um so zu belegen, dass sie an den zu versteigernden Immobilien interessiert seien. In den vergangenen Jahren war es wiederholt zu Solidaritätskundgebungen mehrerer hundert Unterstützer*innen von Vio.Me, einschließlich Tränengaseinsatz der Polizei, im Gerichtsgebäude gekommen, womit die Durchführung des Verfahrens unmöglich gemacht werden konnte.

In ihrer Stellungnahme zur Maßnahme der Justizbehörden betonen die Vio.Me Kolleg*innen, dass diese „eklatant den Öffentlichkeitsgrundsatz der Rechtsordnung“ verletze. Geradezu skandalös sei, dass so auch die unmittelbar Betroffenen – die Arbeiter*innen von Vio.Me – ausgeschlossen würden. Immerhin seien sie „ohne ordentliche Kündigung über Nacht arbeitslos geworden“, weshalb sie keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt hätten und noch heute „auf eine beträchtliche Summe der ausstehenden Löhne“ warteten. Wenn die Justiz nun die Formulierung „Scheckbuch oder Scheckkarte“ benutze, sei in diesem Zusammenhang erst einmal zu überprüfen, wie es den ehemaligen Firmeninhabern gelingen konnte die Unternehmen auszuplündern und in den wirtschaftlichen Abgrund zu stürzen, ohne dass die Behörden etwas dagegen unternommen hätten, geschweige denn eine rechtliche Klärung erfolgt sei.

Demonstration vor dem Gerichtsgebäude. ©Vio.Me

Beim ersten Termin, dem 25. Oktober, hatten drei parallele Solidaritätskundgebungen vor dem Gerichtsgebäude stattgefunden. Außer den Unterstützer*innen von Vio.Me, waren sowohl Gegner*innen des Goldabbaus auf Chalkidikí wegen eines Prozesses, als auch Genoss*innen angeklagter Antifaschist*innen vor dem Gericht präsent. Im Verlauf schlossen sich die Gruppen zu einer gemeinsamen Demonstration zusammen. Die anarchosyndikalistische ESE, Schwesterorganisation der FAU, und verbündete Basisgewerkschaften, hatten in Athen zur Mahnwache vor dem Arbeitsministerium mobilisiert.

Griechenlands berühmteste Seifenfabrik braucht Unterstützung

Die seit sieben Jahren besetzte und seit fünfeinhalb Jahren in Selbstverwaltung betriebene Seifenfabrik ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass kapitalistische Krisen außer Armut, Leid und Verzweiflung auch die Emanzipation der von der Krise betroffenen Arbeiter*innen beinhalten kann. Vio.Me wurde 1982 als eine von drei Tochterfirmen des Unternehmens Filkeram&Johnson gegründet, das Keramikkacheln produzierte. Die Firma stellte chemische Baumaterialien wie Fugenkleber her und belieferte Baufirmen in Griechenland und dem benachbarten Ausland. Im Mai 2011 stellten die damaligen Eigentümer*innen der Familie Filíppou die Lohnzahlungen ein, verschuldeten den Betrieb und machten sich aus dem Staub. Um die Demontage der Produktionsanlagen zu verhindern und die Zahlung der ausstehenden Löhne zu erzwingen, besetzten die Arbeiter*innen die Fabrik.

Da ihre Lohnforderungen ignoriert wurden und weder Gerichtsverfahren noch Investorensuche zum Erfolg führten, beschlossen sie nach einem zweijährigen Diskussionsprozess, die Produktion in die eigene Hand zu nehmen. Im Februar 2013 feierten tausende Menschen mit einem Solidaritätskonzert die Wiedereröffnung der Fabrik. Seit April 2013 produziert Vio.Me ökologische Wasch- und Reinigungsmittel. Die Produkte werden in sozialen Zentren, anarchistischen Treffpunkten, besetzten Häusern und auf informellen Märkten vertrieben und nach Gründung der Vio.Me Sozialkooperative 2016, auch legal an solidarische Gruppen und Organisationen ins europäische Ausland geliefert.

Im Gegensatz zu diesen positiven Entwicklungen, sind die Gespräche mit den staatlichen Behörden zur Legalisierung der Fabrik, bei wechselnden Regierungen, gescheitert. Die Versprechungen von Syriza (Allianz der radikalen Linken) haben sich nach der Regierungsübernahme 2015 als heiße Luft erwiesen. Auch die von der KKE (Kommunistische Partei Griechenlands) dominierte Gewerkschaftsfront Pame und der Gewerkschaftsdachverband GSEE verweigern die Unterstützung, da „Arbeiterselbstverwaltung nicht auf der Tagesordnung“ stehe.

Ein informeller Zusammenschluss aus Kollektivbetrieben, Basisgewerkschaften, politischen Gruppen, Netzwerken und Einzelpersonen aus verschiedenen europäischen Ländern versucht den Kampf der Vio.Me Arbeiter*innen zu unterstützen. Das Beispiel der selbstverwalteten Fabrik soll noch bekannter gemacht werden, um andere Arbeiter*innen zu ermutigen, ihr Schicksal in die eigene Hand zu nehmen. Vio.Me zeigt, dass es eine Alternative jenseits von Austerität, Nationalismus und sozialer Zertrümmerung gibt – die Solidarität sozialer Bewegungen und die Selbstorganisierung von unten.

Außerdem versucht der Unterstützer*innenkreis durch Kundgebungen vor griechischen Konsulaten Druck auszuüben und potentielle Investor*innen abzuschrecken. Der mehrmalige Versuch die Stromzufuhr der Fabrik zu kappen, bestätige, dass die Gefahr einer Räumung immer bestehe. Jede mögliche Lösung des Konflikts sei „eine klare politische Entscheidung“, betonen die Vio.Me Arbeiter*innen. Ihre Fabrik mache „nur knapp 1/7 der zu versteigernden Anlagen aus“ und sei „unkompliziert vom Rest des Betriebsgeländes abtrennbar“. Sie weisen darauf hin, dass den Alteigentümer*innen der Familie Filíppou in den 1990er Jahren Teile der Betriebsflächen „als staatliche Anerkennug für die soziale Leistung durch die Schaffung von Arbeitsplätzen“, umsonst übertragen wurden.

Du bist die Fabrik

Durch die Übernahme der Fabrik und der ökologischen Umwandlung der Produktion unter Arbeiter*innenkontrolle, mit der Vollversammlung als höchstem Entscheidungsgremium, der täglich erlebbaren gegenseitigen Hilfe unterschiedlichster Initiativen in Griechenland und der Unterstützung der internationalen Solidaritätsbewegung, ist den Vio.Me Arbeiter*innen weit mehr gelungen, als ihr ökonomisches Überleben in Krisenzeiten zu sichern. Mit der Fabrikbesetzung, und das ist der Grund für die andauernden staatlichen Angriffe, stellt das Projekt täglich die kapitalistischen Besitzverhältnisse in Frage. Es wird deshalb keine einvernehmliche Lösung zwischen Staat, Ex-Eigentümer*innen und Vio.Me Arbeiter*innen geben. Die Zukunft der Fabrik in Selbstverwaltung hängt vor allem von der Stärke der Solidaritätsbewegungen in Griechenland und Europa ab.

Beachtet Aufrufe, beteiligt euch an Kundgebungen vor griechischen Einrichtungen. Vio.Me Produkte können in Deutschland über verschiedene FAU-Syndikate, über Union-Coop oder das Griechenland Solidaritätskomitee Köln (GSKK) bestellt werden.

Ralf Dreis

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Ralf Dreis

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